Das Karussell der Ausweglosigkeit, oder: Die Dramatisierung von Franz Kafkas "Der Prozess" aus den Münchner Kammerspielen zu Gast bei den Wiener Festwochen.
"Aus den wenigen Minuten um die ich gebeten hatte, ist nun eine halbe Stunde und mehr geworden", wird Fräulein Bürstner später zu Josef K. sagen. Die Premiere verzögert sich. Der Festspielintendant bittet um Geduld, der Theaterdirektor spendiert Pausensekt. Der Strom ist weg. Und diese Vorstellung braucht Strom. Warum kann jeder sehen, als das Licht auf der Bühne angeht.
Das überdimensionale Auge von Josef K.
Wir befinden uns im überdimensionalen Auge von Josef K., sein Zimmer klebt im rechten Winkel in der Pupille. Für die Schauspieler darin scheinen die Gesetze der Schwerkraft nicht zu gelten. Während der Zuschauer noch jedes Detail des geschickt gestalteten Raumes aufnimmt, erfährt Josef K. von seiner Verhaftung. Damit ist der Prozess in Gang gesetzt und auch sein Zimmer beginnt zu rotieren. Alle acht Schauspieler sind Josef K.
Bei den Flöhen im Pelz des Gesetzes
Sie tragen aufgeklebte Bärte, schwarze Anzüge und eine stets ernste Miene. Schon Buster Keaton wusste damit die Komik ansonsten beklemmender Situationen zu steigern. Und so richtig ernst scheint die Lage noch nicht zu sein. Konkrete Anklage gibt es keine und eine Verhaftung bedeutet hier noch keine Festnahme. Hüte werden aufgesetzt, weitergereicht und getauscht. Die slapstickhafte Choreografie verstärkt das Absurde der Situation. Je mehr K. versucht Einfluss zu nehmen, desto mehr entgleitet ihm sein Fall. Er wendet sich konsequent an die Falschen und landet bei den Flöhen im Pelz des Gesetzes. Sei es der aus dem Krankenbett arbeitende und dennoch Furchteinflößende Advokat (Edmund Telgenkemper) oder dessen Bedienstete Leni (Lena Lauzemis). Leni ergeht es wie den anderen Frauen zuvor - sie wird abgebusselt. Sie hebt ihre Schürze, K. bekommt den Hausschlüssel und sie einen Hauch des Glücks.
Die vertikale Scheibe wird zum Hamsterrad
Nach der Pause ist der Spaß vorbei. Josef K. verliert zunehmend den Boden unter den Füßen. Die Möbel sind verschwunden und die sich stetig weiterdrehende, vertikale Scheibe wird zum Hamsterrad, in dem K. sich weiterbewegt und doch nicht vom Fleck kommt. Er sucht Unterstützung beim Gerichtsmaler Titurelli, der bei der Schilderung der möglichen Prozessausgänge - echter Freispruch, scheinbarer Freispruch und Verschleppung - zur Höchstform aufläuft. Die dabei entstehende Verwirrung kennt jeder, der schon einmal eine anwaltliche Beratung genossen hat.
Szenenapplaus für Glanzleistung
Für diese Glanzleistung von Anette Paulmann gibt es Szenenapplaus. Josef K. beginnt am guten Ende zu zweifeln und sein stummer Doppelgänger macht einen Schritt ins Leere. Der Kaplan bereitet ihn auf das nahende Urteil vor. Sechs Ks. kauern schon resigniert in den Sprossen, nur einer versucht noch zu diskutieren. Vergeblich. "Das Gericht will nichts von Dir. Es nimmt Dich auf, wenn du kommst und es entlässt Dich, wenn Du gehst." Im Fall von Josef K. in den Tod.
Keine Schlampereien erlaubt
Diese Inszenierung erlaubt keine Schlampereien. Es gibt sie auch nicht. Das Ensemble (Walter Hess, Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis, Oliver Mallison, Bernd Moss, Anette Paulmann, Katharina Schubert und Edmund Telgenkemper) agiert präzise und mit höchster Konzentration. Nach München und Berlin auch im Wiener Volkstheater verdienter Applaus für Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Arno Declair)
Infos zum Stück:
Der Prozess
Bewertung: @@@@@
Spielort: Volkstheater im Rahmen der Wiener Festwochen
Inszenierung und Bühne: Andreas Kriegenburg
Kostüme: Andrea Schraad
Dramaturgie: Matthias Günther
Licht: Björn Gerum
Mit: Walter Hess, Lena Lauzemis, Sylvana Krappatsch, Oliver Mallison, Bernd Moss, Annette Paulmann, Katharina Schubert, Edmund Telgenkämper