Interview mit Violetta Parisini über ihr neues Album "Alles bleibt" und wie man mit großen Lebensveränderungen umgeht.
Vor ziemlich genau zehn Jahren - Ende Mai 2010 - veröffentlichte Violette Parisini ihr erstes Album Giving You My Heart To Mend und wurde damit in kürzester Zeit zum gefeierte neuen Pop-Star in Österreich, Amadeus Auszeichnung inklusive. Zwei Jahre später legte sie mit Open Secrets das erfolgreiche Nachfolgealbum vor, und erstmals ein Lied in deutscher Sprache, nämlich die herausragende Cover-Version "Die Überbeschäftigte" von Peter Wehle und Louise Martini. In unserem 2012 Interview mit ihr wurde die Sängerin auch auf ihre bevorstehende Baby-Pause angesprochen und ob sie sich damit jetzt länger aus der Szene verabschieden wird. "Nein", meinte sie damals, "das habe ich nicht vor. Ich mache jetzt auf jeden Fall mal ein halbes Jahr Pause, weil so ein Kind verdient schon ein bisschen Konzentration und Aufmerksamkeit. Und dann werden wir auch wieder live spielen, da werde ich das Kind dann halt mitnehmen. Wie das geht oder nicht geht, wird sich dann zeigen." Ach, ach, ach und ächer, aus dem halben Jahr Pause wurden schließlich einige Jahre und nun dafür das Album Alles bleibt auf eigenem Label mit Liedern in deutscher Sprache. Ein Gespräch mit Violetta Parisini über Zeitdruck und Neuanfang.
Kulturwoche.at: Die größte Veränderung zu deinem letzten Album "Open Secrets" ist, dass du jetzt in Deutsch singst. Wie kam es dazu?
Violetta Parisini: Das hat sich so ergeben, Schritt für Schritt. Einerseits habe ich das Gefühl gehabt, dass es Dinge gibt, die ich nur auf Deutsch so beschreiben kann, wie ich sie empfinde. Außerdem, als meine Tochter schon alt genug war, um zu sprechen, hat sie zu mir gesagt: Bitte singe auf Deutsch, weil ich will verstehen, was du da singst! Das war auch ein wichtiger Impuls. Es hat sich auch richtig angefühlt, in der eigenen Muttersprache zu singen, weil es irgendwie mehr an der eigenen Person dran ist und es ist irgendwie auch die ganze Musik persönlicher geworden. Und ... es passt einfach!
Du hast das Album gemeinsam mit deinem Mann Sixtus Preiss aufgenommen, der auch Musiker ist. Wie ist das, wenn man mit seinem Ehepartner an einem gemeinsamen Album arbeitet. Ich nehme an, das hat Vor- und Nachteile?
Violetta Parisini: Auf jeden Fall (lacht)! Der Vorteil ist, dass du wieder was miteinander zu tun hast, außerhalb deiner täglichen Pflichten in der Kinderbetreuung, die ja ziemlich extensiv sind. Da ist ja eigentlich den ganzen Tag immer was zu tun. Das war sehr schön und toll, weil man dann wieder so einen ganz neuen Zugang zueinander hat. Andererseits war das Aufnehmen des Albums logistisch einfach sehr schwierig. Weil immer wenn es 14 Uhr war, musste einer von uns beiden weg, um die Kinder von der Schule abzuholen. Natürlich konnten wir auch nur arbeiten, wenn keines der Kinder krank war, die Schule offen hat, etc. Als Eltern von zwei Kindern ist die Zeit, die man für einander alleine zur Verfügung hat, sehr beschränkt.
War das einer der Gründe, warum seit deiner letzten Album-Veröffentlichung einige Jahre vergangen sind?
Violetta Parisini: Auf jeden Fall! Aber insofern war das auch wieder ein Vorteil, weil so, ohne Zeitdruck die Dinge atmen können. Du lässt die Stücke mal eine Woche liegen, und dann machst du wieder weiter. Wir haben uns da auch überhaupt keinen Stress gemacht, weil in dem Moment, wo wir uns Stress gemacht hätten, wäre das Projekt wahrscheinlich eh gestorben. Es ist schon schwierig genug, die ganzen Themen, die man durch die Kinder oder den Alltag als Familie hat, vor dem Gang ins Studio auszublenden, also im Sinn von was müssen wir noch für den nächsten Kindergeburtstag besorgen oder wer geht morgen einkaufen (schmunzelt)! Deswegen war's auch gut, das Album auf meinem eigenen Label zu veröffentlichen, weil wir so keine Aufträge von außen bekommen haben und unseren eigenen Rhythmen folgen konnten.
