Das nach elf Jahren im Haymon Verlag wieder aufgelegte Werk "Leonardos Hände" von Alois Hotschnig erzählt anhand der auf Schuld basierenden Beziehung zwischen einem Rettungssanitäter und einer Drogensüchtigen eindringlich und sprachgewaltig vom Leben als Schmerz, vor dem man aus Angst lieber flüchtet, als sich der Realität zu stellen.
"Über die Hände kommen wir auf die Welt." Zu dieser Einsicht gelangt die drogenabhängige Kunstgeschichte Studentin Anna Kainz vor dem Gemälde "Die Verkündigung" von Leonardo da Vinci in dem Moment, als sie ihrem Freund und Drogendealer von dem gemeinsamen Leben, das in ihr wächst, erzählt. Die Hände geben und die Hände nehmen, das Leben, den Tod und dazwischen liegt ein tiefer Abgrund. Annas Abgrund, zu welchem der Leser langsam und schwerfällig hingeführt wird und dabei über viele stockende Formulierungen hüpfen und sich durch mantraartig wiederholte Sätze lesen muss. Das Buch ist primär Sprache und Spiel, sekundär Inhalt. Denn die Information die der Leser zu Beginn erhält, referiert auf das Leben des Rettungssanitäters Kurt Weyrath, dessen Beruf Ausdruck seines Versagens ist. Die Arbeit wird für ihn zur Belastung, das Leid der anderen bleibt ständig präsent und Kurt resigniert vor dem Leben. Er verliert sich selbst, vertraut weder sich selbst noch anderen, glaubt an nichts und niemanden mehr und vegetiert genauso dahin wie die Komapatientin Anna, an deren Zustand er die Schuld trägt. Und sie wacht auf Kurt begeht Fahrerflucht. Zwei Menschen sterben, die Eltern Annas. Sie verfolgt ihn inEs beginnt alles ganz anders. Zuerst liest man Stimmen, seitenlange Monologe mit immer wiederkehrenden gleichen Worten, Tönen und Buchstaben zumal religiösen Inhalts über das Leiden und den Schmerz der Patienten, die man als Leser keiner konkreten Figur zuordnen kann. Gedanken sind es, die sich regelmäßig mit Tagebucheinträgen Kurts abwechseln, in welchen man sehr schemenhaft von dem Unfall erfährt, den der Rettungsfahrer verursacht hat. Seinen Gedanken, mehr als alle anderen kranken Menschen mit denen er täglich konfrontiert wird und die er nicht vergessen kann, die Lebenden mehr als die Toten. Um Vergebung für seine Tat zu erlangen, sucht er nach Anna und findet sie nach elf Monaten in einem Spitalsbett, um von da an an ihrer Seite zu wachen, ihre Hand zu halten, sie zu streicheln, mit ihr zu sprechen und ihr beim Aufwachen zu helfen. Und sie wacht auf. Nach vielen Monaten und weiteren Einblicken in sein Denken, die vom Leser höchste Konzentration erfordern, beginnt sie langsam zu sprechen und noch langsamer sich ihm anzuvertrauen. Sie zieht bei ihm ein, sie werden abhängig von einander, brauchen einander als Recht zu leben, als Chance für einen Neubeginn, als Relativierung der Schuld. Denn auch Anna hat "gesündigt". Wiederholungen und Wortumwandlungen Erst sehr spät erfährt der Leser von Annas Reisen und von Annas Freund, dem Pharmazeut und Drogendealer, der sie abhängig machte vom Heroin, um seine Träume zu träumen, freiwillig und lange. Aus "Blindheit, verstehst du, Abhängigkeit, Hörigkeit, Nichtigkeit, ich, nie mehr ich, dachte ich, sagt sie." gehört sie ihm bis zu dem Zeitpunkt als sie schwanger wird und sie sich von ihm lösen möchte. Doch weil er sie nicht gehen lassen kann, müssen Menschen geopfert werden... Der schnelle Rhythmus, den der Autor durch die ständigen Wiederholungen und Wortumwandlungen erzielt, führen den Leser eher vom Buch weg als in das Geschehen hinein, denn die Geschichte über Liebe und Tod, Schmerz und Flucht, Abhängigkeit und Angst die sich relativ spät in einen Krimi verwandelt, ist zu ernst, um in rasantem Tempo durchgelesen zu werden. Genau dazu verleitet jedoch die Sprache Hotschnigs und das Ende bleibt auch deswegen unklar, da er versucht die Relevanz von Schuld, Abhängigkeit und Liebe in zu kurzer Zeit aufzulösen und damit mehr verwirrt als erklärt. (Daniela Unfried)
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