Das Theater Kosmos untersucht 2019 die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Strömungen und arbeitet gegen eine befürchtete selbstverschuldete Unmündigkeit.
Wie gefällt euch unsere Zeit? ist dem Roman Ein Kind seiner Zeit von Horvath entnommen.
Der Roman erschien postum 1938. Damit positionieren Hubert Dragaschnig und Augustin Jagg ihr Haus dezidiert als gesellschaftspolitisch engagiert und mit wachem Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen. Populismus, oberflächliche Phrasen, geschürte Spaltung der Gesellschaft und Entsolidarisierung beobachten sie derzeit und befürchten eine „selbstverschuldete Unmündigkeit“ der Menschen. Dem wollen sie das Theater als Bastion der Mündigkeit entgegenstellen.
Kunst als Bollwerk gegen die Unmündigkeit
"Wir glauben, dass die Bühne ein ausgezeichneter Ort ist, sich Menschen und Ihren Biografien zu nähern, sie manchmal sogar zu erleben. Daraus entsteht Respekt vor dem Gegenüber, Mitleid für den Anderen, Verständnis für die Überlebensstrategien des Fremden und Empathie für eine Minderheit. Das sind Errungenschaften unserer Demokratie, das ist die Qualität unserer Zivilisation. Vermehrt setzen politische Parteien auf Entsolidarisierung, auf Ab-, Ein- und Ausgrenzung und ziehen sich in einen chauvinistischen Nationalismus zurück. Immer mehr Menschen schließen sich dieser Haltung an - auch, um ja nichts von dem zu verlieren, das sie noch gar nicht besitzen.", fassen Jagg und Dragaschnig ihre Haltung zusammen. Mündig ist, wer sich eine eigene Meinung bildet. Dazu muss hinterfragt werden, was einem denn so vorgesetzt wird. Ein Blick über die Schlagzeilen hinaus und über die Grenzen der eigenen Informationsquellen ist notwendig. Zur Meinungsbildung kann durchaus Theater dienen, das in seinen Schauspielen Bilder aus vielen Lebensbereichen lebendig werden lässt, In vier Eigenproduktionen wird das Theater Kosmos 2019 den Puls der Zeit fühlen und die gesellschaftspolitische Gegenwart einem kritischen Blick unterziehen. Es handelt sich um drei Uraufführungen und eine österreichische Premiere.
"Nacht ohne Sterne" von Bernhard Studlar
Die Protagonist*innen dieses 2017 in der Slowakei Uraufgeführten Stückes überleben in einer von innen- und außenpolitischen Krisen gebeutelten Welt. Demonstrationen, Sirenen, Terrorismus, soziale Ungleichheit und Entsolidarisierung prägen den Alltag. Hubert Dragaschnig wird dieses Stück über die Suche nach Freiheit, Glück und Sinn im Leben oder Tod mit großem Ensemble inszenieren. Vom Aufbau her habe es Ähnlichkeiten mit "Der Reigen" von Arthur Schnitzler. Für Dragaschnig handelt es sich um ein zutiefst philantropisches Stück mit holzschnittartigen Charakteren und allegorischem Inhalt. Es ist somit wohl großer Interpretationsspielraum gegeben. Theater, das von der Bühne in den Spielraum im Kopf wandert, ist zu erwarten. Herwig Hammerl wird eigens dafür die Musik komponieren.
"Odyssee - ein Stück über Heimat" nach Motiven von Homer
Odysseus irrt zehn Jahre über Meer und Land bis er zu seiner Heimat Ithaka zurück findet. Er verlässt aufgrund eines Krieges seine Heimat und muss sie sich nach seiner Rückkehr wieder erobern. Homers Odyssee ist ein Mythos und doch findet sie immer schon und immer noch statt. Der Bregenzer Stadtteil Vorkloster ist seit 100 Jahren von Migrationsbewegungen geprägt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es Arbeiter*innen aus dem (ehemaligen) Habsburger Reich, die an den florierenden Wirtschaftsstandort und in seine Fabriken kamen, 1942 zogen Südtiroler*innen freiwillig oder gezwungenermaßen heim ins Reich. Die von 1974 bis 1982 erbaute Achsiedlung ist das bislang größte Siedlungsprojekt im Vorkloster und ist Heimat für Menschen unterschiedlichster Ursprünge. Migrationsbewegungen finden auch im 21. Jahrhundert noch statt, sei es durch Menschen aus EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Polen oder Flüchtlinge aus dem asiatischen und afrikanischen Raum. Philip Jenkins war bereits am Burg- und Volkstheater als Regisseur tätig. Er wird auf Basis von Oral History ein dokumentarisches Stück in Opposition und Synthese mit dem Epos von Odysseus bei seiner Entstehung begleiten. Im Zentrum steht der Begriff Heimat. Schauspieler*innen und Bürger*innen aus dem Vorkloster werden auf die Bühne treten. Zeitebenen, Dichtung und Realität werden verwoben.
