"I pulled into Nazareth was feelin' about half past dead / Just need to find a place where I can lay my head". Mit Levon Helm starb einer der ganz großen Musiker am 19.4.2012. Sein Einfluss (als Teil von The Band) auf die bis jüngste Musikergeneration kann vermutlich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Nach Richard Manuel (1986) und Rick Danko (1999) verließ nun also auch Levon Helm das Dieseits. Levon Helm war der Schlagzeuger und sang im Prinzip die wichtigsten Lieder von The Band, wie z.B. "The Weight" und "The Night They Drove Old Dixie Down" [Robbie Robertson schrieb dieses Lied sogar für Levon; Anm.]. Seine Bedeutung geht aber noch weit darüber hinaus. Um Levon Helm herum formierte sich nämlich ursprünglich jene Band, die zunächst The Hawks und später The Band heißen sollte und nach dem endgültigen Aus 1999 machte Levon Helm mit seiner eigenen Band weiter. Seine letzten drei Alben, "Dirt Farmer" (2007), "Electric Dirt" (2009) und das Live-Album "Ramble at the Ryman" (2011) gewannen allesamt je einen Grammy in den Kategorien "Bestes traditionelles Folkalbum" bzw. "Americana". Im Februar 2009 wurde Levon Helm zudem vom Musikmagazin Rolling Stone auf Platz 91 der "100 größten Sänger aller Zeiten" gewählt. "Seine Stimme", meinte einmal Jim James (My Morning Jacket), "sei wie ein robustes altes Bauernhaus". The Band wiederum ist definitiv eine der einflussreichsten Bands der Rockgeschichte, und warum das so ist mag vielleicht daran liegen, dass die fünf Musiker 17 Instrumente spielten und oft von Song zu Song ihre Rollen tauschten. Und es mag vielleicht auch daran liegen, dass sie eine gewisse Disziplin und noch mehr Sensibilität bei ihren Konzerten an den Tag legten, oder, wie Stephen Davis in den Liner-Notes vom Album "Jericho" schrieb: "These guys weren't playing music, they were working it." Und das wiederum lag daran, dass die vier Kanadier und Levon Helm aus Arkansas sich ihre Bandidentität als The Band über viele Jahre hart erarbeitet haben - als Live-Band. Lange bevor sie ihr erstes Album veröffentlichten, spielten sie bereits gemeinsam. Greil Marcus meinte einmal, sie spielten bereits mehr als halb so lange Rock'n'Roll, wie es so etwas wie Rock'n'Roll überhaupt gab. "Ihre Musik", so Greil Marcus weiter, "gab uns das sichere Gefühl, dass das Land reicher war, als wir geglaubt hatten; dass Möglichkeiten in ihm steckten, die wir gerade erst anfingen zu begreifen. In der noch nie da gewesenen Kombination von Instrumenten und guten Rhythmen, in dem Gruppengesang absolut unverwechselbarer Stimmen, in den halbvergessenen Formulierungen und vergrabenen Texten lag eine Vieldeutigkeit, die die Welt mit wahrer Kraft erschloss." [Zitat aus: Greil Marcus - Mystery Train: Der Traum von Amerika in Liedern der Rockmusik; 1976; Anm.] Die Bandgeschichte beginnt 1958 mit Levon Helm als Drummer von Ronnie Hawkins und kurz darauf bereits mit Hawkins und den vier anderen in Toronto als The Hawks. Da waren Levon Helm, Rick Danko, Robbie Robertson, Richard Manuel gerade mal 17 Jahre; nur Garth Hudson war bereits über 20. Robbie Robertson über diese Zeit: "Wir waren alle noch so jung - wir waren damals sechzehn, siebzehn Jahre alt. Wir spielten in Bumslokalen. Man kann die Dinger nicht anders nennen. Teilweise war es großartig, teilweise hatten wir Angst, teilweise war es der Horror, und teilweise war es sehr wertvoll für uns, bis heute." Die Lehrjahre machten sich mehr als bezahlt. Einige Jahre später begleiteten sie Bob Dylan während der legendären Electric Tour (1965/66; Levon Helm stieg allerdings