Kathrin Rögglas Sprachgewalt lässt Dramaturgenherzen schneller schlagen. Der Katastrophenjargon in Konjunktiv und indirekter Rede kalkuliert des Zuschauers Verwirrung mit ein. Wenn das Abgleiten der Aufmerksamkeit in die Resignation droht, setzt der Regisseur Lukas Bangerter im Schauspielhaus Wien auf Bürogymnastik, Kaffeeautomatenballett oder Cha-Cha-Cha-Einlagen zur Auflockerung.
Sehen so die Menschen aus, die bald von der Bildfläche verschwunden sein werden?
Die Viereckigen und die Piepsstimme sind in der Schaltzentrale gleichermaßen Zuseher und Verbreiter. Angestrengt starren sie auf nicht-existente Bildschirme und steigern sich in die verzweifelte Suche nach Bildern von flüchtenden Menschen, Evakuierungsmaßnahmen, Expertenstimmen, Plünderungen und Nachbarschaftshilfe. Am liebsten wäre ihnen irgendwas mit Viren. Doch was, wenn einmal gar nichts Schlimmes passiert?
Gelegentlich muss man die Alarmbereitschaft senken, sonst hörte man nicht mehr zu.
Auf das stumme Ich (Bettina Karl) hätte das wohl keine Auswirkungen. Sie bleibt während allen Szenen unbefangen, freundlich lächelnd auf der Bühne. Ob eine oder alle diese Stimmen in ihrem Kopf sind, darf jeder mit sich selbst ausmachen. Schon entlädt die Kassandrasekretärin übers Telefon einen Schwall an schlechten Nachrichten und hört dabei ein Rauschen der Gegenmaßnahmen. Doppelte Kassandravisionen sind vielleicht nicht mehr das neueste auf dem Markt, aber dieser fulminante, sich ereifernde Monolog von Katja Jung bleibt der Höhepunkt des Abends.
Teilzeit- oder Dauerpanik?
Wie viel Durchsetzungsvermögen ist in einer Grundschule gut?
Die Elternbereitsvorsitzende (Nicola Kirsch) gibt noch eine beeindruckende Vorstellung von einer Vorladung der Erziehungsverpflichteten und lässt dabei nur den Schulpsychologen (Steffen Höld) kurz zu Wort kommen. Es haben ja alle Kinder einen Hang zur Katastrophe (Wirbelstürme, Hurrikans, etc.), aber besonders lästig ist es, wenn sie besser informiert sind, als der Lehrkörper. Lässt sich das in der Arbeitsgruppe für Minimachiavellis mit Täterkontinuität lösen? Zum Schluss schenkt uns Vincent Glander ein versöhnliches Lied („Into each life some rain must fall“). Das Ensemble steigt mit ein. Man verlässt das Theater beschwingt, fühlt sich gut unterhalten und hat ein bisschen was über worst-case-Szenarien gelernt.
Text: Christine Koblitz
Fotos: Alexi Pelekanos
Kurz-Infos:
worst case von Kathrin Röggla
Bewertung: @@@@
Österreichische Erstaufführung am 15. Oktober 2009
Schauspielhaus Wien
REGIE Lukas Bangerter
BÜHNE Aurel Lenfert
KOSTÜME Andrea Fischer
MUSIK Martin Wigger
MUSIK/ARRANGEMENT Stephen Delaney
DRAMTURGIE Brigitte Auer
TECHNISCHE LEITUNG Michael Zerz
Mit: Bettina Kerl, Max Mayer, Nicola Kirsch, Steffen Höld, Vincent Glander, Katja Jung
Eine Koproduktion von Schauspielhaus Wien und Theater am Kirchplatz, Schaan, Lichtenstein