Selten genug, dass Lyrik dramatisiert wird; und noch dazu in Wiener Mundart. Der Rabenhof hat es probiert! Herausgekommen ist ein zeitloses Zeitbild und eine Hommage an Christine Nöstlinger, die bei der Premiere auch anwesend war.
Mathias Jodl (Dramaturgie) und Anatole Sternberg (Regie) haben einzelne Gedichte aus den Bänden "Iba de gaunz oamen Frauen", "Iba de gaunz oamen Mauna" und "Iba de gaunz oamen Kinda" herausgenommen und zu einem schlüssigen Ganzen zusammengestellt: die Gedichte werden zu Monologen, vermischen sich zu Duetten, - und es funktioniert tadellos. Die gestörte Kommunikation einer Gesellschaftsschicht, die den eigenen Verfall nur an den Veränderungen in der Nachbarschaft bemerkt. Und es wäre nicht Christine Nöstlinger wenn so mancher Part nicht ad absurdum führen würde. Dass die Texte angepasst wurden, bemerkt der Laie gar nicht, und auch für Nöstlinger-Kenner sind die Veränderungen nicht im Geringsten störend.
Der Traum von einem anderen Leben
Auf der Bühne finden wir vier stereotype Figuren: eine Mutter (die wie immer großartige Ingrid Burkhard), einen Sohn (Gerald Votava), eine Tochter (überzeugend: Ursula Strauss) und einen Ehemann (Christian Dolezal). Der DJ (Wolfgang Schlögl) sitzt in der Badewanne. Das Bühnenbild ist hell gehalten und in vier gleich große Abschnitte geteilt: Zimmer, Kuchl, Kabinett und Badezimmer, ein durchsichtiger Vorhang teilt die beiden vorderen Teile (Küche und Wohnzimmer) von den beiden hinteren. Das Licht wendet sich dem zu, der mit dem Erzählen dran ist. Zumeist treten die Figuren hervor und verrichten klischeehafte Alltagstätigkeiten, die anderen werden einstweilen zu Statisten. Und es sind diese kleinen vertrauten Handlungen, die uns die Menschen, "de gaunz oaman", näher bringen: wenn Ingrid Burkhard am Küchentisch sitzt, die Arme aufgestützt beim Kaffeetrinken mit der rechten Hand das Häferl schlenkert, um den Kaffeesud, der sich am Boden absetzt, noch aufzuwirbeln. Oder wenn Gerald Votava über die lange Unterhose und das Feinrippunterleiberl den Mantel anzieht, um die Post zu holen. Dazwischen werden die Sehnsüchte und Wünsche auf den durchsichtigen Vorhang projiziert: ganz zart sieht das aus, und ganz zerbrechlich, der Traum von einem anderen Leben.
Die Must-haves des Wiener Proleten: Bierflaschen und Fernbedienung
Die Machtverhältnisse sind klar, und schmerzhaft klar ist auch, dass sich seit den 1970ern, als die Gedichtbände erschienen, nicht viel geändert hat: oder ist es heute denkbarer, dass eine Frau am Abend sich einen Mann aufreißt? Ihm ins Knie zwickt und sagt, "Geh, stell dich nicht so an, Bub" und ihn mit einem "Du willst doch auch" mit nach Hause nimmt? Die Requisiten sind klischeehaft, aber durchgehend in Weiß gehalten: Tisch, Stühle, Wohnzimmergarnitur und Rollator. Auf dem Tisch liegen die Must-haves des Wiener Proleten: Bierflaschen und Fernbedienung. Die Musik macht Wolfgang Schlögl live, und der sitzt in der Badewanne. Das Orchester sind die SchauspielerInnen selbst, die Requisiten ihre Instrumente: ziemlich cool ist vor allem der aufklappbare Wäscheständer als Schlaginstrument, das den Rhythmus vorgibt. Die Texte werden gesprochen, aber mitunter auch gesungen: leise Klagelieder und lautes Wehgeschrei einer Arbeiterschicht die "nichts gelernt hat" untermalt je nach Person und Stimmung: die Mutter, die die ewiggleichen Geschichten erzählt mit den ewiggleichen Gesten wird zumeist von Glockenspielklängen begleitet. Die Tochter hat den Blues, im wahrsten Sinn des Wortes. Die beiden Männer liefern sich einen Sprechgesang über Männer und Macht. Und Christian Dolezal entpuppt sich als wahrer Meister der Onomatopoesie.
Ein Stück über die ganze Wut
Am Ende fügen sich die Monologe dann doch irgendwie zu einer Geschichte zusammen: die Tochter trennt sich nach einem Selbstmordversuch von ihrem Mann, der verlassene Ehemann beschließt nicht zu trauern, weil "es sich ned dafirsteht für das Luder", der Sohn verhurt das Geld seiner Mutter am Gürtel und die Mutter, die sich längst in ihre Welt zurückgezogen hat, bemerkt trotzdem, wie ihr langsam alles entgleitet. Traurig ist das alles irgendwie trotzdem nicht. "Ich geb ned auf", sagt die Mutter am Ende, "Ich geb ned auf". Sternberg und Jodl präsentieren uns eine nicht nur finanziell, sondern vor allem eine sozial verarmte Schicht, ohne sich dabei auf ATV-Niveau herabzulassen. Getragen wird das Stück in erster Linie durch die Sprache: durchgehend im Wiener Dialekt, den man so lange und so konsequent gesprochen schon gar nirgends mehr hören kann. Im Theater schon überhaupt nicht. Das gibt dem Stück eine poetische Note. Und so bleibt am Ende nicht die nackte Hoffnungslosigkeit wie zum Beispiel in Ulrich Seidls "Hundstage", sondern ein Stück Theater, das die Nöstlinger in sich hat: ein Stück über die ganze Wut und die ganze Hilflosigkeit, über die ganzen Träume und Sehnsüchte, eines über die ganz, ganz armen Leute. (Text: Anne Aschenbrenner; Fotos: Rabenhof / pertramer.at)
Interview-Tipp:
Iba den gaunz oaman Dialekt: Interview mit Christine Nöstlinger
Kurz-Infos:
Iba de gaunz oamen Leit von Christine Nöstlinger
Bewertung: @@@@@
Regie und Bühne: Anatole Sternberg
Bühnenfassung: Matthias Jodl und Anatole Sternberg
Mit: Ingrid Burkhard, Ursula Strauss, Christian Dolezal, Gerald Votava
Musik und Komposition: Wolfgang Schlögl
Kritik zur Premiere am 17.1.2012 im Rabenhof Theater