Am 24. 11. 2010 fand im Dschungel Wien die Uraufführung des Stückes "Christiane F." des theater.wozek statt. Ein Stück, das sich der Geschichte der drogensüchtigen Christiane Felscherinow auf eine ganz eigene und neue Art nähert.
Das Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist, seit es 1978 vom Stern herausgegeben wurde, wahrscheinlich an den meisten Schulen in Österreich und Deutschland zur Pflichtlektüre für die Dreizehn- bis Sechzehnjährigen geworden. Diese Lektüre soll die Kinder abschrecken und in diesem empfindlichen Alter am Besten ganz vor eigenen Drogenerfahrungen bewahren. Immer schwingt bei dieser Unterrichtslektüre ein moralinsaurer Unterton mit. Mit Christiane F.'s Geschichte haben sich bereits einige Regisseure befasst und 1981 wurde das Buch mit dem Titel "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" verfilmt. Auch dieser Film gehört wahrscheinlich in vielen Schulen zum Pflichtprogramm im Unterricht.
Wenn Drogensucht vermarktet wird
Karl Wozek nähert sich dem Stoff von mehreren anderen Seiten. Das Stück beginnt mit Christiane F.'s Sohn Niklas (Charly Vozenilek), der gerade das Buch gelesen hat, das über seine Mutter geschrieben wurde. Niklas muss feststellen, dass wahrscheinlich alle Welt eine Geschichte seiner Mutter kennt, die ihm bis dahin verborgen war. Dieser Niklas ist wütend auf seine Mutter. Wütend, nicht weil sie eine Drogensüchtige war, sondern weil sie ihre Drogensucht vermarktet hat. Er spricht das Buch an, als sei es seine Mutter. Vielleicht steckt seine Mutter nur in diesem Buch? Oder vielleicht ist alles was darin steht nur eine große Lüge? Niklas stellt den Wahrheitsgehalt der Geschichte infrage und nähert sich ihr damit auf ganz andere Weise als sie wahrscheinlich in den meisten Klassenräumen rezipiert wird. Und Niklas versucht sich der Geschichte seiner Mutter anzunähern, indem er sie mit Puppen nachspielt. Symbolisch für die Großstadt steht ein großes Klo in einem verdreckten Raum. Auf diesem Klo lässt Niklas die Puppe wohnen, die seine Mutter darstellt. Zur Verfremdung wird in Wozeks Stück nicht nur Niklas Spiel mit den Puppen genutzt. Während Christianes (Sandra Selimovic) Geschichte auf der Bühne stattfindet greift auf einmal ein Regisseur (Robert Kahr) ein und aus der Lebensgeschichte wird ein Filmdreh. Durch diese Mittel wird das Publikum vom Geschehen distanziert und löst sich auch von den Figuren.
Frage nach Wahrheit und Fiktion
Am Filmset stellt sich noch einmal die Frage nach Wahrheit und Fiktion, wenn die Schauspielerin Svetlana (Sandra Selimovic) dem Regisseur die Geschichte ihrer eigenen Drogensucht erzählt und ihm danach anbietet sie könne ihm auch erzählen, sie sei HIV positiv. Die Darsteller/innen schlüpfen von einer Rolle in die andere. Denn die Figuren dieses Stückes sind universal austauschbar. Es geht nicht um die Geschichte der einzelnen Christiane F., sondern um das Schicksal vieler, die anders als Christiane anonym bleiben und von deren Existenz man erst erfährt, wenn ihr Drogentod eine kurze Randnotiz in einer Zeitung wert ist. In Wozeks "Christiane F." wird die Personifizierung der Drogensucht nicht so stark hervorgehoben wie in dem Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Dennoch kommt das Stück nicht völlig ohne den moralischen Zeigefinger in Richtung seines jungen Publikums aus. (Katharina Fischer)
Kurz-Infos:
Christiane F.
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Uraufführung am 24. 11. 2010, Dschungel Wien
Altersempfehlung: 15+
Regie / Konzept: Karl Wozek
Mit: Sandra Selimovic, Charly Vozenilek, Marion Rottenhofer, Robert Kahr
Musik / Video: Martin Grell
Bühne / Kostüm: Alina Forstner, Darja Ba
Licht: Hannes Röbisch
Produktion: theater.wozek in Zusammenarbeit mit Theaterwagabunt