Ein alter Meister als Theatermacher, naturgemäß. "Österreich selbst ist nichts als eine Bühne: Thomas Bernhard und das Theater" ist das Begleitbuch zur Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum, herausgegeben von Manfred Mittermayer und Martin Huber.
Nur wenige hatten die Gabe, gleichermaßen eindringlich wie sprachgewaltig und dennoch voll Humor, in die Absurditäten und Kämpfe des menschlichen Daseins hineinzuleuchten und diese noch so berührend aufzuschreiben. Es ist daher wohl müßig, Thomas Bernhard als einen der ganz großen deutschsprachigen Dichter des vorigen Jahrhunderts zu preisen. Angesichts der poetischen Fülle seines Werks und der im Wiener Theatermuseum gezeigten Ausstellung zu seinem dramatischen Schaffen (zu sehen bis 4. Juli 2010; kuratiert von Manfred Mittermayer und Martin Huber) ist es doch erneut angebracht. Die Ausstellung selbst ist umbaubedingt im Erdgeschoß des Theatermuseums zusammengedrängt, bietet aber auf diesem kleinen Raum viele Anknüpfungspunkte an das großartige dramatische Werk Bernhards.
Einerseits
Eine Freiluftinstallation mit dem legendären "Beschimpfungsmonolog" des Professor Robert Schuster (eindrucksvoll gesprochen von Wolfgang Gasser) aus "Heldenplatz" lässt einen genussreich die Wucht der Sprache erleben, mit der Thomas Bernhard seine Theaterfiguren ausstattete. Im ersten Teil der Ausstellung (tituliert "einerseits") kreisen alle gezeigten Exponate (Briefe, Zeitungsartikel, Typoskripte) und Installationen (gefilmte Ausschnitte aus den Aufführungen) rund um die beiden aus den späten 1980er stammenden Wiener Aufführungen "Heldenplatz" und "Ritter, Dene, Voss", die unter der Direktion und in der Regie Claus Peymanns sicher zu den Sternstunden von Burg- und Akademietheater gezählt werden können. Und voller Schadenfreude darf ich mich sowohl den penibel gebügelten Hemden des Professor Schuster als auch den absurden und die grenzenlose Dummheit ihrer Autoren und Wortspendern offenbarenden Zeitungsmeldungen der Bernhard-Kritiker hingeben. Natürlich fehlt hier auch nicht die legendäre Bildmontage des brennenden Burgtheaters aus der Kronen Zeitung, die hier unfreiwillig aber nicht unwesentlich durch dumpfeste Vorverurteilung und Kunsthetze zum Gelingen des Gesamtkunstwerks "Heldenplatz" beigetragen hat.
Andererseits
Im zweiten Raum ("andererseits") werden Bernhards große Erfolge bei den Salzburger Festspielen und - wie sollte es anders sein - auch seine von seinen Gegnern daraus abgeleiteten "Skandale" (Notlicht, Mistfliegen), die aus heutiger Sicht alle recht simpel und lächerlich erscheinen, zusammengestellt. Seine Anleihen aus der Medizin (Hirnsektion aus der Pathologie), seine große Liebe zur Musik (Forellenquintett, Zauberflöte) und seine absolute Hingabe ans Theater werden hier auf kleinem Raum erleb- und begreifbar. Das Begleitbuch zur Ausstellung ist eine schöne, chronologische Sammlung von Fotos und Aufführungsgeschichte, ergänzt durch kleine Texte von Germanisten und Weggefährten (Bibiane Zeller, Bernhard Minetti, Bruno Ganz, Traugott Buhre, Claus Peymann) dieses wunderbaren, leider früh verstorbenen österreichischen Dichters.
Das Testament
Um ein Faktum schwindeln sich alle Beteiligten sowohl der Ausstellung als auch des Buches herum: Thomas Bernhard hat in seinem Testament für die Zeit seiner Autorenrechte (bis 70 Jahre nach seinem Tod) jegliche Aufführung seiner Werke in Österreich verboten. Er wusste natürlich, dass er mit seinem Tod sofort vom Staatsfeind zum verklärten, verhätschelten Nationaldichter werden würde und wollte sich mit Recht diesem peinlichen Schauspiel in der Weltkomödie Österreich entziehen. Nicht einmal zehn Jahre hat seine letzte Verfügung gehalten, dann hatte man sich in Österreich wieder des dichterischen Leichnams bemächtigt. Und heute sitzen dieselben lautstarken, selbsternannten Kulturkundigen, die damals dem Dramatiker den künstlerischen Tod oder jedenfalls den Landesverweis an den Hals wünschten, selbstgefällig und mit einem amüsierten Lächeln in der Loge der großen Theater. Thomas Bernhard ist hier gescheitert. Nicht literarisch, keineswegs. Aber gescheitert damit, sich energisch dagegen zu wehren, von diesen eigenartigen Menschen als "unser Thomas, unser Nationaldichter" vereinnahmt zu werden. Seinem Werk tut das keinen Abbruch. Aber ein klein wenig Scham im Angesicht ihres krassen künstlerischen und menschlichen Fehlurteils stünde diesen österreichischen "Patrioten" von damals schon sehr gut an. Empfehlung: Ausstellung ansehen, Buch lesen! (Tristan Jorde)
Buch-Tipp:
Manfred Mittermayer und Martin Huber (Hrg.) - Österreich selbst ist nichts als eine Bühne: Thomas Bernhard und das Theater
Bewertung: @@@@@
Verlag: Christian Brandstätter Verlag (2009)