mit den Schlagworten:

ulrike-karner3Ulrike Karner hat sich in Ihrem Erstlingswerk "Allah und der Regenbogen" eines brisanten Themas angenommen: Homosexualität bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das bedeutet sehr oft doppelte Stigmatisierung.

Zum Inhalt: Das türkische Mädchen Ebru trifft in der Schule auf Lena, die in einer "Regenbogenfamilie" mit zwei Müttern aufwächst. Von diesem Vorbild beflügelt, verliebt sich Ebru in ein Mädchen aus Ihrer Schule, die Ihre Gefühle auch erwidert. Doch diese Beziehung bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Konflikte mit Ebrus strenggläubiger Familie sind vorprogrammiert, das junge Mädchen gerät dadurch in extremen Gewissenskonflikt und eine schwere Krise. Erst zum Schluss der Geschichte keimt wieder ein wenig Hoffnung auf. Im Interview mit Robert Fischer erzählt die Autorin, die im Brotberuf als Psychologin in einer Beratungsstelle für Jugendliche tätig ist, wie sie für dieses heikle Thema recherchiert hat und welche konkreten Schritte notwendig waren, um den Traum vom eigenen Buch in die Realität umzusetzen. 

Kulturwoche.at: Ulrike, Dein Buch "Allah und der Regenbogen" beschäftigt sich mit einem ganz speziellen Thema, nämlich gleichgeschlechtlicher Liebe unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Warum hast du dir gerade dieses Thema ausgesucht?

Ulrike Karner: Ich weiß, dass bei einigen Migrantengruppen Homosexualität ein sehr großes Tabuthema ist, teilweise noch tabuisierter als bei uns. Daher hat mich das Thema interessiert, darüber hinaus auch, wie es ist, wenn man mit sehr starken patriarchalischen Strukturen aufwächst. Wie fühlt man sich, wenn man z.B. eine arrangierte Ehe eingeht? Oder wie ist das für jemanden, der eine eigene Sexualität gar nicht entwickeln darf? Bei meiner Hauptfigur Ebru ist es ja auch so, dass, wenn sie nicht Lena (die im Buch zwei Mütter hat) kennengelernt hätte, gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass es anders auch geht, sondern sie hätte das Leben gelebt, dass sich Ihre Eltern für sie vorgestellt hätten und ihr System übernommen. Ebru hätte das einfach weitergelebt, ohne groß nachzudenken, hätte geheiratet und Kinder bekommen und hätte wahrscheinlich gar nichts anderes gekannt. Zumindest so wie ich sie als Charakter angelegt oder verstanden habe.

Jugendliche Migranten, die zu Ihrer Homosexualität stehen und sich vielleicht später sogar "outen", haben ja auch noch den zusätzlichen Druck auszuhalten, dass Sie sich nach diesem Schritt in den meisten Fällen komplett von Ihrer Familie lossagen müssen. Das ist ein riesiger Druck, oder?

Stimmt, das ist ein extremer Druck, aber nicht nur Migranten, sondern auch für jeden Menschen in so einer Situation. Natürlich darf man aber auch nicht alle Migranten über einen Kamm scheren, das Risiko sich zu "outen" ist für alle hoch, aber gerade für Familien wie Ebrus Familie, die sehr patriarchalisch strukturiert sind, wo es ganz klare und strenge Regeln gibt, was sein darf und was nicht sein darf, und wo eben Homosexualität Sünde bzw. Todsünde ist, da gibt es wirklich ein großes Risiko, alles zu verlieren.

Wie hast Du für dieses Thema bzw. für Dein Buch recherchiert?

Ich habe türkische Mädchen interviewt und auch Frauen, die mit Mädchen in Krisen arbeiten. Ich sprach auch mit Frauen, die mit Mädchen arbeiten, die zwangsverheiratet wurden oder von einer Zwangsheirat bedroht sind. Und wegen dem zweiten Hauptthema im Buch, den "Regenbogen-Familien" habe ich im Internet bzw. in Büchern recherchiert und einige Interviews geführt, um mir einfach ein gutes Bild zu verschaffen.

