Roger Waters, der Mitbegründer von Pink Floyd, Bassist, Sänger und Komponist, errichtete im Wiener Ernst-Happel-Stadion eine Mauer und knapp 40.000 Leute sahen ihm dabei zu. Mittendrin Manfred Horak.
Am Ende sind sie, wie erwartet, dem Wahnsinn entkommen, rissen die selbst errichtete Mauer wieder ein, um auf ihren akustischen Instrumenten eine einfache Melodie zu spielen, froh es geschafft zu haben. "The bleeding hearts and artists / Make their stand", hörten wir die Musiker singen, hinter sich die zerstörte Mauer, vor sich knapp 40.000 Besucher. Jene, die am 23.8.2013 ins Wiener Ernst-Happel-Stadion kamen, wurden Zeuge eines spektakulären 200.000 Watt Surround-Sounds und 3D anmutende Visuals. Unheimlich effektvoll z.B. der Hubschrauber, dessen Rotoren kühlen Wind durch das Stadion trieben. Imagination auf höchstem Niveau. An manchen Stellen war es allerdings zu viel des Guten, da übertünchten die Soundeffekte das musikalische Geschehen, andererseits kannten die meisten im Publikum das monumentale Werk von Pink Floyd Mitbegründer Roger Waters wohl eh in- und auswendig, zudem Waters die Arrangements auf dem alten Fundament beließ, diesbezüglich gab es also keine Überraschungen, nur geringfügige Abweichungen. So wurde Roger Waters und seine 11köpfige Band beim allseits bekannten "Another Brick In The Wall, Pt. 2" von 15 Kindern des Vienna English Choir unter der Chorleitung von Chris Wells und Tom Meyer begleitet, was eine recht flapsige Version ergab. Roger Waters griff bei der aktuellen Choreografie übrigens auch auf ein altes visuelles Element aus der "Dark Side of the Moon" Tour zurück. 1973 sah man beim Song "On the Run" ein Flugzeugnachbau, der an parallel gespannten Drähten hing, durch die Luft sauste und schließlich eine Bruchlandung auf der Bühne hinlegte (Quelle: John Harris). 40 Jahre später wiederholte sich diese Szene in ähnlicher Weise zwischen "In the Flesh?" und "The Thin Ice". Ein weiteres Zitat aus der Pink Floyd Ära lieferte Waters mit dem Song "Mother" beim Versuch im Duett mit sich. Gekoppelt wurde dabei eine Aufführung von 1980 aus dem Earl's Court. "Wünscht mir Glück!" bat der Bassist und Sänger, bevor es mit der Duo-Performance losging. Herzblut und Perfektion gingen hier Hand in Hand. Welch ein großartiger, altersloser Song. Speziellen Jubel erhielt Waters für die Textzeile "Mother should I trust the Government" und für die auf die Mauer projizierte Antwort "Auf gar keinen Fall!".
We'll meet again / some sunny day
Immer noch gruselig die errichtete Mauer, auf der in der Pause Kriegs- und Terroristenopfer gezeigt wurden - ihnen widmet Roger Waters denn auch diese letzte Tour von "The Wall", die ihren Abschluss am 21.9.2013 im Pariser Stadio de France finden wird. Bevor dieses komplexe zwischen Genialität und Wahnsinn geschuldete Werk losging und Waters in der Diktatoren-Uniform auf der Bühne erschien, hörten wir zur Einstimmung Lieder gegen Religionen, Krieg und Rassismus wie "Imagine" von John Lennon, das wütende "Masters of War" von Bob Dylan, sowie die nicht nur an Symbolkraft wirkungsvollen Songs "Strange Fruit" von Billie Holiday und "People Get Ready" von Curtis Mayfield. "The Wall", so hat es also den Anschein (das Ansinnen Waters), möge doch, bitte schön, another brick zwischen diesen wuchtigen Liedern sein und ebenfalls als ein besonders wertvolles Musikstück wahrgenommen werden, das sich gegen Krieg, Hass und all den Wahnsinnigkeiten dieser Welt auflehnt. Nun, da gibt es eigentlich eh nur Befürworter oder Ablehner, entweder ist man überzeugt, dass "The Wall" ein spätes Meisterwerk der Rockgeschichte ist, oder man ist unverhohlen der Meinung, dass "The Wall" ein vielleicht an manchen Stellen gefälliges, letzten Endes aber nur ein aufgeblasenes Nichts ist.
Hey you! Don't tell me there's no hope at all / Together we stand, divided we fall
Geradezu unerträglich das Vexierspiel des faschistoiden Rockstars mit der jubelnden, unsichtbaren Masse. Im Kontext entwickelt die Trilogie "In the Flesh", "Run Like Hell" und "Waiting for the Worms" eine zutiefst widerwärtige Ausstrahlung, das ordentlich an den Gefühlen rüttelt. Großes Welttheater, gemma halt a bisserl unter, und Waters schießt mit dem Maschinengewehr in die Menge und die kapitalistisch-sozialistisch-religiösen Symbole purzeln aus den Kriegsflugzeugen, mutieren zu Bomben, und die Heere marschieren und errichten Gräber, und die größte Kriegssau schwebt über dem Stadion, oder, um Merz/Qualtinger aus "Der Herr Karl" zu zitieren: "Dann is eh da Hitler kummen. [...] Wann san Se geboren? 38? [...] Samma olle - na, i waaß no - am Ring und am Heldenplatz g'standen. De Polizistn mit de Hakenkreuzbinden - fesch! Furchtbar, furchtbar, ein Verbrechen, wie diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt wurden!!" Das Ende naht, die Gerichtsverhandlung kann beginnen. "The Trial" ist Weltgericht und großes Kino, die Mauer Projektionsfläche von Gerald Scarfes Animationen, zudem liefert Waters eine sensationelle Gesangsperformance ab. Und dann fällt sie, die Mauer. Weit weniger spektakulär als angenommen, aber sie fällt. Wie erwartet entkamen die Musikanten dem Wahnsinn und spielten zur Befreiung auf ihren akustischen Instrumenten eine einfache Melodie outside the Wall: "The bleeding hearts and artists / Make their stand"... Genialer Wahnsinn. (Manfred Horak)
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