rainald-grebe-volksmusik1Er singt über Heimat, Bewegung, Arbeit und Soziales, freilich auch über Liebe und Sex, über arme Menschen und über das Ende; er veröffentlichte ein erstaunlich gutes namenloses Album mit seiner Kapelle der Versöhnung 2005/2006 und setzt ein Jahr später noch eins drauf mit dem völlig abgefahrenen Album "Volksmusik".

Er - Rainald Grebe. In Österreich noch weitestgehend unbekannt, in Deutschland bereits an der Schwelle zwischen Geheimtipp und Abflug. Sein vorhergehendes Album bezeichnete ich [im deutschen Fachmagazin Folker; Anm.] euphorisch als "das beste deutschsprachige Album seit Rio Reisers 'Himmel & Hölle'" - eine Bezeichnung, die für mich bis zuletzt noch immer Gültigkeit besaß, nun jedoch mit dem Album "Volksmusik" eventuell revidiert werden muss. Was Grebe und seine Kapelle nämlich zum Vorschein bringt, ist die hohe Kunst sehr gute Melodien mit sehr guten Texten zu verbinden. "Volksmusik" ist auch deshalb so grandios, da Grebe imstande ist musikalische und textliche Zitate zusammenzutragen, um daraus eine neue Qualität zu erschaffen.

Ich bin massenkompatibel lalalala

So singt er z.B. in "Massenkompatibel", im wohl stärksten Lied des Albums: "Ich bin Phil Collins/ich bin mit ihm verwandt/wir ham denselben Hausarzt/ich bin gut mit ihm bekannt/Wir hören dieselbe Musik/Wir haben dieselben Gefühle/Er hat auch ein Bild von mir/Über seiner Spüle", um dieses Lied tatsächlich auf Genesis zu trimmen, nur halt völlig unpeinlich, da ungeschliffen, von der wehleidig-säuselnden Ich-Erzählung ausufernd in halsbrecherisch-pathetisch-wütende Prog-Kürzeln und wieder zurück in die Idylle eines massenkompatiblen Einzelgängers. Ein echter Schwachpunkt ist auf dem 18-Lieder starken Album nicht wirklich auszumachen (wenn, dann noch am ehesten "Doreen aus Mecklenburg" und "Planeten"), was vielleicht auch daran liegen mag, dass Grebe den Kunstgriff zustande bringt, sechs Liedkürzeln aufs Album zu bringen, die gerade mal eine Spiellänge von jeweils 8 Sekunden bis knapp eine Minute haben, die qualitätsmäßig an das 23-sekündige "Her Majesty" von The Beatles locker ranreichen. Weitere Höhepunkte sind das irrwitzige "Castingallee", ein Lied über freischaffende, arbeitslose, Schauspieler/innen, das absurde "Akademikerinnen", ausgehend von einem Zitat von Ursula Gertrud von der Leyen, der deutschen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sowie das herrlich versponnene "Butzi Butzi", und nicht zu vergessen Grebes Analyse über "Dreißigjährige Pärchen".

Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde

Eine Ausnahme auf dem Album stellt das zusammengetragene Lied "Volkslieder singen" dar. Hier rückt der Sänger einen bunten Strauß mit den "schönsten und beliebtesten Volksmusikmelodien aus 5000 Jahren Musik" zurecht. Heraus kommt dabei eine regelrechte Tour de Force ohne Innehalten, ohne Verschnaufpause, frei nach dem Motto "Wenn ich singe, fühle ich mich viel besser, als ich wirklich bin". Am Anfang steht das Wort "Feldgrille" und ein kurzes Stück abstruse Heimat, bevor Marcus Baumgart an der akustischen Gitarre einsetzt und Rainald Grebe sehr rhythmisch betont zu "Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde" anhebt ohne zu wissen wie es weitergeht und daher auf altbekannte Codes aus Volksmusik und Schlager ausweicht. Tatsächlich taucht so gut wie alles auf, das man nicht kennen möchte, hier aber grenzgenial zu hören bekommt, vom "Lachenden Vagabund" bis zu "Schnappi, das kleine Krokodil" bis hin zu diversen Kalauern und Sprüchen wie "eine Apfelsine im Jahr und eine Kilo Bananen, das war die DDR, die gibt es jetzt nicht mehr". Genial. Man kann es nicht anders formulieren. (Manfred Horak)

grebe_rainald_gesangsbuchCD-Tipp:
Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung - Volksmusik
Musik und Texte: @@@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Versöhnungsrecords/Broken Silence (D)/Hoanzl (A) (2007)

Buch-Tipp:
Rainald Grebe – Das grüne Herz Deutschlands: Mein Gesangsbuch (Fischer Verlag; 2007)