Emily Atef gelingt mit herausragenden Darsteller/innen ein wunderbares Drama über Romy Schneider. 3 Tage in Quiberon ist ein geschlechtermäßig bestens aufgeteiltes zweistündiges Kammerspiel - 2 Frauen und 2 Männer interagieren äußerst subtil.
Ich bin nicht Sissi - ich bin Romy Schneider
Der Film fängt Filmlegende Romy Schneider (gespielt von Marie Bäumer) in einer großen Lebenskrise ein. Im März 1981 hat sich Romy in ein Luxus/ Wellnesshotel im Badeort Quiberon in der Bretagne zurückgezogen. Sie soll ihren Alkohol und Tabletten Konsum in den Griff bekommen und vor ihrem nächsten und letzten Film etwas abnehmen. Romy ist ebenso abhängig von den Aufmerksamkeiten anderer Menschen und der Unterstützung durch ihre fiktive Freundin Hilde (Birgit Minichmayr), die als Warnerin in Erscheinung tritt. Romy hat trotz ihrer prekären Situation und ihrer bekannten Vorbehalte gegen die deutsche Presse (sie bekämpfte die Presse, anstatt sie zu benutzen) den Stern-Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek) eingeladen. Er soll sie interviewen und im Zuge der 3 Tage versorgt er Romy während des Interviews mit Alkohol damit sie sich öffnet. Ebenso geladen ist der Fotograf Robert Lebeck (gespielt von Charly Hübner), mit dem sie eine intime Freundschaft verband. Er macht in diesen 3 Tagen die berührendsten und persönlichsten Fotos, die es von Romy zu Lebzeiten gibt, da sie Robert vertraut. Es entstehen wunderbare Bilder, die sie in ihrer Verletzlichkeit zeigen.
Romy beantwortet in diesen Tagen die Fragen von Jürgs mit großer Offenheit und Ehrlichkeit, obwohl dieser sehr übergriffig vorging und sie manipulierte. Hilde befindet dieses Interview mehr und mehr beschämend, doch Romy scheint nicht mehr zu erkennen, was für sie gut ist.
Es gibt kein Davonlaufen
Emely Atef zeigt in diesem Film die Höllenqualen, die Romy Schneider bei ihrem letzten Interview in diesen Tagen durchlebt. Gleichwohl wird Romys Hang zu Selbstzerstörung mit Alkohol und Tabletten thematisiert. Romy Schneider hat schon mit 14 Jahren ihren ersten Film gedreht und die Sissi-Filme waren das Fundament, auf dem sich ihre Popularität aufbaute. Trotzdem kehrte sie dem deutschsprachigen Raum denRücken und ging mit Alain Delon, ihrer großen Liebe nach Frankreich. Dort konnte sie die Filme drehen, die sie ansprachen und sie erhoffte sich endlich Freiheit - doch es gibt kein Davonlaufen. Romy Schneider erlebte viele Schicksalsschläge, jedoch wird darauf im Film nicht eingegangen. Es geht ausschließlich um diese 3 Tage in Quiberon.
Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider
Sie wollte aus dem Hamsterrad ausbrechen und sich aus der Zwangsjacke befreien, in der sie sich gefangen fühlte. Sie wusste, sie solle weniger Filme drehen um endlich zu sich zu kommen, aber sie musste immer wieder drehen, um nicht wahnsinnig zu werden. Romy Schneider brauchte ihre Arbeit, wollte aber gleichzeitig bei ihren Kindern sein. Dies spiegelte ihre Zerrissenheit wieder - sie konnte keine Entscheidung treffen. Romy musste noch ihren letzten Film "Die Spaziergängerin von Sans-Souci" drehen, da sie trotz 59 gedrehten Filmen anscheinend nicht genug Geld besaß, was im Interview thematisiert wird. Danach wollte sich Romy eine Auszeit nehmen, um sich ihren Kindern zu widmen. Dieser Film ist ein Triumph für Marie Bäumer, die eine große Ähnlichkeit mit Romy Schneider aufweist. Doch obwohl sie gleichsam Romy in diesem Film ist, verliert sie sich niemals in der Rolle und bleibt bei sich. Der Film ist in schwarzweiß der Originalfotografie gedreht. Die Fotos von Fotograf Robert Lebeck zeigen Spuren der Depression in Romys Gesicht, das Zechgelage in der Hafenbar, den Tanz mit dem Poeten und Fotos am Strand, wo sich Romy verletzte. Der Stern Reporter Michael Jürgs fragte Romy im Laufe des Interviews ob ihr klar sei was auf sie zukomme wenn das ganze Interview gedruckt würde was einer Selbstentblößung gleichkäme. Sie durfte es vorher lesen und gab es dennoch frei. Das heute noch lesenswerte Originalinterview vom 23.4.1981 im Stern trug den bezeichnenden Titel "Im Moment bin ich ganz kaputt". Das Interview kann man z.B. in Renate Seydels Ich, Romy - Tagebuch eines Lebens (Verlag Langen-Müller, 2007) nachlesen. Eine Frage bleibt offen: Wieso glaubte sie nicht an ihre Kraft und Stärke? //
Text: Karin Stieglitz-Klug
Fotos: Peter Hartwig / Rohfilm Factory / Dor-Film / Sophie Dulac Productions
Diese Filmkritik entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben" im Rahmen der Diagonale 2019 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kulturwoche.at, Kleine Zeitung, Die Furche, Celluloid Filmmagazin und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung.
Film-Tipp:
3 Tage in Quiberon
Bewertung: @@@@@
Spielfilm, 115 min
Regie und Buch: Emily Atef
Darsteller/innen: Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Charly Hübner, Robert Gwisdek
Kamera: Thomas W. Kiennast
Schnitt: Hansjörg Weissbrich
Originalton: Joern Martens
Musik: Christoph M. Kaiser Julian Maas
Sounddesign: Kai Tebbel
Szenenbild: Silke Fischer
Kostüm: Janina Audick
Dor Film, 2018