mittendrin aus, weil ihm das Gebuhe zu viel wurde). Mit Dylan nahmen sie im Keller von Big Pink, ihrem Haus bei Woodstock, die berühmten "Basement Tapes" auf (1967), und sie spielten mit Dylan 1974 das "Planet Waves" Album ein und gingen nochmals gemeinsam mit Dylan auf Tour - daraus entstand das Live-Album "Before The Flood". Bevor The Band am 25. November 1976 ihren letzten Walzer spielten (daraus entstand bekanntermaßen das epochale Filmdokument "The Last Waltz" unter der Regie von Martin Scorsese) veröffentlichte The Band ebenso epochale Alben, beginnend mit "Music From Big Pink" (1968; als Teilresultat der Basement Tapes) und noch mehr mit dem titellosen braunen Album ("The Band"; 1969) als eines der hellsten Fixsterne der Rockgeschichte - es gibt jedenfalls kaum etwas Besseres, mit mehr Gültigkeit, mit mehr Wahrhaftigkeit. Warum? Weil sie gegen jeden modischen Tamtam (wie es Greil Marcus formulierte) Musik machten, sie gingen viel tiefer, suchten und fanden schließlich das Innere von Amerika. Der Begriff des Musikgenres Americana war damit geboren, wenn man so will. Ihre Musik ist letzten Endes von unendlicher Dichte geprägt und von daher undefinierbar. Lieder voll von Symbolen und Metaphern, zugleich sind sie aber auch eine Art Geschichtsstunde, in der Mythos und Mystik einhergehen. Diesen beiden Giganten folgten weitere hervorragende Alben, wie "Stage Fright" (1970), (ansatzweise) "Cahoots" (1971), das Live-Doppelalbum "Rock of Ages" (1972), das Cover-Versionen-Album "Moondog Matinee" (1973), mit Abstrichen dann noch "Northern Lights - Southern Cross" (1975) und das bereits erwähnte und zurecht gepriesene "The Last Waltz" (1978). Robbie Robertson wollte nicht mehr (um es schärfer zu formulieren: sie zerstritten sich) und die vier anderen schlossen sich erst wieder 1983 zusammen, zunächst ohne allerdings Alben zu veröffentlichen. Die beste Live-Band der Welt spielte in den nächsten drei Jahren wieder etliche Konzerte, bis Richard Manuel am 4.3.1986 beschloss, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er erhängte sich mit einem Gürtel im Bad des Motelzimmers, während seine Frau, Arlie, im Nebenraum schlief. Noch am Tag zuvor hatte The Band ein Konzert gegeben und danach in Helms Zimmer Pläne für das nächste Konzert geschmiedet. Gegen 2.30 Uhr verließ Manuel seine Bandkollegen, die seine Stimmung als gut beschrieben. The Band machte einige Jahre danach dennoch weiter, und veröffentlichte 1993 mit "Jericho" sogar ein weiteres Album. "High on the Hog" (1996) und "Jubilation" (1998) folgten. Heraus kamen drei erstaunlich vitale Alben, mit "Jubilation" sogar ein richtig gutes, großes, letztes Werk. Mit dem Tod von Rick Danko am 10.12.1999 folgte schließlich das endgültige Aus von The Band. Levon Helm, der, wie eingangs erwähnt, mit seiner eigenen Band weiterhin sehr erfolgreich war gewann mit seinen letzten drei Alben nicht nur Grammys (drei hintereinander für drei Nominierungen!), sondern er konnte auch Chartplatzierungen einfahren. Sein letztes Konzert spielte Levon Helm am 31.3.2012 in Woodstock (NY); mit ihm auf der Bühne standen im Rahmen seiner unermüdlichen Midnight Ramble Konzertreihe immer wieder alte Weggefährten und Freunde wie u.a. Garth Hudson, Los Lobos, Donald Fagan (Steely Dan), JD Souther, Jackson Browne, Mavis Staples, Emmylou Harris, Lucinda Williams, Natalie Merchant, Dar Williams. Wie gut sich das anhörte erfährt man HIER. Levon Helm starb am 19.4.2012 an den Folgen einer Krebserkrankung. (Manfred Horak)
Link-Tipp:
Bob Dylan & The Band: The Basement Tapes (CD-Kritik)