Interview mit Axel Zwingenberger

Ein Interview mit Axel Zwingenberger über Boogie-Woogie - eine Musik, die man ohne Leidenschaft nicht spielen kann. Live ist der Pianist beim Jazzfest Wien 2019 zu hören.

Interview mit Axel Zwingenberger

Der aus Hamburg stammende Boogie-Woogie-Pianist Axel Zwingenberger kann auf eine über 40-jährige, sehr erfolgreiche Bühnen-Karriere verweisen. Seine Tourneen führten Axel Zwingenberger neben regelmäßigen Auftritten in Europa auch in die USA, Afrika, Asien und Südamerika. Zusätzlich sind 32 Alben entstanden, inklusive Aufnahmen mit Legenden wie Lionel Hampton, Sippie Wallace, Jay McShann, Champion Jack Dupree oder Big Joe Turner. Weiterhin ist der mittlerweile 64-jährige Musiker viel unterwegs und regelmäßig in Wien zu hören. Im Vorfeld zu seinen Live-Aufritten im Jazzland vom 1. bis 3. Juli 2019 im Rahmen des Jazz Festivals Wien fand das Interview mit Axel Zwingenberger statt.

Kulturwoche.at: Wie sind sie selbst mit Boogie-Woogie in Berührung gekommen?

Axel Zwingenberger: Ich bin als Kind mit dem Klavier aufgewachsen, und habe, sobald ich von meiner Körpergröße her, an die Tasten herankam, da so herumprobiert. Als ich sechs Jahre alt war, haben meine Eltern gemeint, es wäre gut, wenn ich klassischen Klavier-Unterricht bekäme. Mit 15 bis 16 Jahren war ich dann an allem möglichem interessiert, nur nicht am Klavier spielen, aber ich hatte es noch nicht ganz aufgegeben. Mit 17 habe ich dann durch Zufall ein paar alte Jazz Schellack-Platten gefunden. Da waren drei Boogie-Woogie Platten von den Pionieren des Genres dabei, und das hat mich vom Fleck weg total fasziniert!

Wer waren diese Pioniere des Boogie-Woogie?

Axel Zwingenberger: Pete Johnson, Albert Ammons und Meade 'Lux' Lewis! Das sind bis heute die Großmeister dieser Musikform. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich nicht gewusst, dass man so Klavier spielen kann! Dieser Drive, diese ganzen Klänge, die da drin sind und dieser Rhythmus! Dann habe ich auch mitbekommen, dass diese Stücke zumeist improvisiert waren, also aus dem Moment heraus entstanden sind. Das fand ich einfach unglaublich faszinierend! Das war genau das, was ich beim klassischen Klavier-Spielen vermisst hatte! Improvisation am Klavier war eine Stärke von mir, und plötzlich hatte ich eine Musik, in der ich das ausleben konnte!

Sie haben später LPs mit US-Größen wie Champion Jack Dupree oder Big Joe Turner aufgenommen. Das muss sicher sehr eindrucksvoll gewesen sein, mit Blues-Legenden aus den USA im Studio aufzunehmen bzw. mit ihnen Konzerte zu geben. Wie hat sich das ergeben?

Axel Zwingenberger: Einige von denen kamen nach Europa auf Konzerttournee, da haben wir die Gelegenheit genutzt, sie anzuhören. Champion Jack Dupree hatte z.B. 1975 einen Auftritt in Hannover. Das ist von Hamburg, wo ich aufgewachsen bin, ca. 150 km weit weg. So ein Konzert zu sehen, war natürlich ein großes Erlebnis. Wir haben uns dann angefreundet, und von jemand wie Champion Jack Dupree konnte man Blues-Piano wirklich sozusagen von der Quelle weg lernen!

Warum ist ihrer Meinung nach Blues und Boogie-Woogie international immer noch ungebrochen populär?

Axel Zwingenberger: Das ist eine Form mit Ewigkeitswert! Sie ist zwar scheinbar simpel, hat aber einen sehr starken Rhythmus. Wobei dieser Rhythmus nicht von Maschinen erzeugt wird, sondern aus der Physis, also aus dem körperlichen Spiel am Klavier heraus entsteht. Und Rhythmus ist einfach das stärkste Medium in der Musik! Das hat einfach eine ganz starke Kraft! Natürlich ist der Blues und Boogie-Woogie schon lange keine Mainstream-Musik mehr, aber es ist etwas, was sich von dem unterschiedet, was man heutzutage z.B. im Radio hört. Ich bin ja mit dem Boogie-Woogie schon weltweit getourt und kann bestätigen, dass diese intensive Wirkung über den Rhythmus überall funktioniert, egal ob in Afrika, Asien, Südamerika etc.! Und obwohl in diesen Erdteilen die Leute vorher Klavier als Instrument gar nicht erlebt haben, trotzdem zieht die Musik sie in ihren Bann! Außerdem ist Boogie-Woogie eine Musik, die man ohne Leidenschaft nicht spielen kann. Und Leidenschaft ist ja wieder genau das, was auf das Publikum so stark wirkt!

Eines ihrer erfolgreichsten Projekte ist die Band The ABC&D of Boogie Woogie mit Rolling Stones-Drummer Charlie Watts am Schlagzeug. Wie haben sie Charlie Watts kennen gelernt?

Axel Zwingenberger: Lustige Geschichte! Erstmals habe ich Charlie Watts 1986 kennengelernt, als ich nach London eingeladen wurde, um an einer TV-Dokumentation über die Geschichte des Boogie-Woogie teilzunehmen. In der Sendung war viel historisches TV-Material zu sehen und am Ende sollte eine Studio-Session mit aktuellen Musikern stattfinden. Es hieß dann, es gäbe schon eine Rhythmusgruppe, und wenn ich Lust hätte, könnte ich mit denen spielen. Das war Dave Green am Kontrabass und zu meiner Überraschung Charlie Watts am Schlagzeug. Wir haben dann gemeinsam ein paar Nummern gespielt und so entstand der Kontakt.

