oswald-von-wolkensteinDer neben Walther von der Vogelweide bedeutendste deutschsprachige Lyriker und Minnesänger des Mittelalters - Oswald von Wolkenstein - erhält vom Lyriker und Sänger Gerhard Ruiss eine voll- und anständige Nachdichtung.

Waren es im ersten Band "Und wenn ich nun noch länger schwieg'" (2007) Lieder über Liebe, Gelage und Politik so zeigte Gerhard Ruiss im zweiten Band "Herz, dein Verlangen" (2008) die sehnsüchtige und melancholische Seite des letzten Minnesängers auf. Im vorliegenden dritten und abschließenden Band mit dem Titel "So sie mir pfiff zum Katzenlohn" (2010) stehen die späten Lieder von Oswald von Wolkenstein im Zentrum. Diese drehen sich um den geplagten Ehemann, um den jammernden Saufbruder, um die schöne Angebetete, aber auch um Reise und Tod. Die Lyrik des Südtirolers - er ist um 1377 in Schöneck (Tirol) geboren, 1445 in Meran gestorben und war nicht nur Minnesänger und Dichter, sondern auch Staatsmann - ist dabei von einer hohen formalen und sprachlichen Virtuosität geprägt, die Gerhard Ruiss wiederum - er ist 1951 geboren und ist nicht nur Autor und Musiker, sondern auch Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren - sehr geschickt in ein heutiges Sprachbild zu formen verstand. Oswalds lyrisches Oeuvre kann dabei nicht unabhängig von seiner Leistung als Komponist betrachtet werden, da er Wort und Melodieführung aufeinander abgestimmt hat - eine zeitgenössische musikalische Adaption fehlt allerdings noch - und er schrieb auch Liebeslieddialoge, wie z.B. "Mit günstlichem herzen" - bei Ruiss wurde dieser Liebesdialog "Die dich liebt von Herzen" getitelt: "Wangen, dicht an dicht / mein Herz klopft wild / ganz wie ich's soll / untadelig / Soviel ich kann / will ich dich preisen / preist du mich mehr / nehm ich's gern hin / Wie du mir's zeigst / mach's ich dir nach."

Vieldeutigkeit und Mehrschichtigkeit

Komplexe formale Gefüge betten sich in einzelne Textelemente ein - sei es Syntax, Stil, Metrik, oder Reim- und Strophenschema, sowie natürlich die bereits erwähnte musikalische Struktur - was inhaltliche Vieldeutigkeit und Mehrschichtigkeit mit sich bringt. Hier war der zeitgenössische Poet gefordert, zum Glück aber nicht überfordert, denn Ruiss - ich wiederhole mich hier gerne - meisterte die Wolkensteinschen Steilvorlagen bravourös und konsequent, egal, ob es sich um politisch engagierte Lieder, Altersklagen, deftige Trink- und Tanzlieder, oder ob es sich um erotisches, spöttisches, religiöses oder formal um 37-versige Stollenstrophen (wie z.B. "Es weht daher vom Orient" in Band 1) handelt. Zu lesen gibt es Texte von expressiver Kraft, intime Momente und realistische Versatzstücke und sehr viel Zeiten überdauerndes. "Mit Selbstgefallen ist die Welt / und voll mit Toren angefüllt / wie man sie um sich sieht" heißt es z.B. in "Um nur für dieser Erde Lust", einem Text mit starken sozialen Komponenten ("...der Geiz, der keinen Boden hat / hält dich gefangen bis zum Tod") und gespickt von Weisheiten, die Altersklugheit und Wortgewandtheit ausstrahlen, oder wie Ruiss Wolkenstein nachdichtet: "Alt werden wollen, jeden Tag / und sind wir es, dann wird geklagt / weil keiner alt sein mag." 600 Jahre nach ihrer Entstehung erweisen sich die vorliegenden Texte als überraschend lebendig und gar nicht alt, zudem dienen sie hervorragend als gegenwärtige Reiseliteratur. Wer sich darauf einlässt, weiß warum, und wer es schon vorher wissen möchte: Oswald von Wolkenstein verließ mit zehn Jahren die Heimat und bereiste ganz Europa und den Orient. Die Buchpräsentation findet am 22. April um 19 Uhr in der Alten Schmiede (Wien) statt. (Manfred Horak)

ruiss-wolkenstein1ruiss-wolkenstein2ruiss-wolkenstein3Buch-Tipp:
Gerhard Ruiss / Oswald von Wolkenstein: So sie mir pfiff zum Katzenlohn
Lieder. Nachdichtungen. Band III
Mit Originaltexten im Anhang
Bewertung: @@@@@@
Verlag: Folio (2010)
ISBN 978-3-85256-523-1