Eine moderne Film Noir Adaption? Ein guter Film.
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Was ist Liebe?
Oder stellen wir die Frage umgekehrt: Warum gibt es Seitensprünge, - trotz des eingepflanzten Monogamievorsatzes? Die Populär-Psychologie holt zu dem Thema nüchtern aus: "Wenn zwei sich finden, dann aufgrund einer brisanten Mischung aus sexueller Attraktivität und einer Art ‚aufgeklärtem’ Eigeninteresse, das den jeweils anderen nach einem Eigenschaften- und Leistungskatalog taxiert. Wie z.B. Ausbildung, zu erwartendes Einkommen, gemeinsame Interessen, Vertrauenswürdigkeit und Lebensphilosophie. Aus Einstufungen dieser Art ergeben sich natürlich bestimmte Erwartungen, und was einer Beziehung auf Dauer den Garaus macht, ist die Nichterfüllung solcher Erwartungen." (Gordon Livingston)
(Lüge & Wahrheit) = (Katz und Maus)
"Alibi" baut genau auf diese rationale Sicht der Liebesdinge auf und stellt uns eine Seitensprungagentur("Elliot Consulting") vor. Ray Elliot, dargestellt von Steve Coogan, ist ein akribischer Lügner, der mit der verzerrten Wahrheit ein lukratives Geschäft macht. Da er der starken Nachfrage nicht mehr standhält, sucht er nach ähnlich emotionsloser, intelligenter sowie akkurater Unterstützung. Für diese Stelle bewirbt sich Lola, fantastisch und ausgezeichnet Femme fatalisch von Rebecca Romijn gespielt. Sie scheint es aber nicht so sehr auf den Job, als auf Ray selbst, abgesehen zu haben; der als abgeklärter Anzugmuffel mit seiner Logistik und Menschengnosis, ihrer Lebensphilosophie am nächsten kommt. Bevor Ray, durch Lola angeregt, den Begriff Liebe neu überdenken kann, schleicht sich noch ein Auftrag hinein, den er ausdrücklich persönlich übernehmen muss. Aus dem vorerst simpel erscheinenden Fall entwickelt sich ein komödiantischer, als auch grotesker Ensemblefilm. Während Lüge und Wahrheit sich wie Katz und Maus jagen, inszeniert Ray Elliot sein bisher formidabelstes Alibi.
Vorsicht! Nur das Kinoplakat ist erbärmlich!
Das (miteinander nicht verwandte) Regieduo Kurt Mattila und Matt Checkowski erwarben sich ihre Lorbeeren bei Steven Spielberg. Er setzte das Team für die "Pre-Cog" Visionen in "Minority Report“ (2002) ein. Vom Einsatz ihrer Computerfertigkeiten ließen sie jedoch beim "Alibi" ab und konzentrierten sich ganz klassisch auf ihr Spielfilmdebüt. Eine moderne Film Noir Adaption, so die Presseaussendung. Dass man gerne alte Begriffe für gegenwärtige Werbezwecke gebraucht, vor allem wenn die Qualität zu wünschen übrig lässt, leuchtet ein; bei "Alibi" jedoch ist es wirklich nicht notwendig mit Werbegranaten und Genreprophezeiungen aufzufahren. Das einzige Film Noir Element wäre, anlehnend an die Femme Fatale, Lola - doch wo bleibt Regen, Nebel, Nachtfahrten, endloses Zigarettenrauchen, ganz zu schweigen von einer eindeutigeren Beziehung zwischen den zwei Hauptcharakteren. Das deutsche Plakat zum Film ist derart erbärmlich, dass es vor dem Film und seiner Story abschreckt. Doch ich versichere: diese Angst ist grundlos.
Hier finden, nur um ein paar Goodies zu nennen, Verschmelzungen zwischen Enrique Chediak (Kamera bei "A Home at the End of the World“; 2004)und Robert Altmans Ausstatter Jerry Fleming („Short Cuts“; 1993) statt, wie auch Guy Richie und Steven Soderbergh Zitate bei Tempoeffekten und Slapstickeinlagen. Wenn Erinnerungen an "The Clou", "Schnappt Shorty", oder "Thomas Crown ist nicht zu fassen" wachgerufen werden, dann besitzen sie keine Remakestatur, sondern begreifen sich als Grundlage für gute, amerikanische Kinounterhaltung. Auch wenn der Grundton existiert, dass sich diese permanent selbst zitiert und es so etwas wie Entwicklung, schon lange nicht mehr gibt.
4:1
Warum jeder vierte von zehn Männern und eine Frau von zehn, regelmäßig fremdgeht, wird natürlich nicht näher beleuchtet, da sich die Seitensprungstatistik ja nur als ein guter Aufhänger für diese Gangsterkomödie versteht. Allerdings vermisst man die Antwort nicht und ist sogar froh, nicht nackt vor der Leinwand zu sitzen. Stattdessen ladet das Uhrwerk des Ensembles zu einem Grand-Finale im Ellroy Hotel ein. Indem jeder Fremder ein Freund zu sein scheint. (Patryk Dawid Chlastawa)
Filminfos:
The Alibi
Verleih: TOBIS FILM OESTERREICH
Regie: Kurt Mattila & Matt Checkowski
Mit: Steve Coogan; Rebecca Romijn; Selma Blair; James Marsden; Henry Rollins; u. v. a.
USA 2006 / 90 Minuten