Wie ging es dann weiter?

Axel Zwingenberger: Wir haben uns dann alle heiligen Zeiten mal irgendwo wiedergesehen. Einmal traten die Rolling Stones in Wien auf. Ich bekam Gratis-Tickets und besuchte vor der Show Charlie Watts, Keith Richards und Ron Wood hinter der Bühne. Backstage war ein Klavier aufgebaut und ich wurde gleich gefragt, ob ich nicht was spielen könnte. Ich setzte mich also ans Klavier und witziger Weise haben Ron Wood und Keith Richards dazu getanzt! Einige Zeit später wollte ich mit dem jungen englischen Pianisten Ben Waters, der mich auch als Vorbild sieht, ein paar Konzerte in England in Theatern spielen. Ben war an einem Abend vor der Tournee langweilig und er hat Charlie Watts einen Brief geschrieben, ob er nicht Lust hätte, bei uns mitzuspielen. Zwei Tage später kam ein Anruf, Charlie war selbst am Telefon und sagte zu! So ist das Projekt The ABC&D of Boogie Woogie entstanden! Eigentlich sollten wir nur die paar Konzerte in England spielen, aber es hat uns allen so viel Spaß gemacht, dass auch Charlie Watts meinte, das können wir ruhig weitermachen.

Wie viele Konzerte gab es in dieser Formation?

Axel Zwingenberger: Es sind über 80 Konzerte zustande gekommen. Unterbrochen wurde das Ganze nur dadurch, dass die Rolling Stones wieder auf Tour gegangen sind, die haben natürlich das absolute Vorrecht! Deswegen liegt das Projekt derzeit auch auf Eis. In Anlehnung an das berühmte Rolling Stones Stück "Sympathy for the Devil" habe ich für Charlie Watts die Nummer "Sympathy for the Drummer" geschrieben. Charlie bzw. die Rolling Stones fanden das witzig!

Gibt es aus dieser Zeit noch eine Anekdote?

Axel Zwingenberger: Ja, sicher! Witzig war noch, wie die Band zu ihrem Namen gekommen ist. Bei einem der ersten Konzerte, als wir noch keinen fixen Namen hatten, waren wir bei einem Gig zwischen Soundcheck und Konzert noch was essen. Meine Frau war auch dabei und als sie uns am Tisch schön brav nebeneinander aufgereiht sitzen gesehen hat - also zuerst ich, dann Ben Waters, dann Charlie Watts und Dave Green - sagte sie spontan: 'Hey, ihr seid ja das A, B, C & D des Boogie Woogie!' (schmunzelt) Das fanden wir lustig, und so kam die Band zu ihrem Namen!

Einer ihrer ersten größeren Auftritte war 1976 in Wien im Konzerthaus im Großen Saal. Welche Erinnerungen haben sie an dieses Konzert?

Axel Zwingenberger: Stimmt, das war damals die Große Boogie-Woogie-Session mit Vince Weber, Martin Pyrker, Torsten Möller und mir. Das Tolle war, das damals kein Mensch geglaubt hat, den großen Saal im Konzerthaus mit puristischem Blues und Boogie-Woogie ausverkaufen zu können! Aber es war dann wirklich fast ausverkauft, mit über 1500 zahlenden Besuchern. Wir hatten drei große Bösendorfer-Klaviere auf der Bühne stehen. Für mich war das Konzert damals ein einmaliges Erlebnis! Ich dachte, dieses Konzert wird ein einmaliger Event bleiben, aber es ging dann ja noch weiter. Dieses Konzert war einer der Auslöser der Boogie-Woogie-Renaissance, die danach zuerst einmal im deutschsprachigen Raum losgegangen ist, und die sich mittlerweile international verbreitet hat.

Auch die Live-CD von diesem Abend war ein großer Erfolg. Jetzt gibt es eine Jubiläums-Edition mit 2 CDs und DVD. Wie kam es dazu?

Interview mit Axel Zwingenberger. Hier mit Robert Fischer danachAxel Zwingenberger: Das Album Boogie Woogie Session '76 - Live in Vienna war wirklich sehr erfolgreich und jahrzehntelang im Programm der EMI. Vor einiger Zeit wurde es dann aus dem Programm genommen, was ich sehr schade fand. Ich habe mich dann auf die Suche in den Archiven begeben. Das Album war ja damals eine Mischung aus Live- und Studioaufnahmen, und es war in den Archiven möglich, noch von beiden Aufnahme-Sessions die kompletten Bänder auszugraben. Sprich, auf einer CD ist jetzt fast das komplette Konzert drauf, während auf der anderen CD die kompletten Studioaufnahmen zu finden sind. Zusätzlich waren wir mit diesem Programm damals auch in der legendären ORF-Musikshow Spotlight mit Peter Rapp zu Gast. Auch diese Aufnahme war glücklicherweise noch erhalten. Ich konnte die Sendung vom ORF lizenzieren und sie ist jetzt auf der beiliegenden DVD zu sehen. Somit ist diese Jubiläums-Edition mit dem Namen Boogie Woogie Session '76 - Live in Vienna - The Complete Recordings wirklich eine schöne, runde Sache geworden. //

Interview: Robert Fischer
Foto: Zwingenberger

Live-Tipp:
Axel Zwingenberger
1. bis 3. Juli 2019, Jazzland Wien
im Rahmen vom Jazzfest Wien