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Das Ende des neuen Dramas von Christian Petzold, "Transit", stellt der Abspann, unterlegt mit dem Talking Heads Klassiker "Road to Nowhere" aus dem Album "Little Creatures" (1985), dar. Das Publikum wird mit der bekannten Schlusszeile "We’re on a road to nowhere" hinaus in die reale Welt entlassen. Ein derart poppiger Rausschmeißer ist nicht typisch Petzold. Ebenso wenig der Voice-Over oder der männliche Hauptdarsteller. Zudem lachte das Publikum szenenweise. Alles ein wenig anders als sonst.

Die Kunst des Verbindens

Die frei nach dem Buch von Anna Seghers verfilmte Geschichte von dem deutschen Flüchtling Georg (Franz Rogowski), schafft es auf eine unfassbar nahbare Art und Weise eine aussagekräftige Parallele zwischen Vergangenheit und Jetzt zu ziehen. Will man nämlich eine Zweite Weltkrieg Geschichte in der Gegenwart spielen lassen, läuft man Gefahr mit diesem Vergleich eine nicht gerade neue, geistreiche Situationsanalyse unserer Zeit zu landen. Mit viel Feingefühl für unsere heutige Zeit schafft Transit aber diese Verbindung zur Historie zu ziehen. Ohne Spezifizierungen und Konkretisierungen über die politische Situation, wird man in die transitorische Welt Georgs hineingesogen, so unnahbar er auch zunächst sein mag. Man kennt diese Welt: die Flüchtenden im Nachtzug, das Annehmen von falschen Identitäten, Verfolgungen und Säuberungen, gefangen sein in einem Durchzugsort. Nur steht dies nicht im Kontext eines Geschichtsfilms, sondern im Marseille des Jahres 2018. Man sieht keine iPhones und GoPros, aber man ist spürbar im Jetzt. Weil die Verzweiflung und das Verlorensein zeitlose Gefühle sind, die von Georg und den anderen Figuren auf einzigartig distanzierte Weise verkörpert werden.

Dieser Blick

Erstmals steht im Zentrum eines Petzold Films eine männliche Hauptfigur. Meistens agiert er als Mittler, nimmt Positionen anderer ein, ein Herumziehender. Und dennoch ist er kein Gespenst. Er ist undurchsichtig, sein Blick hingegen sieht durch. Was für diese Geschichte und ihre Verfilmung von unheimlicher Bedeutung ist, ist eben dieses Phänomen. Das Betrachten, das Sehen, das Wahrnehmen, bekommt durch Franz Rogowskis Blick einen Tiefgang sondergleichen. Dieser Mensch hat gelernt zu beobachten. Zum Glück wird diesem Blick in Transit Raum gegeben.

Wenig Worte, viel Sinn

Obwohl Georg ein Fortziehender ist, gibt es viel Standhaftes an seiner Person. Er lässt sich auf diesen Durchzugsort Marseille ein, er knüpft zwischenmenschliche Beziehungen und baut nicht ganz unfreiwillig Bindungen auf. Dies kann er aber nur, weil er an nichts gebunden ist, er hat nur sich selbst. So wie er befinden sich die Menschen um ihn herum auf einer Reise. Das verbindet sie, wenngleich er von ihnen und ihren Geschichten nichts hören will. Schließlich begreift er, dass er sich in einer Hafenstadt befindet und Menschen hier das Recht haben zu erzählen, sie alle haben nämlich etwas zu erzählen. Ein wundervoller Moment der Erkenntnis, der uns zu etwas Selbstreflexion verhelfen könnte. Einmal mehr lehrt uns Christian Petzold, dass es nicht großer Worte und Erklärungen bedingt. Zu viel wird geredet, zu wenige sieht man hingegen etwas machen. Dabei geht es vielmehr um einen Blick, eine Geste und Anerkennung für ein weiteres außerordentliches Werk deutscher Filmgeschichte. //

Text: Greta Kogler
Fotos: Stadtkino Filmverleih

Film-Info:
Transit
Bewertung: @@@@@
Spielfilm, D/F, 101 Minuten
Verleih: Stadtkino Filmverleih (2018)
Regie und Drehbuch: Christian Petzold
Darsteller/innen: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Matthias Brandt
Kamera: Hans Fromm
Produzenten: Florian Koerner von Gustorf, Antonin Dedet
Schnitt: Bettina Böhkler
Musik: Stefan Will
Produktion: Schramm Film