Zehn Therapie-Stunden á 50 Minuten mit Sigmund Freud stehen in der Doku-Fiction-Reihe "Diesseits des Lustprinzips: Freud und die Folgen" am Programm des Wiener Schauspielhauses. In der ersten Sitzung wurden die Jahre 1873 bis 1884 und Freuds Einnahme und Erforschung von Kokain behandelt.
Leben und Werk von Sigmund Freud soll also dramaturgisch durchleuchtet werden. "Ziel dieser Theater-Recherche", so kann man es im Info-Text vom Schauspielhaus nachlesen, "ist herauszufinden, inwieweit Freuds Schriften für das Theater maßgeblich sind, und zu untersuchen, wie theatral Freuds Leben war, beziehungsweise das 'innere' Drama seiner Persönlichkeit und Biografie freizulegen." Im 50-minütigen Freud und die Folgen (1): Kokain von Regisseurin Daniela Kranz, das am 10. Jänner 2009 zur Premiere gelang, stand demgemäß der Karriere-Beginn Freuds im Zentrum. Mit sorgfältig ausgewählten Zitaten und mit viel Lust praktizierte das hervorragende Ensemble Christian Dolezal, Veronika Glatzner, Marion Reiser und Johannes Zeiler eine Tour de Force zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und komödiantischem Slapstick, wobei die Grenzen freilich fließend waren, auch, weil der erste Karriere-Abschnitt Freuds nicht ausschließlich im Zeichen der Humanmedizin stand. Sigmund Freud erhielt nämlich 1876 zweimal ein Stipendium, das ihn nicht nur nach Triest führte, sondern auch zur Zoologie. An der Zoologischen Station in Triest beschäftigte sich Freud mit Aalen, genauer gesagt mit "Beobachtungen über Gestaltung und feineren Bau der als Hoden beschriebenen Lappenorgane des Aals". Es waren einige hundert Aale, die der gerade 20-jährige Freud sezierte, bevor er im April 1877 seinen abschließenden Forschungsbericht veröffentlichte. In dieser Szene sprühte das Freud-Quartett förmlich vor Übermut und Ideenreichtum und verwebte gekonnt anekdotisches mit großem Theater.
Die Vibrationen Freuds
Sehr gelungen übrigens auch die Bühnengestaltung und Ausstattung: Der Stadtneurotiker-Hut von Woody Allen hielt genauso Einzug wie einige Kuriositäten auf Freuds Schreibtisch, die dem Stück den nötigen Eingang boten. Nicht fehlen durften natürlich auch die "Vorläufer" der Couch. Prima ausgedacht. Klug und witzig. In atemloser Genauigkeit und Geschwindigkeit wurden so die jungen Erwachsenenjahre von Freud offen gelegt, so auch seine Liebe zu Martha. Freud war 26 Jahre alt, als er Martha Bernays, eine Freundin seiner Schwester, kennen lernte und sich auf den ersten Blick unsterblich in sie verliebte. Ein Konvolut hinreißender Liebesbriefe war das einzige Ventil für seine Emotionen und Sexualität. Freud vibrierte vor Sehnsucht nach seinem "Herzensmädchen", und dieser Druck, diese Spannung, gekoppelt mit den Kokain-Experimenten, war denn auch das Herzstück des mehr als gelungenen Premierenabends mit - ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne - vier unglaublich gut agierenden Darstellern.
Die drei Geißel der Menschheit
Die anregende Wirkung der Droge hoffte Freud bei seinem morphiumsüchtigen Freund Fleischl-Marxow heilend einsetzen zu können und bestellte bei der Firma Merck Kokain, um die anästhetisierende Wirkung zu untersuchen. Die Möglichkeit Martha zu besuchen [sie lebte in Wandsbek; Anm.] ließ Freud allerdings voreilig seine wissenschaftliche Abhandlung "Beitrag zur Kenntnis der Cocawirkung" abschließen. Er veröffentlichte damit eine Befürwortung von Schmerz- und Stimulationstherapien mit Kokain in einer Fachzeitschrift. Fatal, da Fleischl-Marxow nicht mehr nur morphiumsüchtig war, sondern auch vom Kokain abhängig geworden war, woran er schließlich elendig zugrunde ging [Später bezeichnete Freud Kokain, Alkohol und Heroin als die drei Geißel der Menschheit; Anm.]. Nicht nur das: Ein anderer Freud-Freund - Carl Koller - arbeitete auf der Basis von Freuds Versuchen weiter, und ihm wurde schließlich auch der Ruhm als Entdecker der Lokalanästhesie durch Kokain zuteil. Freud gab etliche Jahre danach übrigens Martha die Schuld, dass nicht er diesen Ruhm einheimste. So schrieb er in "Selbstdarstellung" (1925): "Ich kann hier rückgreifend erzählen, dass es die Schuld meiner Braut war, wenn ich nicht schon in jungen Jahren berühmt geworden bin." In all diesen Sequenzen taucht das Ensemble ohne Mühe hinein und absolviert Theater vom Feinsten. Ein Abend von Relevanz. Muss man sehen. (Manfred Horak; Foto: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus)
Theater-Tipp:
Freud und die Folgen (1): Kokain
Bewertung: @@@@@@
Weitere Termine:
15., 16. und 17. Jänner 2009 (jeweils 20 Uhr)
Schauspielhaus Wien
Porzellangasse 19
1090 Wien