Der Filmblock Heightened Awareness beim Vienna Shorts Festival 2018 führt durch Wirrungen des Prekariats, hinein in Imbissbuden und winzige Shops, an die Fluchtküsten der Ängste und Sehnsüchte.
Nie mehr Arbeit, keine Arbeit mehr...
Vladena Sandu und Alina Kotova führen uns in acht Tableaus durch ausgesuchte Lebenssituationen der hoffnungslos gelangweilten Hauptfigur, die sich realerweise einst auf einer Party vor den beiden ausgeschüttet hatte. Sie fanden die Geschichte der zahllosen dead-end Jobs so enthüllend, dass sie ihr mit Eight images from the life of Nastya Sokolova ein hypnotisches Porträt widmeten, das vor allem durch die frontal zurückblickende Schauspielerin zugleich trotzig und humorvoll wird. The Disinherited - Porträt der Tochter über den Vater - wirkt dagegen uninszeniert und begleitet einen spanischen Busunternhemer bei der Auflösung seines Geschäftes, das mehr schlecht als recht läuft. Eine Reflexion über das Familien-Business, Pech das einen verfolgt, im Job und in der Liebe, aber stets in einem it could be worse Ton gehalten. Wenn er endlich die unmöglich besoffenen Junggesellen nach der Pinkelpause stehen lässt und ohne sie heimfährt freut man sich diebisch.
Sich für einen Moment verstehen
In Agua Viva folgt die Erzählung dem repetitiven Rhythmus der Handgriffe, die in einem kleinen Beautysalon auszuführen sind. In blühender Animation aus fruchtigen Farben wird ein kurzes Innehalten gezeigt, im automatisierten Alltag einer chinesischen Einwanderin in Miami. Berührend der Moment in dem sie nach der Erklärung des Wortes intimate fragt, und klar wird, dass diese Ebene schmerzlich abwesend ist. Myrsini Aristidou wiederum schmeißt uns ins Aria gekonnt in eine kleine griechische Imbissbude, in der eben jene Zwiebel schneidend darauf wartet, dass ihr Vater sie zu den versprochenen Fahrstunden abholt. Als dieser ihr jedoch eine vor die Tür gesetzte asiatische Migrantin umhängt, schlägt der Tag eine völlig neue Richtung ein. Durch extreme Nahaufnahmen und ruckelnde Handkamera entsteht ein Gefühl der Orientierungslosigkeit und des Ausgeliefertseins an äußere Mächte, die einen von hier nach dort treiben und ordentlich durchschütteln.
Teil eins: Flucht
Zwei Männer lieben sich und müssen deshalb ihre Heimat verlassen, gen Norden, ans Meer, das eine große schreckliche Angst hält. The world is round so that nobody can hide in the corners folgt einem der Beiden, der in Deutschland angekommen ist, oder gestrandet, der nicht weiß ob der andere noch lebt. Er erinnert sich an ihn, driftet von Freude über küssende Männer in der Öffentlichkeit zu all den schrecklichen Ungewissheiten die ihn begleiten und davon, dass er einfach weiter machen müsse. Ein sehr leiser und unverkitschter Film inmitten eines abgerissenen Vergnügungsparks. Die Formatbetitelung Fiction and Documentary ist insofern passend gewählt, weil die Grenzen hier eben durchlässig sind, weil reale Verhältnisse und Erlebniswelten festgehalten werden, aber mit verschiedenen Strategien der Sozialporno auf Abstand gehalten wird. Jeder einzelne der Filme reflektiert über Produktionsverhältnisse: von Arbeit, von Identitäten, von Geschichten, von Fremdheit und Zugehörigkeit als schwammige Kategorien. //
Text: © Sophie Anna Stadler
Fotos: © Jannis Gonis, VIS
Kurz-Infos:
Kritik im Rahmen des Filmfestivals Vienna Shorts Festival 2018
Für den internationalen Wettbewerb Fiction & Documentary wurden 29 Kurzspiel- und Kurzdokumentarfilme aus 19 Ländern ausgewählt.
Heightened Awareness umfasst folgende Filme:
Eight Images from the Life of Nastya Sokolova (Vladlena Sandu, Alina Kotova, Russland 2017, 30 min
)
Agua Viva (Alexa Lim Haas, USA 2018, 7 min
)
APIA (ARIA) (Myrsini Aristidou, Frankreich/Zypern 2017, 14 min)
The world is round so that nobody can hide in the corners - Part I: Refuge (Leandro Goddinho, Deutschland 2017, 13 min
)
Los Desheredados (The Disinherited) (Laura Ferrés, Spanien 2017, 19 min)