Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte Foto Viennale

Ein visuelles Erlebnis: Klára Tasovská entfaltet in Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte das Leben der Fotografin Libuše Jarcovjáková in rohen, eindringlichen Bildern und fesselnden Klängen – intim, ungeschönt und zutiefst bewegend.

Klára Tasovskás "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" (OT: JEŠTĚ NEJSEM, KÝM CHCI BÝT) ist ein Film, der sich traut, anders zu sein und erhielt aus dieser Jurybegründung heraus bei der Viennale 2024 den Erste Bank Filmpreis. Es ist kein gewöhnlicher Dokumentarfilm, sondern eine visuelle Erfahrung, die sich durch eine Serie von Bildern entfaltet – ganz ohne die vertraute Struktur einer klassischen Biografie. Die Regisseurin zeigt das Leben der tschechischen Fotografin Libuše Jarcovjáková als eine pulsierende Montage von Erinnerungen und Momenten, wie in einer Art visuellem Tagebuch. Der Zuschauer taucht hier tief in eine Atmosphäre aus Intimität, Sehnsucht und absolut schonungsloser Ehrlichkeit ein.

Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte Filmstill Viennale 2024

Die Sprache der Bilder

"Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" besteht fast ausschließlich aus Libuše Jarcovjákovás Schwarz-Weiß-Fotografien, die über Jahrzehnte hinweg entstanden sind. Diese Bilder, roh und eindringlich, erzählen Geschichten von Libuše Jarcovjáková selbst und anderen Menschen am Rand der Gesellschaft: queere Szenen in Prager Clubs, Frauen, die im sozialistischen Prag um eine Abtreibung kämpfen müssen, Roma-Communities, vietnamesische Gastarbeiter und das Leben in den Straßen von Tokyo und West-Berlin. Doch es sind keine einfachen Schnappschüsse, sondern intime Porträts, die das Innere ihrer Subjekte genauso zeigen wie das Äußere – mit all der Verletzlichkeit, dem Chaos und der Lebendigkeit, die echte menschliche Begegnungen ausmachen. Klára Tasovská versteht es, diese Fotografien wie eine Erzählung zusammenzusetzen. Die Bilder folgen keiner strengen Chronologie, sondern sind lose miteinander verknüpft. Diese Erzählweise fühlt sich an, als würde man durch ein altes Fotoalbum blättern, in dem manche Seiten länger in Erinnerung bleiben als andere. Es ist ein Fluss von Momenten, die die Zuschauer in die Welt von Libuše Jarcovjáková hineinzieht.

Eine Klanglandschaft, die Bilder belebt

Was "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" besonders eindrucksvoll macht, ist die Art, wie es visuelle und akustische Elemente verwebt. Klára Tasovská unterlegt die Fotografien von Libuše Jarcovjáková mit einer sorgfältig gestalteten Klanglandschaft: das Knacken von Vinylplatten, das monotone Stampfen von Druckmaschinen, das pulsierende Leben der Großstadt. Diese Klänge erwecken die Fotomotive zum Leben und lassen den Zuschauer noch tiefer in die Szenen eintauchen. Man hört und fühlt, was in den Bildern steckt, und die gezeigte Spannung bleibt selbst in stillen Augenblicken weiterhin spürbar für die Zuschauer.

Filmstill Viennale 2024 Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

Intimität durch Worte und Bilder

Dann ist da noch die Stimme von Libuše Jarcovjáková selbst, die aus ihren Tagebüchern liest. Sie spricht mit einer Ehrlichkeit, die einen wirklich berührt. Die Fotografin erzählt von ihren Erfahrungen, Zweifeln und Hoffnungen. An vielen Stellen merkt man deutlich, wie nahe es ihr geht und so bekommt der Film eine persönliche Note. Klára Tasovská hält sich bewusst zurück und überlässt es der Fotografin, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Diese Einfachheit und Direktheit macht "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" so stark.

Ein außergewöhnlicher Zugang zur Biografie einer Künstlerin

Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte ist kein Film, den man sich einfach so anschaut. Es ist eine Reise in eine vergangene Welt, erzählt durch kraftvolle Bilder und eine fesselnde Atmosphäre. Klára Tasovská hat ein Porträt geschaffen, das ohne große Worte auskommt und dafür umso mehr Wirkung entfaltet – ein einzigartiges intimes Erlebnis für alle, die Fotografie und echte, menschliche Geschichten lieben. Klára Tasovská hat einen wundervollen Film gemacht, der sich nicht erklären, sondern erlebt werden will – und genau darin liegt seine Stärke. //

Text: Simon Doering
Fotos: Viennale
Diese Filmkritik entstand im Rahmen der Viennale 2024

Film-Infos:
Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte
Regie: Klára Tasovská

Mit: Libuše Jarcovjáková
Drehbuch: Klára Tasovská und Alexander Kashcheev
Kamera: Libuše Jarcovjáková
Ton: Michaela Patríková
Schnitt: Alexander Kashcheev
Musik: Oliver Torr, Prokop Korb, Adam Matej
Weltvertrieb: Square Eyes
Vertrieb in Ö: Polyfilm
Kinostart in Ö: Frühjahr 2025

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