Was war der konkrete Auslöser, das Buch zu beginnen? "Allah und der Regenbogen" ist ja Dein erstes Buch überhaupt, wie kam es dazu?

Ein wichtiger Punkt war, dass ich mich gefragt habe, wie erleben es Kinder, wenn sie mit zwei Müttern aufwachsen? Der Rest hat sich sozusagen dazu entwickelt. Dann habe ich begonnen Studien zu diesem Thema anzusehen, Bücher dazu gelesen, so ist das Ganze ins Laufen gekommen.

Und wo hast Du beim Schreiben angefangen? Mich interessiert der konkrete Anfangspunkt der Geschichte. Waren es einzelne Figuren, die Dir zuerst eingefallen sind oder hattest Du gleich die komplette Geschichte im Sinn?

Es hat die Lena gegeben und ihre beiden Mütter. Habe mir überlegt, welchen Vorurteilen sie in dieser Situation ausgesetzt sein könnte. Und dann war es mir einfach zu blöd, dass Sie sich auch in ein Mädchen verliebt, weil es Studien gibt, die besagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit zwei Müttern lesbisch werden, gleich hoch ist wie bei Kindern, die mit Mutter und Vater aufwachsen. Das wäre mir einfach zu klischeehaft gewesen. Gleichzeitig war mir klar, dass es noch einen anderen Part geben muss, und so ist Ebru entstanden.

Wie lange hat dann der komplette Schreib-Prozess gedauert? Hast du über einen längeren Zeitpunkt an "Allah und der Regenbogen" gearbeitet oder bist Du die Sache eher klausurmäßig angegangen und hast das Buch in einem ganz bestimmten Zeitraum komplett von A-Z fertiggeschrieben?

Also, ich glaube nicht, dass man ein Buch einfach so z.B. in vier Wochen komplett schreiben kann. Bei mir war es ein sehr langer Zeitraum. Dass ich die Idee zu diesem Buch hatte, ist sicher schon zwei oder zweieinhalb Jahre her. Zuerst habe ich mir dann eine Auszeit von ein paar Monaten genommen, habe mit dem Buch begonnen, darauffolgend habe ich eine sechsmonatige Ausbildung zur klinischen Psychologin absolviert, dann wieder eine Auszeit genommen, um das Buch fertig zu schreiben. Und dann vom Einreichen des Manuskripts bei verschiedenen Verlagen, der Zusage vom Ulrike Helmer Verlag, bis zum endgültigen Druck ist noch einmal ein Jahr vergangen. Also insgesamt kann man von einem Zeitrahmen von 2,5 Jahren sprechen.

Hast Du auch schon vor Deinem ersten Buch Texte geschrieben?

Nichts in einer vergleichbaren Länge. Ein paar Kurzgeschichten und Gedichte. Da wäre ich auch gar nicht auf die Idee gekommen, das zu veröffentlichen.

Was war der Grund, dass du bei "Allah und der Regenbogen" einen anderen Weg gegangen bist?

Einfach, weil es ein alter Kindheitstraum von mir war, einmal ein Buch zu veröffentlichen. Nach dem Studium habe ich zwar versucht mir einzureden, dass ich ja eine Diplomarbeit geschrieben habe, das ist AUCH ein Buch, aber dann sagte ich mir irgendwann: 'Nein, ich will wirklich ein richtiges Buch schreiben!'. Und da zu dieser Zeit schon langsam eine Idee gekeimt ist, dachte ich: 'Okay, es braucht jetzt wirklich eine Auszeit, um das Projekt anzugehen.' Und dann, um ehrlich zu sein, habe ich schon meinen ganzen Mut gebraucht, um diesen Schritt zu wagen.

Was waren für Dich die größten Hindernisse im Schreibprozess?

