Beim Figurentheaterfestival "dreizurdritten" gab es sowohl ein internationales Gastspiel vom Ensemble Materialtheater, als auch die erste abendfüllende Produktion der heimischen Gruppe Krokodil zu bestaunen. Die deutschen Gäste erzählten auf clownesque Art die Geschichte von der Beziehung der Dinge zu den Dingdalern, während das zweite Stück den Beziehungen der Menschen nebeneinander gewidmet war.
"3 Affen" vom Ensemble Materialtheater
Das Leben der Dingdaler mit einfachen Gesprächen aus Hano-i (Guten Tag) und Uuá (Auf Wiedersehen) war langweilig, aber sie waren glücklich. Bis eine Dingdalerin plötzlich den Drang hatte, etwas zu formen. So entstand das erste Ding, rund mit einem Loch in der Mitte: ein Gaffa-Band. Doch wozu ist das gut? Zum Naseputzen eignet sich das zweite Ding, ein Papiertaschentuch, viel besser und Kaffee lässt sich daraus auch nicht trinken. Dafür wird die Tasse geschaffen. Aus einem Stock wird mit etwas Geduld ein ganzer Stuhl. Und mit gut zureden lernt dieser auch, sich nicht auf die Knie seines Schöpfers zu setzen, sondern diesen auf ihm Platz nehmen zu lassen. Um den Stuhl jedoch nicht zu überanstrengen, setzt sich der Dingdaler dafür ab und zu auch auf den Boden.
Die Dingdaler lernen ihre Dinge kennen
So lernen die Dinge und die Menschen voneinander bis die erste Tasse zu Bruch geht. Der Anblick der Scherben führt nicht nur zu Trauer, sondern auch zu Verlustangst. Also lieber gleich ein paar Tassen auf Vorrat schaffen. Diese wollen aber, dass aus ihnen allen auch getrunken wird und bringen ihre Schöpferin (Annette Scheibler) damit fast außer Atem. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen formen um wegzuwerfen. Das macht so ein schönes, schepperndes Geräusch und die Müllschlucker fordern sowieso Aufmerksamkeit ein. Auch wer noch in Gebrauch ist, muss nun stets fürchten weggeworfen zu werden und so beschließen die Dinge sich zu wehren.
Die Dinge lernen die Dingdaler kennen
Auf der ersten geheimen Versammlung wird die "Bewegung viertes Bein" gegründet. Die ergreifende Gründungsrede der Schaufel, sowie die Stimmen der anderen Dinge, die sich wie von selbst bewegen, übersetzt der Musiker und Erzähler Daniel Kartmann für das Publikum. Auch wenn der kleine Müllschlucker scheinbar von der Situation profitiert, verlangt er eine Chance: "Ich bin nicht wie meine Eltern!" Doch die Repressalien nehmen kein Ende und gipfeln in der brutalen Fixierung der Kaffeekanne mit dem Gaffa-Band. Resigniert beschließen die Dinge, sich fortan tot zu stellen und nur wenn keiner hinsieht, kann es sein, dass ein Stuhl einmal ein Bein hebt - und pinkelt.
Nicht glücklich, aber auch nicht mehr langweilig
Mit den drei Affen, die nichts sehen, hören und sagen, sind in dieser Parabel auf gängige Verhaltensmuster und -strukturen nicht die drei menschlichen Darsteller gemeint, sondern die Dinge selbst. Das Ensemble Materialtheater verwendet zur Erzählung nur ein paar Objekte, die von einem unsichtbaren Fünften (Luigi Consalvo) unter der Bühne bewegt werden. Die einfachen, bunten Kostüme und die Phantasiesprache, die nach nordischem Kauderwelsch klingt, erinnern stark an Clowns. Die Naivität der Dingdaler provoziert zusätzliche Lacher. Einer der Höhepunkte - neben der geheimen Versammlung und den aufdringlichen Teetassen - ist Alberto Garcia Sanchez' Pas-de-deux mit seinem Stuhl. Ebenfalls stimmig sind Geräuschkulisse und Musik, die Daniel Kartmann mit seiner One-Man-Band neben der Bühne live produziert. Trotz spürbarer Längen lohnt sich der Besuch.
"Rosmarin" von Gruppe Krokodil
Ganz anders präsentiert sich die Wiener Gruppe Krokodil. Hier wird noch mit den verschiedenen Möglichkeiten des Figurentheaters ohne Rücksicht auf Tourtauglichkeit experimentiert. Damit kommt das Publikum einerseits in den Genuss einer 5-köpfigen Live-Band, andererseits fehlt noch eine einheitliche Linie hinter dem Spiel mit den verschiedenen Stilmitteln. Doch bei all der Kritik darf man nicht vergessen, dass es sich um die erste abendfüllende Produktion des Kollektivs handelt.
kana kumt auf dä wöd ois ana.
