"Tonjuwelen", der Titel des neuen Albums und der 25-Jahre-Jubiläumstour ist auf den ersten Blick ein echtes Astor-Kind: Klingt ähnlich wie ein geläufiges Wort, bedeutet aber etwas ganz anderes. Dieses Mal nicht ganz.
In 25 Jahren 'Leben für das Wortspiel' kommt so einiges zusammen. Da kann das künstlereigene Archiv schon einmal über Tage durchforstet werden und es finden sich wahrscheinlich immer noch Nummern, von denen selbst der Schöpfer nichts mehr wusste. Vielleicht war es so bei Willy Astor, der ja ein fleißiger Schreiber ist und da fasste er den Plan, seine Fangemeinde mit einer Auswahl auch an älteren Stücken zu beglücken. Eben seinen Kronjuwelen. Auch auf der Oberfläche der Darbietung ließ sich am 1. Mai 2010 im Orpheum Wien erkennen, dass die Karriere des Komikers bereits von Dauer ist. Nach der ersten Nummer begab er sich in den zum Bersten gefüllten Saal und plauderte mit seinen Gästen. Das macht ein Neuling nicht, dem gesteht man die Zeit nicht zu. Die Interviews waren natürlich nicht einstudiert und so offenbarte sich die Spontaneität des Unterhalters. Was er aufschnappte, nahm er dann mit auf die Bühne und machte die Äußerungen zu Konstanten des Abends. Das schuf eine Verbindung, erzeugte das Gefühl, als Publikum einzigartig zu sein.
Primi inter pares?
Spielt Willy Astor mit dem Tour-Titel wirklich auf 'Kronjuwelen' an, so erlegt er sich selbst eine schier unlösbare Aufgabe auf, stehen sie doch für eine Best-of-Vorstellung. Seine Erzeugnisse sind aber alle so gut, dass man kaum bestimmen vermag, ob nun irgendeine Nummer über einer anderen rangiere. Eine "Crème de la crème"-Selektion ist schon für den Einzelnen schwer, für großes Publikum natürlich unmöglich. Der Münchner müsste alles bringen und somit die Woche in Wien durchspielen.
Gewiss nicht fehlen dürfen Exempel klassischer Astorscher Kategorien, z.B. Geschichten nach dem Muster "Sammle alle Begriffe zu einem Thema und schau' wie man sie klanglich in eine Handlung einbaut". Das ergibt dann einen - zwar meist abstrusen, aber immer lustigen - Plot, im Orpheum Wien einen aus 142 Kinofilmnamen, einen nur aus Buchtiteln und Autoren oder einen noch sehr jungen, aus aktueller Notwendigkeit mit katholischem Kirchenvokabular: "Es spricht der Papst: Es ist halt so, dass ich gern am Abend mahl'?" oder der nette Hinweis auf die geheime Emailadresse des obersten Hirten: Urbi@orbi. Ein anderer Typ des Astor-Schmähs sind eigene Texte auf Melodien von Welthits, die aber auch auf Deutsch respektive Bayrisch immer noch die beinahe gleichen Titel haben: Willy Astors Version von Dean Martins Volare erzählt vom Graus eines mit Locken verstopften Abflusses und so heißt es im Refrain "Voll Haare". Die Kingston Town-Persiflage schildert, wie die zerstückelte Tante erst in der Tiefkühltruhe gelagert wird um sie nach Ostern wieder zu enteisen; man kann sie an "Pfingsten tau'n". Wenn es ein einzelnes Stück gibt, das - zumindest der Bekanntheit nach - die anderen überragt, so ist es das bajuwarische Guantanamera: Eine verkürzte Strophe entwirft ein umständliches und dadurch witzige Szenario, das den neuen Refrain plausibel macht: Die Hutablage des Mike F. ist die "Maikäferplage" oder die "Tetanus-Impfung" kommt zu ihrem Namen, da ein Täter dem Ausrutschen auf einer Nuss geschuldet in ein Spritzbesteck fällt. Diese immer wieder neu erweiterte Nummer fehlt bei keinem Konzert. Eine neue Spielart, die scheinbar unbändige Wortwut zu kanalisieren wurde in einem unscheinbaren Text präsentiert, der einmal in Prosaform vorgetragen wurde und dann, mit den absolut gleichen Wörtern, nur anderen Zäsuren als Reimgedicht. Sehr originell und eindrucksvoll. Interessant war auch der mit in die Show einbezogene Side-Kick in Person des Technikers Guido, der immer nur "Ja" sagen musste, das allerdings sorgte bei den richtig gestellten Fragen für Erheiterung, zumal wenn das Ja wie ein "Jo eh" oder eine Frage intoniert wurde.
Willy und Wien - eine leidvolle Liebesbeziehung
Als bayrischer Muttersprachler gibt es quasi eine natürliche Affinität zu Österreich, im eigenen Land stößt er ja schnell an Sprachgrenzen. Diese Neigung schlug sich im 2004 erschienen "kleinen Lied für Österreich" nieder. Natürlich nicht ohne Augenzwinkern, aber doch ernst. Nicht nur verbal und musikalisch, auch buchstäblich gab es bei dieser Nummer einen rot-weißen Kniefall. Schön auch die Worte zu Wien, das er schon oft besuchte: "Ich weiß mittlerweile, was man machen muss, damit einen der Wiener… bemerkt." Dann gab es noch den "Dritten Mann", klassisch und als Hardrock-Auflage und zum Schluss der für Willy Astor übliche ruhige Ausklang seiner Konzerte: Dieses Mal ein älteres Stück aus einer der Sound of Islands-Instrumental-Platten. Sphärisch, hypnotisch, weit: Nautilus. Das Klavier blieb an diesem Abend unberührt, war aber da, woraus zu schließen ist, dass es kein unumstößliches Programm gibt, sondern der Künstler auf Publikum und Stimmung reagiert. Vielleicht war ihm in der "surrealen Garage im zweiundzwanzigsten Bezirk", wie er das Theater beschrieb, nicht nach Piano. Drei Stunden Willy Astor heißt drei Stunden herzliches Dauerlachen, heißt Muskelkater im Mund- und Wangenbereich. Garantiert und für jeden. Denn wo viele andere Kabarettisten das potenzielle Publikum filtern nach Ideologie, Milieu oder anderen Differenzmerkmalen, gibt es bei Willy Astor "nur" Muttersprachlerselektion. Das macht den Haufen bunt, vor allem in Wien. (Text: Peter Baumgarten; Fotos: Jens Lindworsky)