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ars12-u19ceremonySogar ein Zukunftsfestival ist irgendwann mal Vergangenheit. Was beim Ars Electronica Festival 2012 in Linz gezeigt, gedacht, welche Wünsche kurzfristig erfüllt wurden, wie Ozeane nach Ölkatastrophen gereinigt werden können, wie das große Bild der täglichen Rebellion aussieht und wie all das und noch viel mehr zukunftsfähig ist, davon berichtet Julie Larssen.

Gesucht wurden bei der Ars Electronica 2012 mehrdimensionale Sichtweisen auf "The Big Picture". Die beim Festival präsentierten Projekte und Arbeiten zeigten, wie wissenschaftliche, künstlerische und gesellschaftspolitische Themen nicht losgelöst voneinander existieren, sondern nur durch Interdisziplinarität und Sichtbarmachung der globalen Wechselwirkungen vollständig beschrieben werden können.

Mitgestaltung eines Gruppenbildes

Jedes Projekt und jede/r BesucherIn stellten ebenso ein Pixel im Festival Gesamtbild dar und vom Besucher war beispielweise für das "Open Cloud Project", also für die partizipativ gestaltete Klangwolke, Mitbeteiligung in Form von Einsendung eigener, einminütiger Klangminiaturen, Buchstabenbasteln für das Klangwolken-ABC im Ars Electronica Center oder Mitgestaltung eines Gruppenbildes aller Klangwolkenbesucher gefragt.

Die kurze Erfüllung eines Wunsches

Visuell wartete die voestalpine Klangwolke mit einigen technisch aufwendigen Effekten auf: LED Leuchtanzüge, beeindruckend präzise Gebäudebeleuchtungen und das Buchstabenmeer wurden alle zentral via Funk gesteuert und die fünfzig im Futurelab entwickelte, satellitengesteuerte "unmanned arial vehicles" tanzten bunt am Linzer Nachthimmel. Das Finale bestritten die tausenden blauen LED Kugeln des Amanogawa Projektes, die am gegenüberliegenden Donauufer symbolisierend uars12-everyday-rebellionnsere Wünsche trugen und den Wunsch nach einer schönen blauen Donau für einen kurzen Moment erfüllten.

Big Picture: Everyday Rebellion

Viele anregende Symposien liefen parallel während der Festivaltage und belegten, wie Wissenschaft und Kunst gerne symbiotische Beziehungen eingehen. Das Big Picture Symposium zeigte auf, wie wichtig bildgebende Verfahren sind, um die Vielzahl an wissenschaftlich erhobenen Daten über unser Dasein begreifbar zu machen. Das umfassende Crossmedia Projekt der Brüder Riahi (AT) Everyday Rebellion war namensgebend für den dritten Big Picture Symposiumstag und würdigte AktivistInnen, die sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr begeben und weltweit politischen Widerstand leisten. Die Pixelspaces Conference bot unter anderem Einblicke in laufende Erfindungen, welche im Ars Electronica Futurelab ausgetüftelt werden und oft sozial relevanten Problemstellungen gewidmet sind. Unter www.ohmi.org.uk  ist ein Wettbewerb zur Entwicklung von Instrumenten für Menschen mit Behinderungen ins Leben gerufen worden, das Projekt openAIR von Veronika Pauser und Vanessa Schauer (AT) gemeinsam mit Radio FRO und impulse wird es Menschen mit Cerebralparese ermöglichen, ein Radiostudio zu bedienen. Die interaktive Installation "Zeitraum: A symbiotic Form of Life at Vienna Airport" (ein Auftragswerk der Flughafen Wien AG) begleitet wiederum Reisende auf ihrem Weg zum Flugzeug und verarbeitet die Passagierströme, sodass jeder vorbeiziehende Reisende seine Spur hinterlässt.

Glaserzeugung durch Sand und Sonnenlicht

Die Objekte der im OK gezeigten Cyberarts 2012 Prix Ars Electronica Exhibition, die noch bis ars12-solar-sinter-projectzum 6. Oktober 2012 zu sehen ist, erschließen sich dem Betrachter leichter als in den Jahren zuvor, weil sie weniger künstlerisch-abstrakten, sondern informativ-konkreten oder verspielten Charakter haben. Einige Installationen beschäftigen sich erfreulicherweise mit Umweltverbesserung oder alternativer Energiegewinnung, das Solar Sinter Project von Markus Kayser (DE) wurde mit einer Auszeichnung bedacht. Diese mobile Glaserzeugungs-Minifabrik braucht zur Herstellung des Rohstoffes Glas ausschließlich den in der Wüste vorhandenen Sand und das Sonnenlicht.

Reinigung der Ozeane nach Ölkatastrophen

Die Tanzperformance Un réseau translucide ist das neueste Projekt der Tänzerin und Choreografin Prue Lang und realisiert eine in sich zu 100% energieautarke Tanzvorstellung, bei der die Performer den Strom selbst erzeugen. Die Open Source Sailing Drone Protei wiederum kann im Schwarm zur Reinigung der Ozeane beispielsweise nach Ölkatastrophen eingesetzt werden und wurde von einer global community erfunden, deren Mitglieder hauptsächlich Ingenieure und Industrial Design Artists sind. In der Kategorie Hybrid Arts bekam die Videoinstallation "Game Border" von Jun Fujiki (JP) einen Anerkennungspreis und es machte wirklich Spaß, die historisch-chronologisch ineinander übergeleiteten Videospiele durchzuspielen und die eigene Erfolgskurve im videogaming zu testen.

Zukunftsfestival der nächsten Generation

Das Ars Electronica Center bot neben der Ganzjahresschau, welche von Robotics bis Bedrohung der persönlichen Datenschutzsphäre alle wichtigen technologisch-gesellschaftlichen Entwicklungen aufgreift, ein sars12-deep-spacepannendes Festivalprogramm im Deep Space und eine kompilierte Leistungsschau aller eingereichten Animationsfilme. Nicht zu vergessen das "u19 Create your World Zukunftsfestival der nächsten Generation", welches neben dem AEC ein buntes, jahrmarktähnliches Szenario für Menschen unter 19 Jahren bot und die große Konzertnacht "Resonant Bridges" am 2.9. mit dem Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davis. Kritisch zu erwähnen wäre noch die im Brucknerhaus unter Interface Cuisine gezeigte Installation "Poo Printer". Das zukunftsfähige, große Bild scheint hier den Kuratoren verlorengegangen zu sein, wenn sie behaupten, dass vier während des ganzen Festivals im Käfig eingesperrte Zebrafinken, welche Kotspuren im Muster von Buchstaben auf Packpapier hinterlassen, eine für den Besucher nachvollziehbare "hybride, künstlerische und wissenschaftliche Untersuchung der physiologischen, mechanischen und sozialen Dynamiken von Vögeln in einer simulierten Fabriksumgebung" darstellen. Das Ars Electronica Festival 2012  fand vom 30. August bis 3. September 2012 in Linz statt.

Text: Julie Larssen
Fotos: rubra: Deep Space / Solar Sinter Project / u19 Ceremony Prix Ars Electronica; Shadi Yousefian: Everyday Rebellion