working-class-zero-004Für Fanny Brunner ist die künstlerische Hinwendung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen moralisch gesehen ihre Aufgabe als Theaterregisseurin. In "Working Class Zero" nähert sich Brunner mit analytischem und multi-perspektivischem Blick der Frage nach der Bedeutung und Definition von 'Arbeit heute' im gesamtgesellschaftlichen Kontext des sozialmarktwirtschaftlichen Kapitalismus.

"Carnivals come cheap; what matters is the day after", warnt der hippe Pop-Philosoph Slavoj Žižek, in seiner Rede auf der Occupy Wall Street Protestbewegung und drückt damit aus, dass sich der momentane kollektive, jedoch nicht homogene Protest schnell auch wieder verflüchtigen kann, wenn keine dementsprechenden Handlungen für eine tatsächliche Veränderung des Status Quo folgen. In gegenwärtigen Zeiten der Finanz-, Staats- und ökologischen Krise(n) herrschen einerseits Ratlosigkeit und Resignation und andererseits auch Protest und der Wunsch zum kraftvollen Umsturz.

Die Arbeitslosen von Marienthal

Historischer und inhaltlicher Ausgangspunkt des zeitweise performativ anmutenden Theaterstücks ist die soziologische Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" von Maria Johada und Paul Lazarsfeld, die im Juli 2011 im Rahmen des Viertelfestivals in Gramatneusiedl uraufgeführt wurde. Dort kam es 1930 über Nacht zur Fabrikschließung mit vielen Arbeitslosen als Folge dessen. Trotz anfänglicher Referenz zur Fabrikarbeit in den 1920ern, eine Zeit, gekennzeichnet vom Warten und monotonen Arbeitsalltag mit sehr beschränkten Freizeitmöglichkeiten, schwenkt das Stück wie ein Kaleidoskop rasch um auf tagespolitisches Terrain. Warten wird im Zeitalter der permanenten Beschäftigung und Verfügbarkeit durch neue Kommunikationsformen zum ungewohnten und unerträglichen Ausnahmezustand.

Verhältnis von Arbeit und Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft

Versatzstücke wie etwa Žižeks Rede im Zuccotti Park, die von DarstellerInnen als Chor gestisch und (körper)sprachlich höchst akkurat und deshalb ausgesprochen amüsant, nachgemimt wird, finden im Stück genauso Eingang wie Gedanken von Hannah Arendt zum Verhältnis von Arbeit und Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft und den daraus resultierenden verhängnisvollen Abhängigkeiten. Anschaulich vorgebracht wird diese Entwicklung durch den Vortrag eines überambitionierten Aufsichtsrats, den sein permanentes Profitstreben und Glauben an Gewinnmaximierung wortwörtlich zu Boden bringen. Als weitere Elemente innerhalb der inszenierten Versuchsanordnung sprechen zwei bulgarische Menschenschmuggler pragmatisch, aber auch mit einem Hauch von Melancholie von ihrer illegalen und unwürdigen Arbeit, mit der sie ihre Familie ernähren und anderswo wird einer jungen Frau in einem Wohlstandsland beigebracht, dass der Staat sie zwar bei der Ausbildung unterstützt, aber dafür auch von ihr erwartet, dass sie nachher einer Beschäftigung nachgeht, von der er Steuern eintreiben kann, mit denen wiederum arbeitslose Menschen unterstützt werden. Es macht für sie keinen Sinn arbeiten zu müssen, um den Staat zu erhalten. Alternativ dazu folgt ein nüchterner Monolog in Form einer Rede, die das Publikum in weiterer Folge in Sachen Finanzsystem und Staatsschulden unterrichtet und argumentiert, weshalb es besser wäre Kredite den Banken erst gar nicht zurückzuzahlen und ein bedingungsloses Grundeinkommen für Güter und Dienstleistungen, wie Žižek es formuliert, einen "besseren, nicht höheren Lebensstandard" sichern könnten.

Informationsflut und offene Inszenierungsstrategie

Vor Schluss gibt es dann für alle Beteiligten ein kulinarisches Intermezzo, zubereitet von chinesischen Mitwirkenden im Hintergrund; einige davon hatten während des Stücks gemäß dem Prinzip der Arbeitsteilung Taschen mit kommunistischem Hammer und Computermaus bedruckt - eine provokante und pointierte, aber auch etwas plakative Ausdrucksweise für die Verquickung von äußerst erfolgreichem Kapitalismus und autoritärer Herrschaft. Dafür aber träumten dort die Menschen noch von Alternativen im Gegensatz zur westlichen Gesellschaft, die sich, wie Žižek proklamiert, "das Ende des Kapitalismus nicht vorstellen kann und daraus folgend, auch nicht von Alternativen zu träumen vermag". Die abwechslungsreiche und originell umgesetzte Inszenierung ist zwar aufgrund der Informationsflut an unterschiedlichen Inhalten keine leichte Kost, hat aber gerade durch diese offene und überfordernde Inszenierungsstrategie das Potenzial das Publikum zu einer aktiven reflexiven Anteilnahme anzuregen. Etwas, das als Vorbereitung für nächste Handlungsschritte in einem Moment des Scheiterns eines Gesellschaftssystems dringend erforderlich scheint. Und bis zur nächsten Aufführung des Stücks im März 2012 in der Garage X wird das Stück mit dieser brisanten Thematik wohl noch nichts an Aktualität eingebüßt haben. (Text: Kathrin Blasbichler; Foto: Stills aus dem Video von Stefan Richter)

working-class-zero-005Kurz-Infos:
Working Class Zero
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung am 10.12.2011 in der Garage X

 Weiterführende Infos:
Guter Morgen Marienthal (Kritik)
Interview mit Fanny Brunner und Hans-Jürgen Hauptmann