nora2Frei nach Ibsens bürgerlichem Beziehungsdrama "Nora", dessen Thema sich um die abhängige, zur Puppe degradierten Frau in der männerdominierten Gesellschaft des 19. Jhdt. dreht, setzt Jelineks früher Theatertext der 1970er Jahre beim Abgesang von Ibsens Drama ein. Zu sehen in der Garage X.

Noras Entschluss, ihren Mann und die Kinder zu verlassen und in ein selbstbestimmtes Leben als emanzipierte Frau aufzubrechen, scheitert kläglich, als sie wiederum unter das ausbeuterische Joch eines vermögenden Mannes gerät. Inwieweit ist Emanzipation in gegenwärtigen spätkapitalistischen Wohlstandszeiten immer noch fest an das Diktat der Verwertbarkeit gebunden und weshalb sind feministische Klänge mit kämpferischem Unterton der 1970er Jahre im 21. Jhdt. verpönt oder belächelt?

Ali M. Abdullah, Intendant der Garage X, ist sichtlich darum bemüht Jelineks "Holzschnitttechnik" und von Polemik und Kontrasten gekennzeichneten austauschbaren Subjekten entsprechend polyphon umzusetzen. Nora Helmer, gespielt von Anita Gramser (Mitglied des Ensembles Schauspielhaus Graz) und (!) Julia Jelinek (auch zu sehen als Wanda in David Schalkos Film "Wie man leben soll"; 2010), geben ein differenziertes Frauenbild ab - die erstere als Mannsweib und die zweite als Kindfrau auftretend - eine subversive Inszenierungsstrategie entgegen feministischer Parolen, die von der einen Feminität sprechen. Jelineks plakative, von Kalauern übersäte Reden über Frau-Sein, Mann-Sein, Status, Macht und Geld wirken komisch bis grotesk angesichts heutiger plural-individualistischer Lebensmodelle. Trotzdem lassen sich Parallelen zwischen dem jetzigem und dem Gesellschaftsentwurf der 1970er Jahre erkennen: Vielleicht ist die vom Feminismus geforderte Solidarität unter Frauen auch deshalb ungehört, weil es immer noch klassenspezifische und sozio-ökonomische Gründe sind, welche Frauen daran hindern sich gemeinsam eine Stimme zu geben. Angesichts der Tatsache, dass Nora erneut als Marionette ihres neuen Liebhabers, dem Textilkönig Weygang, fungiert, stellt sich die Frage, ob Emanzipation in einer Verwertungsgesteuerten Gesellschaft jetzt wie damals wiederum nur in ein Abhängigkeitsverhältnis führen kann.

Inhaltlich wie formal wird Jelineks Text hier zwar mit gängigen Methoden einer zeitgenössischen "postdramatischen" Inszenierung auf die Bühne gebracht, allerdings wird das Brechtsche "aus-der-Rolle-fallen" und die Selbstreflexivität auf den "gemachten" Ort Theater zu viel des Guten betrieben. In dem Moment wo die Schauspieler mit aufgeklebten Zetteln in diverse Rollen schlüpfen oder eine Rolle co-erzählen, bzw. zwei Rollen gleichzeitig spielen, ist auch dem letzten klar was der Regisseur damit bezweckt. Weiters sorgten die von einem Duo live vertonten Jelinek-Kalauer, wie etwa "Es gehört sich nicht, sie gehören sich nicht", durchaus für gedankliche Vertiefung, hätten aber in der musikalischen Umsetzung mehr Einfallsreichtum vertragen. Die Premiere wurde mit gemäßigtem bis starken Applaus gewürdigt. Das Stück ist noch bis 22. März 2012 in der Garage X zu sehen. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Marc Lins)

nora3Kurz-Infos:
Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft
Von Elfriede Jelinek
Bewertung: @@@

Die Premierenkritik vom 22.2.2012 in der Garage X
– Inszenierung: Ali M. Abdullah
– Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf
– Austattung: Renato Uz
Mit: Dennis Cubic, Anita Gramser, Markus Heinicke und Julia Jelinek, sowie Verena Dürr und Ulla Rauter ("Wir haben uns lieb bis eine heult")