Natürlich hatte ich während des Schreibens schon immer meine Ups and Downs, trotzdem habe ich nie daran gezweifelt, dass ich das Buch fertigstellen möchte. Einfach, weil es für mich persönlich wichtig war, abgesehen von einer möglichen Veröffentlichung. Und es war ja wirklich so, dass ich nicht unbedingt damit rechnen konnte einen Verlag zu finden, als Erst-Autorin und mit so einem brisanten Thema. Zwischendurch sind schon immer wieder existenzielle Zweifel und Fragen aufgetaucht. Zahlt sich das überhaupt aus, so ein Buch zu schreiben? Wie geht sich das ulrike-karner2Ganze finanziell aus? Mache ich da nicht einen Blödsinn und sollte lieber arbeiten gehen? Aber das Ganze hat mir einfach sehr viel Spaß gemacht, obwohl es natürlich auch Arbeit ist, sich jeden Tag für 7 bis 8 Stunden hinzusetzen und zu schreiben. Bei mir ist es zu Beginn auch recht langsam gegangen. Wenn man so wie ich wenig Erfahrung beim Schreiben hat, dauert es erst einmal eine Weile, bis man seinen eigenen Stil findet. Dann bist du mit dem Buch fertig und stellst beim Lesen fest, dass der Stil in den ersten Kapiteln noch nicht richtig passt und bist gleich wieder am Ändern, das braucht alles Zeit.

Wie ist es dann am Ende? Ist es schwierig so eine Geschichte an einem Punkt zu beenden oder würde man dann am liebsten noch alles ein wenig weiterlaufen lassen?

Das ist ein sehr gute Frage (lacht). Es war zwar in dem Sinn nicht schwer für mich, die Geschichte zu beenden, aber in Gedanken würde ich schon sehr gerne eine Fortsetzung schreiben. Wenn man sich so lange mit Figuren wie Ebru und Lena beschäftigt, die wachsen einem ja auch ans Herz.

Was hast Du für Tipps für Leute, die in einer ähnlichen Situation wie Du sind und sich schon länger mit dem Gedanken tragen, einmal ein Buch zu schreiben, sich aber andrerseits nicht recht trauen bzw. über kein Know-How dazu verfügen?

Ich kann eigentlich nur einen Tipp geben: Mutig genug zu sein, um das Ganze durchzuziehen und die Geschichte aufzuschreiben, die man im Kopf hat. In Bezug auf Techniken, Vorbereitung und Recherche kann ich nicht viel sagen, weil ich bei meinem Buch alles aus dem Bauch heraus, intuitiv gemacht habe. Für das Recherchieren habe ich viel durch mein Psychologie-Studium gelernt, aber ich denke, beim Schreiben muss jeder seinen eigenen Weg finden. Das Wichtigste was man braucht, ist einfach Mut. Es gibt auch viele Geschichten von Autoren, die ihre ersten Manuskripte nicht gleich veröffentlicht haben, so gesehen hatte ich also großes Glück, aber man darf einfach nicht aufgeben.

Wie ist bis jetzt das Feedback auf Dein Buch?

Bis jetzt sehr positiv. Was mich besonders freut, ist der Umstand, dass ich auch viel Zuspruch von heterosexuellen Lesern bekomme, also nicht nur von homosexuellen Lesern. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass in "Allah und der Regenbogen" ja auch eine heterosexuelle Geschichte verpackt ist, deshalb kann sich auch ein heterosexueller Leser bzw. Leserin mit meinem Buch identifizieren. Das war mein Ziel, denn es ist ja auch im Leben so, dass beides nebeneinander besteht.

Letzte Frage, wie sind deine Pläne für die Zukunft?

Wenn möglich würde ich sehr gerne eine Fortsetzung von "Allah und der Regenbogen" bzw. ein neues Buch schreiben. Im Moment ist zwar nicht absehbar, wann das sein wird, aber ich hoffe, es wird nicht allzu lange dauern.

Danke für das Gespräch! (Das Interview führte Robert Fischer)


ulrike-karner-allah-regenboBuch-Tipp:
Ulrike Karner: Allah und der Regenbogen
Verlag: Ulrike Helmer Verlag (2010)

Paperback
350 Seiten
ISBN 978-3-89741-296-5