Das bis 17. August stattfindende Impulstanz-Festival hat würdig mit Alain Platels "tauberbach" im Volkstheater eröffnet. Die Produktion von les ballets C de la B und den Münchner Kammerspielen wurde als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschsprachigen Raum zum Berliner Theatertreffen 2014 eingeladen.
Unmengen von knallbunten Kleidungstücken beherrschen die Bühne. Ist ein Sturm durch ein Caritas-Kleiderlager gefegt? Rosa und Rot-Töne, dazwischen blau und gelb, dominieren das textile Schlachtfeld, in dem die modischen Überbleibsel der vergangenen Jahre liegen geblieben sind. Wir kleiden uns. Wir unterwerfen uns dem Diktat der Mode. Wir machen dabei Müll. Sehr viel Müll.
Anarchie im Theater
Mitten aus den Kleiderhaufen tauchen Menschen auf, die darin wühlen, als sei gerade Saldi-Start angesagt und die Wühlkisten mit den Schnäppchen frei geben. Sie schmeißen Kleider in die Luft und graben sich durchs Gewebe. Hängen sich an die Lichtbalken des Theaters, die hochgezogen werden, lassen sich aus der Höhe herabfallen. Es herrscht Theater-Anarchie. In diesem Chaos steht eine Frau auf der Bühne, gespielt von Elsie de Brauw, die in verschiedenen Sprachen und Stimmen spricht, mit sich selbst und dem Publikum - und einer Stimme aus dem Off, die sie herausfordert, kritisiert und abwertet.
Vom Rande der Gesellschaft zum Kern
Alain Platel, ausgebildeter Heilpädagoge, richtet seinen choreographischen Blick einmal mehr auf die Randgruppen der Gesellschaft. Um von dort allerdings mehr auf das größere Ganze zu verweisen als tatsächlich dort zu verweilen. Strukturen - oder Abgründe, die Platel im Mikrokosmos freilegt, zielen bei ihm auf den Makrokosmos der menschlichen Zivilisation ab. Diese zeigt sich, so wissen wir, keineswegs immer zivilisiert. Sexualität, Liebe, Leid, Aggression - die Menschen an den Müllbergen am Rande der Gesellschaft plagen bei Platel die vermeintlich gleichen Zwänge. Zumindest in der Theaterrealität, in der einzig das Summen von Fliegen und Theaterfarbe, die die Akteure sich ins Gesicht und auf den Körper schmieren, auf den Schmutz und die Gefahren verweisen, die jene an den Rand gedrängten erleiden. Schauspielerin Elsie de Brauw spielt z.B. so eine Müllsammlerin. Inspiriert ist die Figur von Marcos Prados apokalyptischer Dokumentation "Estamira", einer Frau, die an Schizophrenie leidet und in einer Müllhalde ihr zuhause gefunden hat.
Gehörlose singen Bach
Platels Meute der Aussteiger sind seine Tänzer und Tänzerinnen Elie Tass, Ross McCormack, Romeu Runa (großartig als Punk), Lisi Estaras und Berengere Bodin. Kontrastiert wird das "saubere" Theater-Chaos auf der Bühne von den auf himmlischen Sphären verweisenden Kantaten von Johann Sebastian Bach. Diese sind teils pur und teils in Verbindung mit von Gehörlosen interpretierten Aufnahmen zu hören. Es ist die Musik eines Videoprojekts von Artur Zmijewski, der in Leipzig einen Chor Gehörloser Bach singen ließ. Bringt man diese gegensätzlichen Elemente - Bachs Musik und Alain Platels "Bastard Tanz", wie er es nennt, zusammen, entstehen poetische Bilder von unglaublicher Schönheit, in denen die Unvollkommenheit, das Absonderliche menschlichen Daseins in Bewegungen gegossen wird. Ein Tanz voll von Verrenkungen, der eckig und kantig sein kann, dann wieder voll Klarheit und minutiöser, hochtänzerischer Körperbeherrschung. Wunderbares SchauspielerInnen-Tanztheater, dem man jedoch vorwerfen kann, dass es der Härte sozialer Realitäten, die es aufzugreifen vorgibt, nicht gerecht werden kann. (Text: Veronika Krenn; Fotos: Julian Röder)
Kurz-Infos:
tauberbach von Alain Platel
Bewertung: @@@@
Kritik zur Österreichischen Erstaufführung
beim Festival ImPulsTanz
17.7.2014, Volkstheater Wien