Von der Produktion her habe ich den Eindruck, dass das neue Album einen Schritt weg macht von dem Sound deiner früheren LPs, die eher so poppig mit starken Akzenten auf Gitarre-Bass-Drums daherkamen. Jetzt stehen bei dir z.B. die Streicher und Bläser mehr im Vordergrund. War das ein bewusster Schritt?
Violetta Parisini: Ja, das hat sich entwickelt. Die Streicher waren von Anfang an ein großer Teil der Produktion. Mit der Geigerin Emily Stewart wollte ich schon ganz lange einmal zusammenarbeiten. Oder auch mit dem Cellisten Lukas Lauermann. Ein wichtiger Einfluss war natürlich Sixtus, der von den Tasteninstrumenten herkommt und vom Schlagzeug, also eigentlich gar nichts mit Gitarren am Hut hat. Jeder Musiker geht natürlich dann mal von seinen Instrumenten aus. So ist das irgendwie entstanden. Und die Bläser am Album waren dann auch eine bewusste ästhetische Entscheidung, ganz stark, weil sie einfach so was Breites, Weiches, Sattes haben, das ist nicht ersetzbar und ganz besonders.
Wie war die Arbeitsteilung zwischen deinem Mann Sixtus und dir? Könnte man so sagen, die Kompositionen stammen alle von dir und um die Produktion und Arrangements hat er sich gekümmert?
Violetta Parisini: Ja. Es gibt zwei oder drei Lieder, die ich noch mit Florian Cojocaru besprochen habe bzw. fertig geschrieben habe. Das war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit, einfach weil Florian ein Mensch ist, mit dem ich auch früher als Produzent und Musiker sehr viel zusammengearbeitet habe, und dessen Input ich sehr schätze. Florian hat ein ganz genaues Ohr, erstens für Melodien, aber auch für die Struktur und Aufbau eines Songs. Er kennt sich sehr gut damit aus, wie man einen Song schreibt. Sixtus hat sehr viel von seiner Welt in die Produktion und die Arrangements hineingebracht. Er kommt ja musikalisch eher vom Jazz, hat Schlagzeug studiert und macht elektronische Musik. Er ist irgendwie an der Schnittstelle zwischen Elektronik und Jazz angesiedelt. Davon hat mein Album sehr profitiert und ich glaube, deswegen ist es auch so speziell geworden, weil diese Lieder mit einem ganz anderen Blickwinkel produziert wurden.
Was ist das wichtigste Thema der Lieder auf "Alles bleibt"?
Violetta Parisini: Es gibt viele Themen. Aber ich glaube, das wichtigste Thema ist, wie man sich sozusagen neu findet bzw. mit großen Lebensveränderungen umgeht. Für mich war das Kinderkriegen eine viel größere Lebensveränderung, die viel größer war, als ich sie erwartet habe bzw. viel einschneidender, viel erschütternder, als ich sie erwartet hatte. Und gepaart mit so vielen, widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits dieser Beschützerinstinkt, diese Liebe und dieses Aufopfern für dieses kleine Bündel da, für das ich mein Leben geben würde, ohne mit der Wimper zu zucken, aber gleichzeitig war ich auch mit der Frage Wer bin ich jetzt? konfrontiert. Alles was ich davor war, bin ich gerade nicht. Wie geht es jetzt weiter mit dem Ich? Ich glaube, diese Identitätssuche begleitet das Album. Aber auch die Frage, wie funktioniert ein Neuanfang?
Könntest du das noch genauer beschreiben?
Violetta Parisini: Zum Beispiel "Ein Schritt nach dem anderen" ist ein schönes Lied für den großen Zweifel, den man nicht nur sich selbst sondern auch der Welt entgegenbringt und wie man damit umgeht. Und im Titelstück "Alles bleibt" da geht es ja auch um einen Tod und darum, dass selbst wenn man das Gefühl hat, dass jetzt alles vorbei ist, trotzdem etwas bleibt. Das kann man auch umlegen auf einen Neuanfang. Alles was davor war, auch wenn man nichts mehr sieht oder spürt oder es gerade nicht greifbar ist, es ist immer noch da, wirkt irgendwie weiter und es hat Auswirkungen, die weit in die Zukunft hineinreichen. So gesehen ist dann ein Neuanfang nicht etwas, das aus dem Nichts kommt, sondern du baust ja irgendwie schon auf etwas auf, und das hat irgendwie was Tröstliches.
