Die Autorinnen Evemarie Wolkenstein und Katharina Rubi-Klein sind Ärztinnen für Akupunktur, Ernährungsmedizin und Präventionsmedizin. Sie haben mit "Was ernährt uns wirklich?" eine west-östliche Kulturgeschichte des Essens geschrieben. Das allein wäre noch keine Besonderheit. Was dieses Buch so speziell macht, ist die ganzheitliche Herangehensweise an das große Thema Ernährung. Die Autorinnen heischen nicht nach kurzgreifenden Erfolgen, indem sie der Leserschaft die neueste, die beste und überhaupt die ultimative Diät verkaufen wollen. Ganz im Gegenteil, mit trockenem Humor spüren sie zielsicher den Ernährungslegenden unserer Zeit nach, führen ganz nebenbei in die wichtigsten Grundbegriffe der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ein, und erklären anschaulich, warum Schlankheitspillen langfristig nicht funktionieren können.

Schmerzhafte Legenden, oder: Der Darm ist unser Bauchhirn

Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Theorie und Praxis. So manches Fallbeispiel aus der täglichen Erfahrung der beiden Ärztinnen gibt darüber Auskunft, wie vordergründig seltsame "Phänomene" mittels TCM Analyse in einem neuen Licht erscheinen und den Patient/innen nachhaltig gehofen werden kann. Eine Episode bleibt in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung. Sie erzählt von einer Patientin, die über krampfartige Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall klagt. Starke Kopfschmerzen und chronische Müdigkeit komplettieren das Krankheitsbild. "Reizdarmsyndrom, wahrscheinlich psychisch bedingt", hieß es in jenem Fall von ärztlicher Seite und, "die Patientin möge doch ihren Stress reduzieren". - Eine Erklärung, die eindeutig zu kurz greift. Die Frage der TCM Ärztinnen, was die Patientin denn an Nahrungsmitteln zu sich nehme, offenbarte schließlich Erstaunliches: Zum Frühstück ein Frischkornmüsli mit Früchten, Nüssen und Milch, zu Mittag und Abend Gemüse und Obstsalat, als Zwischenmahlzeit wieder Obst (5-mal Obst pro Tag nach der Nahrungsmittelpyramide!) und ein Vollkornbrot mit Butter und Käse. Die Patientin, welche von Beruf Diätassistenin ist, handelte in gutem Glauben und trotzdem völlig verkehrt. Denn Rohkost und Vollwertprodukte in dieser hohen Dosierung schaden mehr als sie nützen und überfordern die Verdauung in höchstem Maße. Fakt ist, dass die Vollwerternährung, wie sie heute propagiert und praktiziert wird, mehr schadet als nützt. Ein warmes Essen pro Tag wäre daher bereits ein wichtiger Schritt, um den Darm zu entlasten.

Schnelles Essen muss nicht ungesund sein

Man muss kein Gesundheitsapostel sein, um dieses Buch zu "verschlingen". Manche Informationen sind so grenzwertig, dass sie einen an den Film "Brust oder Keule" mit Louis de Funès denken lassen. Die ausführliche Beschreibung einer Instanthühnersuppe führt die geneigte Leserschaft in die Welt des Küchengrauens und des Glutamats. Außerdem wird sehr präzise berichtet, wie die bedauernswerten Lebensmittel gehärtet, fraktioniert, verflüssigt, gekühlt, kristallisiert und mit Aromen und Farben versetzt werden. Fettaugen gewünscht? Kein Problem, denn das ist eine Herausforderung für jeden Food-Designer. Spätestens an dieser Stelle ist man von der Sinnhaftigkeit selbstgekochten Essens überzeugt. Das 7. Kapitel "Gesundes Fast Food" lässt das Buch herzhaft und kulinarisch ausklingen. Die 10 Rezepte sind leicht nachzukochen, schnell zubereitet und beinhalten interessante Zusatzinfos über die enthaltenen Inhaltsstoffe und die Bedeutung der verwendeten Nahrungsmittel in der TCM. Übrigens - eine gute Nachricht für alle Vitaminsüchtigen: Auch im Winter überfällt uns nicht der große Vitaminmangel! Verschiedene Kohlsorten, Rot- und Sauerkraut, Kürbis, Lauch und Zwiebeln sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Richtig zubereitet wärmt uns dieses Gemüse auch. Es ist also nicht notwendig, im Winter Zitrusfrüchte aus dem Süden in großen Mengen zu importieren und zu konsumieren. Zitrusfrüchte wirken kühlend und befeuchtend, daher ist diese Wirkung im Winter kontraproduktiv.

Nahrungsmittel sind Heilmittel...

...dieser Ausspruch stammt vom legendären Shen Nong (2500 vor unserer Zeitrechnung), der als erster "Pharmakologe", im Selbstversuch giftige und ungiftige Pflanzen,Tiere etc. getestet und nach bestimmten Kriterien bewertet hat. - Wolkenstein und Rubi-Klein bringen es am Ende ihres Buches ebenfalls auf den Punkt: Es liegt an uns, welche Lebensmittel auf den Markt kommen. ... Es liegt an uns, ob wir uns von der Nahrungsmittelindustrie Nahrungsmittelimitate vorsetzen lassen, ohne zu hinterfragen, welche Zusatzstoffe zum Einsatz kommen. Es liegt an uns, ob wir uns mit unserer Ernährung gesund erhalten oder krank essen. (Evelyn Blumenau)