Die Grundkonstellation birgt durch ihre Universalität Ansätze für verschiedene Kontexte. Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó machte sich dran, basierend auf Mary Shelleys Literaturklassiker "Frankenstein", ein verstörendes Kammerspiel für die Gegenwart zu realisieren, quasi 'Frankenstein Revisited'.
Der Prozess der Monsterschaffung findet in "Tender Son - Das Frankenstein Projekt" nicht in irgendeinem Labor eines von sich überzeugten Wissenschafters statt, sondern passiert bei einem Casting. Ein Unfall, nichts weiter. Ein Unfall, der die Geschichte richtig in Gang bringt und diesen stark visuellen Film zu einem großen, düsteren, intimen Spektakel macht. Mundruczó - er ist nicht nur Regisseur, sondern auch als Darsteller zu sehen - liefert ästhetische Antworten mit einem dramatischen Auf und Ab von Vergessen und Erinnerung mit zu entschlüsselnden Ausdrucksformen, die Emotionen hervorrufen. Man kann den Film durchaus auch als Parabel auf die gegenwärtige (bzw. ewiglich andauernde) Minderheitendebatte, diktiert von den Rechtsparteien Europas, betrachten. Hier im Besonderen auf die Roma- und Sinti Verfolgungen quer durch Europa. Die Stilisierung des Individuums zum Monster. Es ist aber auch ein Film, der das klassische Motiv Vater-Sohn-Beziehung zum Ausdruck bringt und es ist vor allem ein Film, der uns ständig die Gegenwart wie einen Spiegel vor Augen hält. Zerfallende Gebäude, düstere Lichtquellen, Perspektivlosigkeit der Menschen, trostlose Situationen. Als Pedant dazu, und auch auf die Originalvorlage von Shelley reagierend, ist Schnee zu sehen - Reinheit, Sanftheit, Sauberkeit vermittelnd. "'Liebe mich, füttere mich, beschütze mich' sind die Worte", so Mundruczó, "die wir während des Zusehens hören. Die Betrachter erleben vielleicht auch diesen großen Durst und Verlangen - wir sind alle durstig und der Wunsch nach Wasser ist omnipräsent." Ich weine Aber jetzt mal etwas konkreter zum Filminhalt. Es beginnt mit einer Autofahrt. Lange Einstellung. Mundruczó lenkt den Wagen und wird am Handy von einer Radiomoderatorin angerufen. Ihm werden ein paar belanglose Fragen gestellt und dann ist er auch schon bei diesem zerfallenden Gebäude angekommen, in dem das folgenschwere Filmcasting stattfinden wird. Hier kommt es freilich auch zur ersten Begegnung zwischen dem 'Monster' - dem 17-jährigen Rudolf (furios: Rudolf Frescska) - und seinem Vater, dargestellt von Mundruczó. Berührend und symptomatisch für den Film jene Szene, in der Mundruczó den Jungen auffordert zu weinen und Rudolf eine unnahbare Stille ausstrahlt, die alles in sich zu vereinen scheint. Die Mimik ist beklemmend, düster, quälend, trotzig, traurig, unfassbar weit weg und doch so nah dran an allem. "Weine!", fordert der Regisseur. "Ich weine", antwortet Rudolf. Längst ahnt der Regisseur, in Rudolf den Hauptdarsteller gefunden zu haben. Weitere Tests werden gemacht. Ab ins Nebenzimmer und Tür zu. Rudolf und eine junge Frau, die zufällig vor Ort ist, sollen darin eine kurze Szene spielen. Es soll geküsst werden, und dabei geschieht ein tödlicher Unfall. Die Geburt eines Monsters ist vollzogen, die Jagd eröffnet. Was danach kommt - die Erkenntnis des Regisseurs, dass dieser stille, sonderbare Junge sein Kind ist, und deren gemeinsamer Weg nach Erlösung - muss man einfach gesehen haben. (Text: Manfred Horak; Fotos: POOOL Filmverleih)
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