"Realm of Satan" von Scott Cummings entzaubert satanistische Klischees mit einem ironischen Blick: Alltagsszenen, absurde Rituale und surreale Bilder verschmelzen zu einem faszinierend bizarren Porträt.
Realm of Satan – Filmkritik
Im Dokumentarfilm "Realm of Satan" gelingt es Regisseur Scott Cummings unsere Erwartungen an die Welt der Satanisten auf den Kopf zu stellen. In Kooperation mit der Church of Satan ist ein Werk entstanden, das die Alltäglichkeit der Satanisten ebenso zeigt wie ihre Momente der bizarren Symbolik. Wer also an "Rosemary’s Baby" denkt, in denen Okkultismus und Rituale mit unheimlicher Spannung inszeniert werden, wird hier mit einer ironischen und fast schon lakonischen Darstellung konfrontiert. Statt Teufelsbeschwörungen und blutige Opfergaben zu zeigen, lenkt der Film die Aufmerksamkeit auf den Alltag. Damit beginnt im Film ein Kampf zwischen Mystik, Absurdität, Surrealismus und einer allzu gewöhnlichen Alltäglichkeit.
Profane Bilder im Rhythmus des Okkulten
Die Bildsprache des Films ist wirklich faszinierend. Scott Cummings zeigt uns die Widersprüchlichkeit der satanistischen Welt mit statischen Aufnahmen, die fast meditativ wirken. Eine der ersten Szenen in "Realm of Satan": Eine Ziege liegt in den Wehen, und das Ringen um Geburt eröffnet den Film. Kurz darauf sehen wir eine Satanistin, die das neugeborene Tier stillt – eine absurde Szene, die doch auf seltsame Weise die Erwartungen an das Klischee von Satanisten erfüllt. Aber Scott Cummings hört hier nicht auf. Er zeigt uns auch, wie Satanisten ihren Alltag bestreiten: Einer schminkt sich sorgsam mit Corpsepaint [Gesichtsbemalung, die in der Black-Metal-Subkultur verbreitet ist; Anm.], während seine Frau die Spülmaschine ausräumt. Andere beobachten wir beim Wäscheaufhängen, Auto polieren oder beim konzentrierten Binden ihres Hexenbesens.
Der Wechsel zwischen langsamen, fast meditative Kameraaufnahmen und plötzlichen Effekten verstärkt das Erlebnis: Ein Satanist, der animierte Ziegenbeine und überproportionale Hoden trägt, stolpert unbeholfen durch eine Küche, oder die Astralseele einer Gläubigen löst sich von ihrem Körper und wandert im Mondlicht umher. Scott Cummings macht sich in "Realm of Satan" die Bildsprache der Satanisten zunutze, ohne sie zu entzaubern, und lässt ihre Selbstdarstellung zu einem Teil der filmischen Wirklichkeit werden.
Ein Wechselspiel aus Transzendenz und Banalität
Besonders spannend ist die Inszenierung der satanistischen Kirche. Hier trifft das Symbolische auf den Alltag. Magistra Peggy Nadramia und Magus Peter H. Gilmore, die Oberhäupter der Church of Satan, mixen rauchende Cocktails in einer Bar, die in leuchtendem Rot und Schwarz strahlt. Das Setting könnte einer Retro-Party entsprungen sein, aber die beiden wirken ernsthaft und konzentriert. Doch "Realm of Satan" zeigt nicht nur die humorvollen Seiten: Die Zerstörung des Hauses von Joe Netherworld durch einen Brandanschlag bringt eine bedrückende Note ins Spiel. Die Bilder dieser Tragödie erinnern an die "Satanic Panic" der 1980er Jahre und lassen uns die Bedrohung spüren, der diese Gemeinschaft ausgesetzt ist.
Eine Provokation der Konventionen
Bis zum Ende stellt "Realm of Satan" unsere Vorstellungen von Religion und Subkultur in Frage, ohne je moralisierend zu werden. Scott Cummings bleibt distanziert, er versucht nicht den tieferen Sinn hinter den satanistischen Ritualen zu finden. Was die Satanisten antreibt, bleibt weiterhin im Dunkeln, während die Inszenierung und das Schauspiel bewusst in den Vordergrund treten. Was am Ende bleibt, ist ein Werk, das grotesken Humor mit verstörenden Bildern und fast meditativen Momenten verknüpft. Scott Cummings fängt die Ironie dieser Welt auf seine Art gekonnt ein und zeigt auf eine absurd faszinierend spaßige Weise: Satanisten sind Menschen wie du und ich – nur mit mehr Ritualen und dem Wissen, dass sie Teil einer großen Performance sind. //
Text: Simon Doering
Fotos: Viennale
Diese Filmkritik entstand im Rahmen der Viennale 2024.
Film-Infos:
Realm of Satan
Regie, Drehbuch, Schnitt: Scott Cummings
Kamera: Gerald Kerkletz
Mit: Blanche Barton, Peter Gilmore, Peggy Nadramia
Weltvertrieb: Visit Films
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