Justus Neumanns Adaption vom Nibelungenlied im Circus Elysium in Koproduktion mit dem Dschungel Wien feiert heftig umjubelte Premiere.
Siegfried an der Flex, oder: Theater mit Leib und Seele...
Justus Neumann braucht ja weiter nicht vorgestellt werden. Trotz fortgeschrittenen Alters und verschmitzt weißbärtiger Mähne lässt dieser große Schauspieler, Clown und Bühnenberserker mit seiner Energie viele jüngere Kollegen blass und alt aussehen. Als einstmals etabliertes Mitglied des Volkstheaters adelte er seinen höchstpersönlichen künstlerischen Zugang dadurch, dass er sich dem saturierten Staatstheaterbetrieb entzog und konsequenterweise seit 1987 in Tasmanien lebt um dort seinen eigenen künstlerischen Weg zu formen. Zum Glück für uns findet er in lockeren Jahresabständen immer wieder zurück nach Wien, um dort seine eigenen Produktionen mit geballter Theaterwucht zu stemmen. Seit einiger Zeit hat er sich dafür auch sein eigenes Zirkuszelt erstellt (Zirkus Elysium), das im Hofe des Museumsquartiers direkt vor dem Theaterhaus Dschungel parkiert. Und er widmet sich in seiner neuen, unglaublich intensiven, witzigen und atemberaubenden Produktion einem der sperrigsten Texte der deutschen Literatur, dem Nibelungenlied.
...total theatral...
Wer sich davon nun entweder langatmige Rezitationen oder gar einen Promi-Abend mit Bayreuth Schampus-Ambiente verspricht wird hier auf den sichtbaren Schrottplatz geführt. Justus Neumann fährt mit dem unglaublich vielfältigen Repertoire seiner Darstellungskunst auf. Und dazu gehören grob gesprochen flüstern, zischen, röcheln, sprechen, rufen, Jausen essen, mit der Flex schleifen, auf den Amboss hämmern, hängen, schwingen, torkeln, singen, erzählen, deklamieren, balancieren, tanzen, springen und noch eine ganze Menge mehr, wofür es in dieser Kraft kaum passende Vokabeln gibt.
...auf Höllenfahrt und Drachenritt...
Er verführt sein Publikum ganz unverfänglich und im breiten Dialekt in eine scheinbar harmlose Schilderung und schon bricht eine wahre Höllenfahrt durch das ganze dramatische Geschehen der Nibelungen los, wo Funken sprühen, wo Sensen geschwungen werden, er sich selbst auf einen Haken zur Seite hängt, einen Drachenritt zeigt und natürlich auch - als wäre es eine Selbstverständlichkeit - Strophen- und Versgetreu in den Originaltext einsteigt und dabei einmal mehr den Beweis führt, dass körperliche Präsenz und sprachliche Virtuosität miteinander höchst erfreuliche Wege gehen können.
...mit Bänkelgesang...
Er singt, Bänkelgesang oder auch Siegfrieds Tod in mehreren Sprachen. Er spielt, den Arbeiter am Schrottplatz oder Siegfried oder Brünnhilde oder gleich auch noch ihre Liebesnacht mit zwei Männern. Er zeigt Figurentheater, erweckt einen ganzen Maschinenpark zum epischen Leben. Und schwingt sich im Zelt von einer akrobatischen Leistung zur nächsten (Apfelkatapult, Wildpretwippe, Scheibtruhen-Brünnhilde). Hier ist kein Platz für Sparen oder scheinsubtil-kopflastige Fadesse. Hier geht es zur Sache und das mit ganzem Einsatz.
...und Wagner ohne vorgestrige Ideologielastigkeit...
Er schafft es sogar, die Musik Wagners so dazu zu holen, dass das echte Pathos fühlbar wird, ohne auch nur den Funken von Peinlichkeit oder vorgestriger Ideologielastigkeit aufkommen zu lassen. Sein kongenialer Partner, der ihn seit vielen Jahren mit eigens komponierter und vielschichtiger Musik versorgt, umsorgt und begleitet, ist dabei der wunderbare Gerhard Gruber.
...einfach nur gutes Theater, wie es sein soll
Am Ende des Abends sitzt das Publikum begeistert, mit strahlenden Augen und noch vom Geschehen außer Atem und spendet tobenden Premierenapplaus. Neumann versteht es, Theater mit all seinen ureigensten Stärken voll auszuspielen. Bei dieser Version des Nibelungenlieds verblassen Film, TV und neue Medien. Diese Unmittelbarkeit, diese Kraft, diese Wucht des Erlebten zeigen den Platz, den das Theater und nur das Theater einnehmen kann, um Menschen zu berühren, zu unterhalten und ins Staunen zu versetzen. Keine blasiert-selbstverliebte Salzburger Jedermann-Schickeria, keine kopflastigen Burgtheaterverfremdungen - einfach nur gutes Theater, wie es sein soll. Uneingeschränkte Empfehlung. (Tristan Jorde)
Kurz-Infos:
Das Nibelungenlied
Bewertung: @@@@@@
Circus Elysium in Koproduktion mit dem Dschungel Wien
Konzept, Buch und Raum: Justus Neumann und Hanspeter Horner
Spiel: Justus Neumann
Regie: Hanspeter Horner