Ein Portrait von Patryk Dawid Chlastawa.
Es ist zu bezweifeln, dass jemand, der nicht die Fernsehlandschaft des vorherigen Jahrzehnts ignoriert hat und seit den 1980er Jahren mit Scheuklappen ins Kino gegangen ist, David Lynch versäumt hat. Dennoch ist es gut möglich, dass die meisten Rezipienten verfrüht seine Filme „zu verstehen“ glaubten, sowie dass es einige gibt, die nur dem Hype gefolgt sind und sich nie richtig auf den Lynchkosmos eingelassen haben. Alle „Wissenden“ und alle „Zweifelnden“ haben wieder die Gelegenheit des Austauschs.
Neuentdeckern bietet sich ein einzigartiges Privileg an, in ein vollkommen Neues, aber dennoch beunruhigend Vertrautes, Terrain einzutauchen.
Wer hat um Himmels Willen Laura Palmer getötet!?
In den 1990er Jahren gab es in Wien kaum die Möglichkeit Donuts zu kaufen, eine Schulkönigin zu werden oder in einem Vorstadtbeisl tränenrührende Melodien zu hören. Nach „Twin Peaks“ war das alles möglich.Ganz Amerika, Australien, Kanada, Europa und sogar Teile Russlands haben sich an ihrem Feierabend nur noch eine Frage gestellt: „Wer hat um Himmels Willen Laura Palmer getötet!?“ Nie zuvor hat in der Fernseh- und Filmgeschichte die Leiche einer Durchschnittsblondine und ein Kaff in der Nähe von Kanada namens „Twin Peaks“ die breite Masse derart in Bann gezogen. Doch das ist noch lange nicht alles!Dieser Mann schaffte mit einem Radiergummikopf als Hauptrolle einen bedrohlichen Horrorfilm zu kreieren, in einem abgeschnittenem Ohr Roy Orbison zu hören, die grüne Hexe von Oz auf einer Autobahn einzufangen, etc. - ohne jemals dabei die Plausibilität zu verlieren.
Die Frage, ob er nun mehr von Jung oder von Freud inspiriert wurde, darf erneut in den Waschgang gelegt werden.
Alle Hobbypsychologen und Studenten sind wieder gefragt Analysen und Statistiken zu erstellen über den mittlerweile am Mainstream gut platzierten Regiekünstler. Die Frage, ob er nun mehr von Jung oder von Freud inspiriert wurde, darf erneut in den Waschgang gelegt werden. Doch wie kam diese Dunkelheit dieses Mannes ans Licht?
In den späten 1970er Jahren gelang Lynch der Durchbruch mit seinem Erstlingswerk „Eraserhead“, an dem er fast sechs Jahre gedreht hatte. Mit mäßiger Unterstützung des damals erst entstandenen „American Film Institute“, seiner Universität, die ihm heutzutage die gute Reputation verdankt.
Sein beunruhigendes und zugleich persönlichstes Paradigma wurde erstmals in Spielfilmlänge dem Independentpublikum vorgestellt. Sogleich hat die Traumfabrikindustrie, die ja nur eine Ecke weiter steht, ein neues, jedoch störrisches, Ziehkind adoptiert. Der Sprung zum Mainstream vollzog sich für Lynch schneller als erwartet, sodass sein persönliches Schaffen nach „Eraserhead“ durch zwei Filme unterbrochen wurde. Durch „Elephant Man“ und „Dune“.
Die Stärken Lynchs: atmosphärische, nonverbale und symbolassoziative Ebenen der Bildsprache und das besondere Gehör für Geräusche und Musik.
Der Vorschlag für „Elephant Man“ kam von Mel Brooks, der sich für Lynchs Debüt begeisterte. Er ließ ihm den größtmöglichen Freiraum in der Gestaltung. Doch hier kristallisierten sich Lynchs Schwächen genau heraus. Jegliche Dialogszenen waren kaum mit einem besonders auffälligen Subtext, noch einem Spannungsgehalt besetzt, sodass das Einprägsamste an diesem Film, der Elefantenmensch, dargestellt von John Hurt, blieb. Die Stärken Lynchs waren nach wie vor - und sind bis heute: die atmosphärischen, nonverbalen und symbolassoziativen Ebenen der Bildsprache und das besondere Gehör für Geräusche und Musik. Nach diesem noch gut geglückten Film stieg Lynch auf ein noch brüchigeres Schiff als zuvor: „Dune“. „Alejandro Jodorowsky“, einem zu der Zeit noch avantgardistischeren Regisseur als Lynch, wurde das „Dune-Projekt“ entrissen und dem „formbareren“ Regisseur übergeben. Es handelte sich hierbei um ein Überlebensprojekt der „Dino De Laurentis“ Produktionsfirma, wo man Lynch während der Dreharbeiten dann eben doch noch nicht die vollständige Verantwortung für das Projekt zumuten wollte.
Nach dieser, von ihm selber als „Nahtoderfahrung“ beschriebenen Drehzeit, erinnerte sich David Lynch wieder an seine eigenen Geschichten und verfolgt, seit der Initiationsprüfung, nur noch diese.
David Lynch ist neben Ingmar Bergman wohl einer der wenigen Regisseure, dem man erlauben darf, mehrmals ein und denselben Film zu drehen.
„Blue Velvet“, „Twin Peaks - Fire walk with me“, „Wild at Heart“, „Lost Highway“, „Mullholland Drive“... alle diese Meisterwerke behandeln dasselbe Thema: Die Ereignisse eines Mannes der sich zwischen zwei Frauen nicht entscheiden kann oder umgekehrt.
Das Thema variiert nur in der Perspektive von Film zu Film. Damit möchte ich ihm keineswegs Phantasielosigkeit vorwerfen, ganz im Gegenteil, er ist neben Ingmar Bergman wohl einer der wenigen Regisseure, dem man erlauben darf, mehrmals ein und denselben Film zu drehen. Wobei der Atlantik, der dazwischen liegt, ruhig auch als thematische und künstlerische Distanz verstanden werden darf. Lynch hat einen direkten Draht zu Amerikas Trivialität und versteht es, diese, mit bissigem Humor, zu kontrastieren und somit auf eine Metaebene einzuladen; so wie es Bergman mit europäischen Themen verstand.
Gönnen Sie sich einen langen Abend mit Lynch
Es macht Sinn sich David Lynchs Filme, nacheinander, am Besten sogar an einem langen Abend, zu gönnen. Dann erkennt man die zarten Verbindungen zwischen den einzelnen Werken. Es klären sich von Mal zu Mal tiefe Zusammenhänge auf und neue Rätsel werden unaufhörlich ans Ufer gespült. Und wenn dazu noch, wie bei der Retrospektive im Wiener Gartenbaukino, die eindruckvollste Leinwand Wiens zur Verfügung gestellt wird, dann sollte man es wagen sich an der Abendkasse um Mengenrabatt zu kümmern.
Mit Ausnahme von einem Film: „The Straight Story“. Dieses Werk ist wie ein zu früh geratenes Vermächtnis und ironisches Zwinkern eines begnadeten Regisseurs und sollte erst nach seinem Tod gesehen werden. (Patryk Dawid Chlastawa)
Link-Tipps:
www.lynchnet.com
www.davidlynch.com