Die Stubenoper von Georg Ringsgwandl feierte am 14.10.2015 seine Premiere in einer neuen Inszenierung von Dora Schneider im Kosmos Theater Wien. Die Tragikomödie liefert viel Glanz und begeistert das Publikum.
Ringsgwandl ist ein Erfinder neuer Genres, das war schon in den späten 1980er Jahren so, als er z.B. den "Heavy Metal Landler" erfand (nachzuhören auf dem genialen Album Trulla! Trulla!; 1989), und jetzt, mehr als 20 Jahre später, ist er immer noch nicht der Innoviationen müde. Nach einer Schrott-Oper ("Die Tankstelle der Verdammten"; 1994) und nach einer Punkoper ("Ludwig II. - Die volle Wahrheit"; 1998) kommt nun mit "Der varreckte Hof", fast folgerichtig, eine Stubenoper, genährt von zahlreichen Stubenarien und gesprochenen Dialogen. Die Wiener Fassung, mustergültig von Dora Schneider in Szene gesetzt, verlässt sich dabei musikalisch auf das Duo Catch-Pop String-Strong mit Jelena Popržan und Rina Kacinari, die nicht nur auf unzähligen Musikinstrumenten schlagen und zupfen, sondern auch als Schauspielerinnen fungieren. Ihre Arrangements der Ringsgwandl'schen Melodien treiben das Stück hervorragend an und das Ensemble zu hinreißenden Darbietungen.
Wie viel Heimat braucht der Mensch?
Das große Thema der Stubenoper sind die Folgen der Abwanderung aus ländlichen Regionen - Weltweit leben heute mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land, und die Tendenz ist stark steigend. In Deutschland sind sogar 74 Prozent der Bevölkerung Städter. Mit dieser Flucht in die Großstädte droht zunehmend auch der soziale Zusammenhalt zu zerfallen und nicht zuletzt droht ein Identitätsverlust. David Byrne formulierte dereinst für die Talking Heads im Song "This Must Be The Place (Naive Melody)" die Zeile "Home is where I want to be", woraus wiederum die Frage "Wie viel Heimat braucht der Mensch?" gestellt werden kann, wie es Ringsgwandl in der Stubenoper nachzuspüren versucht. Auf seine ureigene Art freilich, also gespickt mit ganz vielen humoristischen Pointen. Witze, die oberflächlich gehört, zum Teil recht tief in die Fäkalwitzecke reingreift. Und Recht hat er, denn je fäkaler der Witz, desto lachfreudiger das Publikum. Unter dieser Fäkalwitzoberfläche befindet sich allerdings jede Menge Niveau und Substanz, um den eigentlichen Ernst der Geschichte nicht aus den Augen, aus den Ohren, zu verlieren.
Zeitkritik und gschlampate Zustände
Der Inhalt ist schnell erzählt: Mutter Weichsenrieder (kongenial von Linde Prelog dargestellt), wird wunderlich, oder vielleicht tut sie nur so. Eine Pflegerin muss her, denn ihre Kinder, die allzeit überforderte Halbtagshandarbeitslehrerin Gerlinde (Emese Fay überzeugt mit ihrem facettenreichen Spiel) und der Wichtigtuer und Manager Rupert (fantastisch schmierig dargestellt von Peter Bocek), können die Alte nicht betreuen. So kommt Swetlana (gekonnt groovig: Jelena Popržan) aus Moldawien auf den Hof, der schon seit Jahren stetig verfällt. Die Stubenoper spielt auf einem Bauernhof und verhandelt die große Welt mit Komik, Zeitkritik und gschlampaten Charakteren, oder, wie die alte Bäuerin in einem der Stubenlieder moniert: "Da Hof is gschlampat, i bin geschlampat, de Kiah und draus des Gros is gschlampat." Die Globalisierung und die Entwurzelung, die familiäre Entfremdung und Überforderung bzw. das nicht mehr vorhandene Selbstverständnis für die Alten zu sorgen - sozial sind ja nur noch die Medien, denn da kann man ja schnell was mögen und für etwas sein und sich engagiert geben - spiegelt sich in der Stubenoper wider. Hinter- und tiefgründig trifft es das Publikum. "Für die Arbeit fehlt ihr die Kraft, als Mutter ist sie zu alt und als Oma fehlen ihr die Enkelkinder." Erkenne dich wieder. Ein großer Musiktheaterabend mit hoffentlich noch vielen Wiederaufnahmen. Zu sehen ist "Der varreckte Hof" bis 31.10.2015 im Kosmos Theater Wien. (Text: Manfred Horak; Fotos: Bettina Frenzel)