Finanziert mit Eigenmitteln und Kleinförderungen der Stadt Graz und des Landes Steiermark, produzierten Roman Pachernegg und Jasmine Wagner den Dokumentarfilm "Unendlich Jetzt" über die Zeit, ihre Wahrnehmung, Begrenzung und Unendlichkeit. Von Andrea Schramek.
Was ist Zeit, vor allem: Lebenszeit? Und bedeutet Zeit zu haben, zugleich Lebensqualität? Was ist uns wichtig? Leben wir zeitlich begrenzt und doch unendlich?
Der Film "Unendlich jetzt" zeigt, wie Menschen dem durch Stechuhren eingeschränkten und von der Werbung suggerierten Hasten nach Mehr, achtsam gehend und still wahrnehmend, zu entrinnen versuchen. Durch ihre Sicht auf die Welt lässt sich Unendlichkeit erahnen und die Begrenztheit unserer Lebenszeit begreifen. Die Produktion und behutsame, filmische Entschleunigung von Roman Pachernegg und Jasmine Wagner wurde für die Filmemacher selbst zum Experiment mit der Zeit und zum Versuch, nichts zu planen und sich von der Zeit und Zeitlosigkeit leiten zu lassen.
Ausgehend von einem Statement Eugen Drewermanns über den Status quo, vom Hasten und Messen mit Stechuhren, wird in eindrücklichen und exemplarischen Bildern die Realität der marktwirtschaftlich orientierten Konsumgesellschaft gezeigt, in welcher der Einzelne keinen Raum mehr für Erkenntnis und Selbstwahrnehmung findet. In der Chronobiologie, der Wissenschaft von biologischen Rhythmen, misst man die Belastung von Managern - in Wach- und Schlafzuständen, die aufzeigen, dass Erholung nicht mehr möglich ist. Die Folgen sind eine massive Überlastung des Gehirns und die Unfähigkeit, sich noch irgendetwas zu merken: Manager verblöden durch Dauerstress und dem ständigen Wettlauf gegen die Zeit und letztendlich, so die These, gegen den Tod.
Alternierend dazu zeigt der Film Auswege und Alternativen und lädt schon zwischen den Interviews zu, ungewohnt langem, Verweilen, Beobachten eines verschneiten Waldes und zum Zuhören von Mantras ein. Eine Reise zum peruanischen Urwald-Schamanen Don Agustin führt das Filmteam in eine andere, außerzeitliche Wirklichkeiten, zu einer Ahnung von Unendlichkeiten jenseits unserer körperlichen Erfahrbarkeit und somit zu den Fragen über ein Leben, jenseits des Todes. Bernd Lindemann, Alpaka-Züchter und Zen-Philosoph, lebt im Einklang mit der Natur und seinen Tieren. Zeit hat für ihn eine andere Qualität, deren weite Räume sich durch das Stillwerden der Gedanken öffnen. Der Mensch glaube einfach nicht, dass es genügen würde, bewusst zu atmen, um ein besseres Leben leben zu können. Weil es zu einfach erscheint.
Im Castello Bertolini - einem alten Steingebäude mit Glashaus und Teich, mit Hühnern und einer Katze, scheint die Zeit still zu stehen. Hier wohnt(e) Hannes Thanheiser, Schauspieler, Musiker und Sammler, der, selbst dem Tod schon so nah, mit berührender Altersweisheit von der Zeit spricht, und davon, dass man nicht ewig lebt. "Das soll einem bewusst sein", und "Wahrnehmen, dass man eingeladen ist, im Leben seinen Weg zu gehen." Leid begnadet ist der Mensch in seinen Augen, der durch das Leid hindurch wächst.
Wir hingegen erziehen Kinder nicht zum stillen Verweilen, sondern zu Suchtverhalten, Milliarden Euro werden für Kinderwerbung ausgegeben. Und es wäre naiv zu glauben, dass es Menschen gäbe, die sich der Manipulation durch die Medien entziehen könnten. Wir nennen es Erlebnisgesellschaft. In Wahrheit dient sie dazu, von Lebenserfahrungen abzulenken. "Denn je weniger ich begreife, desto mehr muss ich konsumieren", meint die Kulturhistorikerin, Gabriele Sorgo. Hermann Knoflacher ist Verkehrsplaner und erklärt das Verhalten von Autofahrern. "Glück ist immer anders wo..." - Der Autofahrer ist, seiner Meinung nach, ein hockender Vierbeiner, kein Mensch. Und er legt dar, dass man mit dem Auto nicht Zeit sparen kann. Man muss sehr viel Geld verdienen, um sich das Auto zu leisten. Durch Erhöhung der Geschwindigkeiten würde aber keine Zeit gespart. "Wenn in einem System die Geschwindigkeiten erhöht werden, verändern sich die Strukturen. Man hat weniger in der Nähe." Das Auto steht vor der Tür - aber alles andere ist weiter weg. Nur der Fußgänger mache Menschen mächtig. Autos machen Konzerne mächtig und die stehlen den Menschen die Zeit. Und das führt zu Gregor Sieböck, einem Weltenwanderer, der seit fünf Jahren immer wieder zu Fuß unterwegs ist. Ohne Ziel: "Heute - in dem Augenblick, in dem ich bereit bin, meinen Weg zu gehen, werde ich zum Weg und es gibt keine Zweifel." Wesentlich dazu sei Vertrauen. Und leitet zur Vedischen Geschichte vom Apfelbaum am See über, dem Apfelbaum, der sich im Wasser spiegelt. Spirituelle Welt spiegelt sich in der materiellen Welt. Ein Mensch kommt ans Ufer und sieht in der Spiegelung die Äpfel und greift begeistert ins Wasser. Spiegelung zerstört, und keinen Apfel erwischt. Symbol für die Herausforderung seinen Platz zwischen materieller und nicht materieller Welt zu finden. Das Verschwinden der Angst vor dem Tod, gäbe dem Menschen Mut und Kraft, für sich einzustehen. Jesus wäre nicht nach Golgotha gegangen ohne Perspektive auf ein Leben nach dem Tod.
"Unendlich jetzt" ist eine entschleunigte, philosophische Reise über Zeitqualitäten, die dem Zuschauer Raum lässt, sich selbst Fragen über die Begrenztheit unseres Lebens zu stellen und manches zu überdenken, den Fernseher aus- und das Gehirn einzuschalten, um Lebenszeit bewusst zu erleben und zu nützen und den Augenblick bewusst wahrzunehmen. (Text: Andrea Schramek; Filmstills: Ascot)
DVD-Tipp:
Unendlich Jetzt!
Bewertung: @@@@@
Filmverleih: Ascot (2014)
Von: Roman Pachernegg und Jasmine Wagner
Mit: Eugen Drewermann, Don Agustin Rivas, Hannes Thanheiser, Marlis G-Laule, S. H. d. 14. Dalai Lama, Gregor Sieböck, Christoph Göttl , Gabriele Sorgo