Romanautorin Christa Wolf definierte die mythologische Frauengestalt Medea im Jahr 1996 neu und startete dabei den Versuch, die in Verruf geratene Medea zu rehabilitieren. Erstmals wird "Medea. Stimmen" nun auch als Theaterstück gezeigt.
Heraus kam ein großes Stück Theater unter der Regisseurin Julia Nina Kneussel und Dramaturgin Martina Theissl. Christa Wolf folgte mit dem Roman - wie bereits 14 Jahre zuvor in ihrem Roman "Kassandra" - dem Muster einer Überlagerung zweier Strukturen, die von Kneussel und Theissl fein herausgearbeitet werden. Auf der grundlegenden Ebene stellen sich zwei Gesellschaftssysteme einander gegenüber - Kolchis und Korinth. Ging es bei Christa Wolf als Wiedererkennung eines Ost-West-Gegensatzes von Sozialismus und Kapitalismus in deutsch-deutscher Konstellation, bestehend aus elf Monologen von sechs verschiedenen Figuren, wo die Gesellschafts- und Geschlechterverhältnisse insgesamt als defekt und durch Macht korrumpiert erscheinen, stellt das Theaterstück die Gesichtspunkte aktueller Flucht- und Migrationsbewegungen in den Mittelpunkt.
Wie man einen solch sprachlich stark verdichteten Roman mit großem Können und steter Präsenz umsetzen kann zeigen Anne Grabowski als Medea, Petra Staduan als Agameda und als Glauke, Jan Hutter als Jason und als Presbon, sowie Jens Ole Schmieder als Akamas und als Leukon. Viele Stimmen, die im Bühnenstück zu hören sind und sie alle reflektieren und rekapitulieren die Geschichte im Sinne eines Rechenschaftsberichts eines Frauenschicksals in einer machtgestützten Männergesellschaft.
Der ursprüngliche Mythos Medea als Mörderin des Bruders, der Nebenbuhlerin und ihrer eigenen Kinder, veränderte Christa Wolf auf bemerkenswerte Weise, indem sie dieser männlichen Mythenbildung eine weibliche Entmythologisierung setzte und den Mythos dadurch politisierte und gleichermaßen psychologisierte. In den Monologen entlarven sich die Figuren peu a peu mit ihren versteckten oder offenen Motiven, ihren Hoffnungen und Ängsten selbst. Und auch in der Bühnenfassung wird recht deutlich, wie kommunikative Mechanismen der Machterhaltung mittels Diffamierung funktionieren, die den Einzelnen in einem System entweder integrieren und sozialisieren oder eben vernichten.
Manfred Horak traf die Regisseurin Julia Nina Kneussel vor der Generalprobe im KosmosTheater zum ausführlichen Gespräch. Im Mittelpunkt des Interviews stand natürlich das Stück, aber auch Fragen nach ihrem Dasein als freie Theaterregisseurin in Wien. Zu hören sind übrigens nicht nur die Antworten von Julia Nina Kneussel, sondern auch kurze Szenen und Toncollagen aus dem Theaterstück, sowie musikalische Zwischenstopps von Markus Jakisic vom Tanztheater KörperVerstand, der auch für die Musik in "Medea. Stimmen" verantwortlich ist. //
Interview, Text und Fotos: Manfred Horak
Szenenfotos: Bettina Frenzel
Medea. Stimmen
nach dem Roman von Christa Wolf
Bewertung: @@@@@
Zu sehen bis 18.3.2017 (Mi – Sa | 20:00 Uhr)
Kritik zur Uraufführung am 2.3.2017 im KosmosTheater Wien
Das Interview entstand im Rahmen der Generalprobe am 1.3.2017
Bühnenfassung: Julia Nina Kneussel, Martina Theissl
Regie: Julia Nina Kneussel
Dramaturgie: Martina Theissl
Musik: Markus Jakisic
Ausstattung: Caro Stark
Regieassistenz: Stephanie Kohlross
Mit: Anne Grabowski, Jan Hutter, Jens Ole Schmieder, Petra Staduan