Der markante Duft von Rosmarin hängt in der Luft, kleine Zweige liegen auf den Sesseln und werden ans Revers gesteckt. Dunkel. Vertraute Geräusche. Jemand kommt nach Hause, sperrt auf, macht Licht und rückt aus der Projektion die ersten Puppenteile nach vorne. Sie müssen erst werden, was sie sind. Während die Band das Motto für die nun folgenden 50 Minuten anstimmt, werden aus den unschuldigen, hölzernen Gliedmaßen ein Mann und eine Frau. Im Hintergrund eine idyllische Waldlichtung im Sonnenuntergang. Er staunt über ihre frisch gewachsene Schambehaarung und ihre Brüste, sie streichelt seinen Po - kein Wunder, dass ihm ein Glied wächst. Für das, was nun folgt, ziehen sich die beiden diskret ins Off zurück.
Der Rosmarin als Symbol für Liebe und Tod
Auf diesen starken Beginn folgt eine wissenschaftliche Abhandlung über den Rosmarin. Dazu werden ganz im Stil der leider eingestellten "Sendung ohne Namen" frei assoziierte Bilder auf die Leinwand geworfen. Weiter geht es in der Wohnung von Herrn König, der von Albträumen an seinen ehemaligen Partner geplagt wird, im Hintergrund wird Folie über Folie gelegt - ein einfacher, aber schöner Trick. Zu weiteren Rosmarinerläuterungen über das Küchenradio verschiebt sich der Hausausschnitt in die Küche der Nachbarwohnung, wo die alte Frau für ihren Gatten kocht. Als er heimkommt, kann das Essen gar nicht schnell genug auf dem Tisch stehen. Er schlingt den Braten hinunter und schurlt gleich wieder schlaksig davon. Er ist halt ein bisschen hektischer als sie. "Hauptsache, wir lieben uns", denkt sich das junge Paar auf der Terrasse. Doch auch hier herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau. Während er wächst, bleibt sie so klein, dass sie in sein Ohr klettern kann. Immer wieder wird ein anderer Ausschnitt aus der Stadt oder dem Wohnhaus ins Bild gerückt.
"Wo soll da der Platz sein,
fragt der Herr Doktor
und verschreibt ein Achtel
Medizin mit Rosmarin."
Hinter diesen Fassaden des Alltags verbergen sich fünf weitere Spieler, denen die Freude beim Schlussapplaus deutlich ins Gesicht geschrieben steht. Völlig zu Recht, denn ihr erstes großes Stück ist eine gelungene, melancholische Beobachtung der täglichen Verweigerung des Scheiterns. Auf der Wunschliste für das nächste Projekt stehen ein etwas intensiveres Spiel mit den Puppen und nicht nur live gesungene, sondern auch live gesprochene Dialoge. Die Gruppe Krokodil ist eine Entdeckung des Lilarums aus dem Nachwuchswettbewerb "Frische Bühne", der 2010 in [rookie-zucki] umbenannt wurde. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Lilarum)
Kurz-Infos:
Figurentheaterfestival dreizurdritten
"3 Affen" von Ensemble Materialtheater (Österreich-Premiere)
Bewertung: @@@@Stückentwicklung: Sigrun Nora Kilger, Annette Scheibler, Alberto García Sánchez
Spiel: Sigrun Nora Kilger, Annette Scheibler, Alberto García Sánchez, Daniel Kartmann, Luigi Consalvo
Live-Musik: Daniel Kartmann
Künstlerische Mitarbeit: Gyula Molnàr
Technik und Effekte: Luigi Consalvo
Bühne: Luigi Consalvo, Heinrich Hesse
Regie: Alberto García Sánchez
Eine Koproduktion mit dem FITZ! Zentrum für Figurentheater Stuttgart und dem Westflügel Lindenfels Leipzig
"Rosmarin" von Gruppe Krokodil
Bewertung: @@@@
Konzept & Umsetzung: Georg Pöchhacker, Rüdiger Reisenberger, Julia Rudolph.
Spieler: Rüdiger Reisenberger, Julia Rudolph, Angelika Seppi, Barbara Wild.
Figuren: Rüdiger Reisenberger.
Projektionen: Tobias Gossow.
Musik: Serge Öhn
Band: Monika Hasleder, Andreas Leitner, Georg Pöchhacker, Maria Putz, Bernhard Rehn
Eine Koproduktion mit dreizurdritten