Via Internet verbreitete sich die Nachricht, für einen Film würden Komparsen gesucht werden. Ort und Zeit des Filmdrehs waren angegeben, ebenso die Gage, und um die neuen Leinwandhelden nicht zu verschrecken wurde ihnen mitgeteilt, dass sie in "normaler" Kleidung zu erscheinen und für ihr Geld quasi nix zu tun hätten – da sein sollten sie halt. Mehr als 4000 Menschen unterschiedlichsten Alters und Körperform folgten diesen Aufruf und erschienen an einem dieser knallheißen Tage des Jahres 2007 zum Filmdreh ihres Lebens. Im Innenhof der Musikuniversität Wien versammelte sich die Menge, wurde in Gruppen eingeteilt und jeder einzelne suchte sich seinen Platz in der ihm zugewiesenen Gruppe, immer dem Auftrag gehorchend, sich nicht zu weit von seinem Gruppenleiter wegzubewegen. Die Informationen, was denn da so alles passieren würde, kamen spärlich und in sich widersprechender Form. "Alle müssen vor Beginn des Drehs wieder rausmarschieren aus dem Innenhof und dann geordnet wieder einmarschieren" war eine davon, eine andere lautete, dass auf das Kommando "Film ab!" jeder sich zu erheben habe und auf dem ihm zugeordneten Quadratmeter 90 Minuten still zu stehen habe, was vielen, nicht nur auf Grund der hohen Temperaturen, den Schweiß auf die Stirne und unter die Achseln trieb.
Flüchtigkeit und Prozesshaftigkeit
Laut "Storyboard" sollte das Kommando "Film ab!" um 15 Uhr erfolgen. Die Kameras waren für jeden leicht ersichtlich bereits auf den Dächern aufgebaut und die Gruppenleiter vertieften sich in ihre Tabellen und studierten ihre Anweisungen. Die Spannung unter den "Filmstars" stieg, "wo werde ich stehen müssen", "wer wird neben mir stehen", "werde ich in der prallen Sonne stehen oder darf ich im Schatten stehen"?
15 Uhr und nix passiert. Die Sonne knallt runter und die Stars im grellen Licht fangen an, die Mitbewerber für den "Oscar" im Schatten zu beneiden. Zwanzig Minuten später passiert noch immer nix, Gerüchte vom baldigen Abmarsch und dem zwangsläufig wieder folgenden Einmarsch machen die Runde. Der Eine oder die Andere wollen gesehen haben, dass "es dort schon losgeht". Nüsse, nix geht los!
Das Kommando "Film ab!" erfolgte unhörbar, was hier passiert ist ein Projekt der Bundesimmobiliengesellschaft die einen Wettbewerb ausgeschrieben hat. Statt der herkömmlichen Idee, in eine gebaute Struktur dauerhaft gestalterisch einzugreifen, stehen bei "Film ab!" Kriterien wie Flüchtigkeit und Prozesshaftigkeit im Vordergrund.
Es geht nicht darum, der Architektur einen Stempel aufzudrücken, sondern auf deren Nutzungspotenzial zu verweisen, ohne einen konkreten Nutzen.
Das filmische Projekt von Nicole Six und Paul Petritsch ist gelungen, es wurde nichts konzipiert, es wurde kein Kommando gegeben und es lief kein "Film ab!" Nichts blieb an den baulichen Gegebenheiten haften, das "Sit In" entwickelt eine Eigendynamik.
Gespräche werden geführt, Telefonnummern werden ausgetauscht, der Eine oder die Andere steht ganz einfach in der Gegend rum, andere lesen, die anwesenden Studenten haben ihre Skripten mit, Kontakte werden geschlossen, die Zeit vergeht.
Nach rund einer Stunde verteilen die Gruppenleiter die Gage, langsam wandern sie alle ab, jeder/jede hat neue Erfahrungen mitgenommen, jeder/jede war für, Andy Warhol sei es gesagt, für wesentlich mehr als 15 Minuten "famous", und keiner kann sich einen Reim auf das Geschehene machen.
Wien erlebte einen Event bei dem genau nichts passierte und wo doch so viel geschah. Beziehungen wurden geknüpft, Kontakte wurden geschlossen und alles passierte unter dem wachsamen Auge der Kameras – oder waren sie doch nicht auf "Record" gestellt? (akro)