Die Wiederentdeckung von Wolfgang Bauers Werk wird zu einem Fest seines Stils oder eben Nicht-Stils mit dynamischem Ensemble, frischem Bergwind und tropischer Hitze.

Erstmal Atmosphäre - wir sehen eine Hütte in den Bergen, zwei Männer schlafen, der Wind weht und im Herrgottswinkel hängt das Bild eines alten Mannes mit mächtigem Bart. Es ist das Bildnis des Urgroßvaters Tilo und so wie sein Bild über dem Zimmer, hängt sein Vermächtnis über der Familie, nur richtig glauben will niemand dran. Niemand, außer der junge Florian (Sebastian Wendelin), ein Träumer, der seine Tage und Nächte damit verbringt einen Elefanten zu suchen, oder besser auf ihn zu warten, wie es die Prophezeiung des Urgroßvaters verlangt. Für die restlichen engstirnigen, doch liebenswürdigen Dorfbewohner ist Florian eher ein fauler Taugenichts, nur seine Großmutter (Barbara Petritsch) und seine geliebte Anna (Stefanie Dvorak) halten ihm die Treue.

Streifzug durch eine absurde Szenerie

Dann bricht es los, das Gewitter, und mit ihm die Komödie, die so richtig keine ist. Eher ein buntes Chaos, ein Streifzug durch eine absurde Szenerie. Heiße subtropische Savanne in den sonst hohen, kalten Bergen. Doch kann damit jeder umgehen? Ist dieses wilde Treiben, dass das Dorf in Aufruhr versetzt, vielleicht sogar der Anfang vom Ende? Oder ist es nur die Angst vom unbekannten Fremden, vom Neuen? Für den Kaplan Wolkenflug (Markus Meyer) ist die Lage klar, es muss was unternommen werden gegen das heidnische Treiben, und so spitzt sich ein Konflikt zu zwischen den Befürwortern und Jüngern des Florian, dem sein Erfolg zu Kopf steigen droht und dem konservativen Wolkenflug. Zwischen den Polen finden sich eine Handvoll Charaktere, die die Situation, nach ihrem eigenen Vorteil bewerten, wie der Kolonialhändler Kuckuck (Peter Matic) oder der Bürgermeister (Falk Rockstroh), die jeweils das große Geschäft wittern. Hinter dem Chaos und der Absurdität steht aber ein sattelfestes Gerüst. Eine Geschichte, die einen Bogen spannt und uns von Menschen und Gesellschaft erzählt, Fragen aufwirft, Antworten in Aussicht stellt.

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Expressive Akzente und Momente des WTF

Regisseur Christian Stückl gelingt eine Inszenierung, die nicht mehr will als der Text geben kann, er ehrt dadurch den Autor, wird ihm gerecht. Zu Beginn herrscht für das Publikum eine gewisse Ungewissheit, da sich der sprachliche Stil und die Form nicht ganz einordnen lässt und es ein bisschen braucht, bis sich die Geschichte entfaltet. Dann werden immer wieder expressive Akzente gesetzt und Momente des WTF? beim Publikum erzeugt. Wir werden ganz nach Bauer ein bisschen an der Nase herumgeführt. Eine große Stärke der Inszenierung liegt in der Stimmung. Das Bühnenbild (Stefan Hageneier) ist recht einfach gehalten - eine Hütte, felsige Umgebung und Hintergrund - doch es reicht, um sich wie in einem Bergdorf zu fühlen, wenn der Wind aus der Anlage rauscht und heftige Gewitter über die Bühne donnern. Die Handlung wird begleitet, umrahmt und eigentlich auch kommentiert, vom Männerquartett der Gesangskapelle Hermann, deren Anwesenheit durchaus diegetisch ist, aber auch ein bisschen traumhaft anmutet, in jedem Fall aber wunderschöne Klänge durch die Berge/Savanne schallen lässt.

Absurd, brillant, und von unglaublicher Aktualität

Dem Ensemble ist die Spielfreude deutlich anzumerken und sie schaffen es, den Funken aufs Publikum überspringen zu lassen. Sebastian Wendelin glänzt mit einer lustvollen Darbietung des Florian Tilo, der sich selbst erst finden muss und dann zu verlieren droht. Markus Meyer spielt so intensiv und aufopfernd, wie man es von ihm gewohnt ist. Großartig auch Branko Samarovski und Barbara Petritsch. Wolfgang Bauer hat sich zeitlebens dagegen gewehrt in eine Schublade gesteckt zu werden, wandelte zwischen literarischen Welten und schuf sich so ein vielschichtiges Vermächtnis. Der Rüssel fügt sich in das Dispositiv Bauer nahtlos ein. Absurd, wie man ihn kennt, aber brillant und von unglaublicher Aktualität, als würde Bauer direkt zu uns sprechen, fast 13 Jahre nach seinem Tod. //

Text: Gabriel Walter Oberhauser
Fotos: Reinhard Werner/Burgtheater

Kurz-Infos:
Der Rüssel
von Wolfgang Bauer
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Vorpremiere am 18.4.2018 im Akademietheater Wien
und im Rahmen der Dschungel Academy (Workshop) unter der Leitung von Manfred Horak

Regie Christian Stückl
Bühne und Kostüme Stefan Hageneier
Musik Tom Wörndl
Licht Herbert Markl
Dramaturgie Hans Mrak
Besetzung Stefanie Dvorak, Simon Jensen, Peter Matić, Markus Meyer, Dirk Nocker, Barbara Petritsch, Christoph Radakovits, Falk Rockstroh, Branko Samarovski, Sebastian Wendelin
Gesangskapelle Hermann Simon Gramberger, Bernhard Höchtel, Robert Pockfuß, Joachim Rigler, Simon Scharinger, Stephan Wohlmuth