Suzanne Lietzow inszeniert John Gays barocke Satire über Korruption und Doppelmoral - die Bettleroper - als kurzweilige Posse über die Abgründe im Lumpenberg zum 20-jährigen Jubiläum des Projekttheaters Vorarlberg. Komponist Gerhard Gruber zieht alle Register des Synthesizers und verleiht den schrillen Figuren der Unterwelt mit Zitaten quer durch die Musikgeschichte ein musikalisches Profil.
Peachum: "Man darf die Leute nicht enttäuschen und die Kinder schon gar nicht."
Die Bettleroper von John Gay diente Bert Brecht als Vorlage für seinen Dreigroschenroman. Die Gestalten und die Geschichte sind gleich. Wobei bei ersterem die sozialkritische Keule mit größerer Komik geschwungen wird. Die Bettler, Gauner und Huren führen ein Dasein zwischen Kanalratte und Abschaum. Von den Lumpen, in denen sie hausen, sind sie auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden (opulent und mit großem Mut zur unvorteilhaften und gleichzeitig markanten Präsentation diverser Körperteile ausgestattet von Marie Luise Lichtenthal). Es geht allen ums Fressen und nicht gefressen werden und dabei noch den größtmöglichen Vorteil für sich heraus zu schlagen. Die Männer leben von Diebstahl und Betrug, die Frauen von Naturalleistungen. Der König dieses Gesindels ist Familienvater Peachum (Peter Badstübner).
Mrs.Peachum: "Sie will nich - das blöde Ding is wiaklich valiebt."
Sorgen macht ihm und seiner Frau (Margarete Tiesel) nur Töchterchen Polly (Sandra Bra). Die ist halt noch zu unschuldig und vergisst darüber manchmal sogar das Kassieren. Als herauskommt, dass sie Captain Macheath geheiratet hat, gibt es nur einen Ausweg aus der Misere: Sie soll ihn verpfeifen und so schnell wie möglich Witwe werden. Dann bekommt sie sein Geld und er kann ihre Eltern nicht verraten. Die Hatz ist eröffnet.
Macheath (Sebastian Pass), der unglückliche Intellektuelle des Abschaums, säuselt derweil betörende Worte in die Richtung seiner Liebsten. Bevor er auf Pollys Warnung zu flüchten versucht, bläst er Lucy, weil sie halt schon mal da ist, schnell noch ein Kind in den Bauch. Diese Szene ist eine der schönsten Schwängerungen auf dem Theater. Nadja Brechvogel gibt die Polizistentocher als hinterhältiges, verdorbenes Schulmädchen mit Oberlippenbart. Sebastian Pass als Macheath beherrscht das komische Wechselspiel von notwendiger Aufmerksamkeit und in sich gekehrtem Gleichmut. Die Frauen fallen ihm zu. Das ist Vorteil und Verhängnis zugleich.
Verraten wird er von den zwei abgewrackten Huren, deren eigentliche Geschäfte stagnieren. Maria Hofstätter und Martina Spitzer sorgen als tristes Duo kurz vor der Ausmusterung für weiteres Gelächter. Als wandelndes Informationsbüro taumelt Filch (Martin Horn) zwischen all diesen Wesen umher. Sein unter dem zu kurzen Leibchen bebender Bauch entblößt die unglückliche Figur. Auch Dietmar Nigsch als Ordnungshüter Lockit ist verschlagen und korrupt bis in die Knochen. Und so schlagen und jagen sie einander weiter bis ans Ende ihrer Tage.
Das Projekttheater Vorarlberg - immer schon Experten für den präzisen Umgang mit der Sprache - nimmt es auch diesmal sehr genau. Jeder dieser sozial Benachteiligten pflegt seine eigene Sprachverstümmelung. Da werden Laute verschluckt und artifizielle Dialekte kreiert. Man merkt, von allen wurde hier mit viel Einsatz und Präzision gearbeitet. Warum diese eineinhalb äußerst vergnüglichen Stunden nicht in den offiziellen Brut-Spielplan aufgenommen wurden, ist nicht ganz verständlich. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Nikolaus Walter)
Kurz-Infos:
Die Bettleroper
Bewertung: @@@@@
INSZENIERUNG & Textbearbeitung / Susanne Lietzow
KOMPOSITION & Live Musik / Gerhard Gruber
AUSSTATTUNG / Marie Luise Lichtenthal
Mit:
Sandra Bra, Nadja Brachvogel, Maria Hofstätter, Martina Spitzer, Grete Tiesel, Peter Badstübner, Dietmar Nigsch, Sebastian Pass, Martin Horn
Wien-Premiere
17. September 2009, 20 Uhr
brut Künstlerhaus Wien