Der alte Bedford-Lieferwagen wird zunächst in der Straße vor Bennetts Haus hin und her geschoben um dem Unmut der Behörden zu entgehen. 20 Jahre (von 1969 bis 1989) lang gehört Miss Shepards rolltaugliche Wohlhöhle zu Alan Bennetts Alltag unter den Exzentrikern von Camden. Die ersten Jahre vergehen in distanzierter Beobachtung.
"Zwischen unserem gesellschaftlichem Status und unserem gesellschaftlichem Engagement klaffte eine Lücke. In diese Lücke konnte sich Miss Shepard mit ihrem Lieferwagen einnisten." Es ist für die Anrainer gar nicht so leicht, wohlmeinende Formen der Mildtätigkeit anzubringen ohne mit schwingendem Stock und Gezeter verfolgt zu werden. In einem schwachen Moment gewährt Alan Bennett der resoluten Dame Zuflucht in seiner Garteneinfahrt, wo sie sich nach und nach in Richtung Schuppen und ordentlichem Anschluß an das Stromnetz verbreitet. Es reift in ihr der Wunsch in den Rundfunk zu kommen, sie könnte doch bei der BBC eine eigene Sendung gestalten. Mit Mr. Bennetts Hilfe wäre das doch sicher kein Problem. Gar nicht so einfach in Würde Grenzen zu ziehen ohne Miss Shepard bloßzustellen. Abseits ihrer Schrullen läßt sich der fragwürdige sanitäre Aspekt des Lebens im Lieferwagen nicht leugnen. Einerseits legt Miss Shepard wert auf ein Schild, das festhält, dass der strenge Geruch in Bennetts Vorgarten vom Misthaufen stammt. Andererseits möchte man auch nicht wissen, was die Plastiksäckchen enthalten, die morgens aus der Tür geworfen werden. Man arrangiert sich. Sie setzt alles daran, ihre behagliche Höhle zu erhalten. Er versucht (vergeblich) die ärgsten Auswüchse (z.B. zunehmend vermodernde Teppiche am Wagendach) zu verhindern. Alan Bennett (geb. 1934 in Leeds) ist einer der populärsten Dramatiker Englands. Sein Stück "History Boys" wanderte vom National Theatre an den Broadway, wurde dort mit sechs Tony Awards ausgezeichnet und inzwischen auch verfilmt. In Großbritannien sind seine Kurzgeschichten im Reclam-ähnlichen Kleinformat von Profile Books längst beliebte Kassenware in den großen Buchtempeln. Endlich wird der Autor auch am deutschen Markt wahrgenommen. "Die souveräne Leserin" bescherte dem Wagenbach-Verlag 2008 mit 290.000 verkauften Exemplaren einen Überraschungserfolg. Womit der Verlag erstmals seiner 45-jährigen Geschichte schuldenfrei dasteht. "Die Lady im Lieferwagen", erstmals 2004 als Hardcover erschienen, wurde 2009 als Taschenbuch neu aufgelegt. Im Verlagsprogramm finden sich noch einige andere Titel von Alan Bennett. Besonders zu empfehlen ist Handauflegen, sowie der skurrile Streich "Cosi fan tutte" (ein Ehepaar kommt nach einem Opernbesuch nach Hause und findet eine bis auf den Klopapierhalter an der Wand komplett ausgeräumte Wohnung vor). Für Februar 2010 wird eine Übersetzung des ersten Teils der berühmten "Talking Heads"-Monologe in Aussicht gestellt. (Christine Koblitz)
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