In deinem neuen Lied "Scherben" kommt ja auch die Zeile "Für einen Neuanfang ist es nie zu spät" vor, richtig?
Violetta Parisini: Genau! Das ist total wichtig! Mir kommt auch vor, dass ein Neunanfang etwas Innerliches ist und nicht unbedingt etwas großartig Sichtbares von außen. Es gibt auch Leute, die wagen einen Neuanfang, und man sieht es ihnen überhaupt nicht an. Man merkt keine Veränderung in Ihrem Leben und trotzdem hat sich innen drinnen alles geändert. Sie sehen die Dinge auf einmal ganz anders und sind auf einmal glücklich! Und sind auf einmal ... ich weiß nicht was ... z.B. auf dem Weg zu einer Weltreise! Aber das finde ich total wichtig, dass man von der Oberfläche tiefer gräbt und schaut, was alles eh da bzw. schon vorhanden ist.
Könntest du bitte ein bis zwei Lieder des Albums näher beschreiben?
Violetta Parisini: Bei "Ein Schritt nach dem Anderen" habe ich sehr lange mit dem Lied ein bisschen gehadert, weil ich eigentlich über Politik schreiben wollte. Damit hat es sozusagen begonnen. Aber je länger ich über die Politik geschrieben habe, desto sinnloser ist es geworden. Ich dachte dann: wozu? Es weiß eh jeder Bescheid über die Politik! Und die Leute die es nicht wissen, hören meine Musik sowieso nicht! Verlorene Liebesmüh! Dann war aber klar, das was mich so beschäftigt, wenn ich die Nachrichten höre, ist, dass ich so wenig Hebel habe, etwas zu ändern und dass ich das Gefühl habe, ich bin da hilflos bzw. ausgeliefert. Diese Art Ohnmacht, die man hat gegenüber gewissen gesellschaftlichen Entwicklungen. Auch dieses Gefühl, dass man nie genug macht um etwas zu verändern bzw. auch Zweifel daran, ob man etwas bewirken kann. Die Angst, dass man nicht genug macht, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das treibt mich total um, und das Gefühl kenne ich auch von vielen anderen Menschen, dass sie eigentlich das starke Bedürfnis haben, etwas Gutes zu tun bzw. was zu ändern bzw. einzugreifen. Dass sie aber nicht wissen wie und dass alles woran sie denken können, so riesig ist, dass sie dann oft überhaupt nicht beginnen. Deswegen bin ich dann auf diese Zeile "Ein Schritt nach dem anderen und es muss immer nur der nächste sein" gekommen. Nicht der Übernächste! Vielleicht ist dein erster Schritt, um die Welt zu verändern, dass du jemand in der U-Bahn deinen Sitzplatz anbietest und ihn anlächelst. Sowas Banales! Gleichzeitig muss man aufhören sich ständig dafür zu geißeln, dass man nicht alles schafft, was man sich vorgenommen hat. Deswegen ist „Ein Schritt nach dem anderen“ ein wichtiges Lied für mich, weil es so viel von meiner Gedankenwelt der letzten Jahre spiegelt.
Über welches Stück möchtest du noch mehr erzählen?
Violetta Parisini: Das vorletzte Stück am Album heißt "So". Da kommt die Zeile vor "Du bist gut. Bist genug. Bist perfekt so wie du bist" (singt). Das war mir auch wichtig, es einmal gesagt zu haben, dass es vor allem bei Kindern wichtig ist, ihnen zu sagen, dass es gut ist, so wie sie sind! Es gibt ja schon heutzutage schon VolksschülerInnen, die Stress haben, weil sie nicht gut genug sind und ihnen irgendjemand suggeriert, dass sie nicht schön genug schreiben, nicht hoch genug springen etc. Dieser ganze Bullshit, dieses Leistungsding, dem wir die täglich ausgesetzt sind und das schon ganz kleinen Kindern eingedrillt wird. Klar, auf der anderen Seite beginnen sich schon Dreijährige miteinander zu messen, so was steckt im Menschen drinnen. Das ist eine Art sich weiter zu entwickeln und das will ich niemand nehmen, aber wir machen uns halt auch fertig damit! Vor allem für Kinder ist das total destruktiv. So verlieren sie jegliche Motivation, irgendetwas aus eigenem Antrieb zu machen. Wenn du eh nie gut genug bist, beginnst du irgendwann damit, nur noch Aufgaben zu erfüllen und das wars. Und wie sollst du zu einer gesunden Gesellschaft beitragen, wenn du das Gefühl hast, dass du eh nichts wert bist? Das ist ein wichtiges Thema.
