Leichte Literatur mit schwerem Inhalt, schwere Entscheidungen mit leichten Zweifeln und leichtes Suchtpotenzial mit schwer durchzuführenden Pausierungen beim Lesen bietet "Wenn ich bleibe", der neue Roman von Gayle Forman. Für Bücherratten im Strandurlaub oder an einem verregneten Sommertag ein gefundenes Fressen.
Entscheidungen zu treffen fällt oft schwer. Vor allem dann, wenn beide Wege auf ihre eigene Weise verlocken. Die 17-jährige Mia ist das Paradebeispiel einer Außenseiterin: als einzig Dunkelhaarige mit braunen Augen in ihrer blonden, blauäugigen Rocker-Familie steht sie auf klassische Musik. In der Schule bekannt als Streberin ist die gleichgesinnte Kim ihr Fels in der Brandung und lässt das "Anders-Sein" erträglich erscheinen. Und in der Szene ihres coolen Freundes Adam, der selbst Frontman einer aufstrebenden Punkrock-Jungband ist, fällt Mia auch eher durch ihre langweilige äußerliche Erscheinung, eingehüllt in Jeans und Pulli, auf. Ihr Leben ist also durch und durch geprägt von den Fragen "Wer bin ich?" und "Wo gehör ich eigentlich hin?". Doch in der klassischen Musik und vor allem in seinem Cellospiel findet dieser andersartige Teenager einen Anker, einen Aussichtspunkt und Ruhepol und die Bestätigung, dass es gut ist, so wie er ist. Doch dann kommt die nächste zu bewältigende Hürde: Eine Entscheidung, die die gerade zu Ruhe gekommene Basis der jungen Musikerin erschüttert. Die Möglichkeit auf einem der größten Konservatorien für klassische Musik in Amerika zu studieren flattert ins Haus und mit ihr die Frage "Soll ich gehen oder bleiben?". Und als dieser Entscheidungsprozess innerlich mit all seinen Höhen und Tiefen gerade so richtig im Gange ist, geschieht etwas Unvorhersehbares. Ein Autounfall lässt die 17-Jährige alleine, ohne Familie zurück. Im Koma. Nun beginnt das eigentliche Entscheidungswirrwarr. Gehen oder bleiben, leben oder sterben? Als Außenstehende, außerhalb ihres Körpers, erlebt die Protagonistin jegliche Gefühlsausbrüche, Verzweiflung und emotionale Äußerungen der ihr nahestehenden Personen mit. Sie findet sich selbst in vergangenen Momenten, die die Leser zu Tränen zu rühren vermögen, wieder und durchlebt alle nur erdenklichen Möglichkeiten in dem Vorgang einer wortwörtlich Lebens-wichtigen Entscheidung. ">>Hör mir gut zu<<, sagt er mit einer Stimme, die wie Bombensplitter klingt. Jetzt öffne ich die Augen weit. Ich setze mich auf, so gut ich kann. Und ich höre zu. >>Bleib hier. [...] Es gibt kein Wort, das dem, was dir heute passiert ist, gerecht wird. Es gibt nichts, was man daran positiv sehen könnte. Aber es gibt noch etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Und ich rede nicht von mir. Es ist nur... [...] Ich weiß, dass alles auch dann schrecklich ist, wenn du hierbleibst, und ich bin nicht so blöd zu glauben, ich könnte irgendetwas daran ändern. Das kann niemand. Aber ich kann mich einfach nicht mit der Vorstellung abfinden [...], dass du nie nach Juilliard gehen und niemals dein Cello vor einem riesigen Publikum spielen wirst, dass du ihnen nie Schauer über den Rücken jagen wirst, wie ich sie jedes Mal bekomme, wenn du deinen Bogen in die Hand nimmst, jedes Mal, wenn du mich anlächelst.<<" In einfacher Sprache, durchwebt mit vielen kleinen Rückblicken, vermittelt Gayle Forman in ihrem neuen Roman die Lebensgeschichte eines 17-jährigen Mädchens, das nicht besonders besonders zu sein scheint. Aber in ihrer Einfachheit, in ihrer Alltäglichkeit lassen sich immer wieder kleine Glücksmomente und wunderschöne Situationen des Geborgen- und Zufriedenseins erkennen. "Wenn ich bleibe" ist ein berührender Roman über die Musik, die Liebe, über Freunde und Familie. (Nathalie Wessely)
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