"Das Optimum" (Arbeitstitel) von Mario Wurmitzer
Hui und Pfui, Sein oder Schein, was ist wichtig und richtig in Zeiten von Fake News und alternative Fakten? An diesen Themen werden Autor Mario Wurmitzer und Regisseurin Maria Sendlhofer, junge Absolventin des Max Rheinhardt Seminars, gemeinsam arbeiten. Selbstoptimierung und Leistungsdruck, Konformismus und Möglichkeiten der Auflehnung sowie Mechanismen der Ausgrenzung werden untersucht. Was die beiden Newcomer gemeinsam mit einem ebenso jungen Produktions-Team auf die Bühne bringen werden, wird eine der Überraschungen im Theater-Kosmos-Jahr sein. "Oh Schimmi", die letztjährige Produktion im Zeichen der Förderung junger Talente der österreichischen Theaterszene war jedenfalls unkonventionell, spannend und ganz nah am Puls der Generation der Digital Natives, ein authentischer Blick auf eine Realität, die Ü40er*innen nicht mehr so leicht erfassen können. "Oh Schimmi" kann übrigens auch im Theater am Lend in Graz (30., 31. Jänner 2019) und im Schauspielhaus Wien (5., 6. Februar 2019) gesehen werden.
"Lamm Gottes" (Arbeitstitel) von Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier ist der bekannteste lebende Vorarlberger Autor, zuletzt medial stark aufgefallen anlässlich seiner Rede zum Holocaust-Gedenktag am 5. Mai 2018. Für das Theater Kosmos baut er ein dreiteiliges, in einen liturgischen Rahmen eingebettetes Stück. Inspiration ist der Dionysos-Kult und das daraus entstandene christliche Bild des "Lamm Gottes". Bei beiden wird das Göttliche von Menschen getötet und dann einverleibt. Ein vierter Akt soll - so intendiert Köhlmeier - als assoziatives Gesamtbild in der Imagination des Publikums entstehen. Die drei Kernstücke sind noch Skizzen. Teil eins ist märchenhaft. Es geht um den Teufel und die unsterbliche Seele. Schauplatz ist eine Hochzeitsfeier. Zwei Katzen - vielleicht die von Schrödinger und die Cheshire-Katze von Lewis Carroll - diskutieren in Teil zwei über "Fressen und Gefressen werden". Historisch wird es in Teil drei mit der Bearbeitung der satirischen Rede von Jonathan Swift "Ein bescheidener Vorschlag im Sinne von Nationalökonomen, wie Kinder armer Leute zum Wohle des Staates am besten benutzt werden können".
Über die Schlagzeile hinausblicken
Anstöße für Gehirntätigkeit und Austausch will das Theater Kosmos immer geben, egal ob es um Nachdenken oder Fantasieren geht. Deshalb wünschen sich Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig, dass möglichst viele und möglichst unterschiedliche Menschen zu ihrem Publikum gehören. Das Theater Kosmos öffnet in Konsequenz für jeweils eine Vorstellung der vier Eigenproduktionen die Türen des Hauses weit und gewährt freien Eintritt. Es soll sogar eine 10-Euro-Vergütung für jede*n Besucher*in an diesen Abenden verschenkt werden. Ob das Satire ist - ich fühle mich jedenfalls an die Geldgeschenke von Jörg Haider an seine Kärntner Mitbürger*innen erinnert - oder ein herzliches Dankeschön, sei dahingestellt. Um wirklich in Kontakt mit allen Bevölkerungsschichten zu kommen, lädt das Theater Kosmos darüber hinaus FPÖ-Parteimitglieder zum kostenfreien Besuch aller vier Eigenproduktionen an einem Termin der eigenen Wahl ein. Austausch und gesellschaftliches Miteinander sollen gefördert, die Gelegenheit einer Veränderung des Blickwinkels oder Standpunktes wenigstens für die Dauer einer Vorstellung ermöglicht werden. Um danach ins Gespräch mit anderen Theaterbesucher*innen zu kommen, kann das Motto des Theater Kosmos für die Saison 2019 genutzt werden: "Wie gefällt Ihnen unsere Zeit?" //
Text: Ruth Kanamüller
Fotos: Theater Kosmos
Spielplan:
NACHT OHNE STERNE
von Bernhard Studlar
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 23. Februar 2019
ODYSSEE - EIN STÜCK ÜBER HEIMAT
nach Motiven von Homer
Regie: Philip Jenkins
Uraufführung
April 2019
DAS OPTIMUM (Arbeitstitel)
von Mario Wurmitzer
Uraufführung
September 2019
Eine Kooperation mit dem Schauspielhaus Wien
LAMM GOTTES (Arbeitstitel)
von Michael Köhlmeier
Uraufführung
November 2019