Welche Schwerpunkte haben die anderen Lieder?
Violetta Parisini: Das sind fast die zwei positivsten Songs. Dann gibt es noch einige andere Lieder, wo es eher um die Frage geht "Wer bin ich", "Wie schaffe ich das, ich zu sein und nicht ständig das Gefühl haben zu müssen, mehr zu sein" oder "Wie kann ich die Schwere abschütteln". Das sind Themen, die sich durchs ganze Album ziehen und manchmal in die eine Richtung kippen und manchmal in die andere.
Es gibt auf dem neuen Album auch noch das schöne Duett mit Martin Klein, "Die Zeit". Wie ist die Idee für dieses Zusammenarbeit entstanden?
Violetta Parisini: Ich habe Martin einfach gefragt (lacht)! Martin hat dann geantwortet, er habe noch nie bei einem Lied gesungen, das er nicht selbst geschrieben habe, aber er probiert es gerne einmal. Dann ist er zu uns ins Studio gekommen und hat das Lied eingesungen und es war wunderbar. Ich bin schon länger ein Fan von Martin Klein. Ich mag seine Songs total. Ich hatte auch das Gefühl, dass er dieses Lied "Die Zeit" gut versteht. Das Lied ist einerseits von einem Buch von der US-Autorin Anne Tyler inspiriert, ich weiß aber lustigerweise nicht mehr von welchem Buch genau. Ich bin ein großer Fan der Bücher von Anne Tyler und habe eine Zeit lang ganz viel von ihr gelesen. Sie schreibt unglaublich schöne Bücher, die ganz tief gehen, aber sehr alltägliche Dinge beschreiben. Ich mag überhaupt viele Schriftstellerinnen sehr gerne, z.B. auch Eva Menasse. Dazu kommt noch dieses Zeitthema. Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit, gefühlt. Oft hat man das Gefühl, man weiß überhaupt nicht wo die letzten sieben Jahre hin sind (schmunzelt)? Das ist total schräg! Parallel habe ich versucht, in das Lied dieses Gefühl einzubauen, du musst in deinem Leben nicht alles erreicht haben! Du musst nicht unbedingt ein großartiges Leben haben, denn es geht mehr um das Detail, um das Wie und um das Was! Wenn du dieses kleine Leben mit Liebe führst, ist es alles wert, was es nur wert sein kann!
Das Album endet mit dem Titelstück "Alles bleibt" und einem ganz schrägen, free-jazzigen Saxophon-Solo von Clemens Salesny? Wie kam es dazu?
Violetta Parisini: Clemens hat Sixtus im Studio besucht, aber ich glaube, Sixtus hatte das schon irgendwie geplant. Ich glaube, er hat den Clemens schon mit diesem Lied im Hinterkopf eingeladen mit der Intention, dass am Ende von dem Lied noch etwas fehlt, dass wir da noch etwas brauchen. Mach doch was (schmunzelt)! Clemens hat dann dieses unfassbare Solo gespielt! Sixtus hat mich dann angerufen, mir von dem Solo erzählt und gesagt, ich weiß nicht, ob du das magst, aber ich find´s geil! Als ich es dann gehört habe, war ich dann erst mal total baff, weil es so im Widerspruch zu dem ganzen Album steht. Gleichzeitig habe ich das Solo geliebt, weil Clemens mit diesem Solo etwas auf den Punkt gebracht hat, was noch nicht gesagt war. Und dann war irgendwie klar, dass ist ein super Schluss für mein Album! Wir haben auch lange überlegt, ob wir "Alles bleibt" als erste oder letzte Nummer am Album positionieren. Aber am Schluss dachten wir dann, dieses Solo ist auf eine spezielle Art so outstanding, dass wir das nur an den Schluss setzen können, weil wenn es am Anfang der LP steht, weist es in eine Richtung, die dann nie erfüllt wird. Aber am Schluss ist es genau der fulminante Schlusspunkt, der da perfekt hinpasst! //
Interview: Robert Fischer
Foto: Violetta Parisini auf Instagram