Impulse Records, beim Musikriesen Universal im Vertrieb, betreibt bereits seit geraumer Zeit Schatzsuche, im eigenen Musikarchiv grabend. Dass dabei hörenswerte ältere Originalalben wieder veröffentlicht werden um der drohenden Vergessenheit entgegenzuwirken ist mehr als lobenswert, zudem die guten alten Alben in einer tadellosen Hörqualität feilgeboten werden.
Mir gänzlich unbekannt war bis dato die Jazzsängerin Freda Payne, und somit auch ihr Debütalbum „After The Lights Go Down Low“ aus dem Jahr 1964. Die in Detroit geborene Sängerin besticht mit zwölf erhellenden Aufnahmen im Big Band-Gewand bzw. im Quintett-Sound. Die Höhepunkte sind primär das erste halbe Dutzend Liedgut mit Jazzorchester, und hier allen voran das zwingende „Blue Piano“ von Duke Ellington. Ein Wirbelwind im fetten Soundkleid, in der sich ihre Stimme bestens einbringen kann. Der zweite Teil überzeugt hingegen nicht immer, am wenigsten wenn es Richtung balladeske Stille geht. Da kann ihre Stimme mit den größten Jazzsängerinnen einfach nicht mithalten. Ihre Performance auf „`Round Midnight“ ist – nun ja – nicht gerade das Gelbe vom Ei. Sobald das Quintett mit Altsaxofonisten Phil Woods, Pianisten Hank Jones, Gitarristen Jim Hall, Bassisten Art Davis und Schlagwerker Walter Perkins an Tempo zulegt gewinnt auch der Gesang von Freda Payne an Schärfe und Güte. Fazit: Trotz einzelner Schwächen ein Album, das man sich immer wieder gerne anhören wird wollen.
Keinerlei Schwächen zeitigt hingegen das Album „Live From Los Angeles“ von Oliver Nelson’s Big Band aus dem Jahr 1967. Die sieben Tracks, das genialste davon die längst zum Klassiker gewordene Nelson-Komposition „Down by the Riverside“ in einer fast neunminütigen Tour de Force mit gewaltigen ausufernden Soli, sind ein Musikereignis an Macht und Pracht. Das Albumcover spiegelt die darauf gebotene Musik hervorragend wieder, es sprüht und funkt nur so vor Verlangen und Ideen im impulsiven Zusammenspiel der großen Band. Rhythmisch exzellent brausen die Protagonisten durch Raum und Zeit der Jazzgeschichte - eingespielt wurde das Ganze an drei Abenden – ohne großartige Erneuerungen darzubieten, aber dennoch sehr zeitgenössisch zu klingen. Oliver Nelson, war in den 1960er Jahren zwar einer der beliebtesten Arrangeure, leitete aber nur selten eine Band bei einem Live-Konzert. „Live From Las Vegas“ ist alleine von daher also gewissermaßen eine Rarität, zudem ein höchst vergnügliches Musikabenteuer, das in keiner seriösen Jazzsammlung fehlen sollte, kurzum: Big Band-Musik at ist Best!
Ruhiger geht es auf dem Album „The Land Of Spirit And Light“ von Michael White aus dem Jahr 1973 zu. Der Violinist begibt sich hier auf die Suche nach innerer Wahrheit und Schönheit, residiert dabei höchst beseelt und musikalisch inspiriert wie konzentriert in „Fatima’s Garden“ und groovt leicht behände durch die Sonntagsfiesta („Fiesta Dominical“). Quasi die Seele baumeln lassen, befreit von allen Zwängen, locker und froh. Motto: Ach, gäbe es doch nur immer derart lässige, entspannte Tage. Am Beginn des formidablen Albums steht die dreigeteilte dem Album Titelgebende Komposition als Ausflug genau dorthin. Neben der Violine dominieren diverse Flöten, Percussions (Glocken und Rascheln inklusive) und eine klassische Gitarre im Vordergrund, abgefedert von Piano und Bass. „The Land Of Spirit And Light“ ist die geeignete Musik für all jene, die sich eine Weile zurückziehen möchten. Für fiktiv Reisende. Für jene, die für meditative Momente Musik brauchen. Ein Album wider akustischen Müll.
Auf spirituelle Reise begibt sich auch Pharoah Sanders auf dem 1974 erschienenen Album „Elevation“. Anders als bei Michael White – der übrigens auf „Elevation“ ebenfalls zu hören ist – bieten die fünf Tracks aber weniger ruhige Momente und entspannte Momente denn dramatische Figuren, zum Teil vollgestopft mit Komplexität und rasenden Erzählsträngen. Unsentimental. Unversöhnlich. „Elevation“ ist ein fundamentalistisches Jazzalbum, das einem zwar auch in weite Ferne entrücken lässt, aber ob ihrer Sturheit und Kompromisslosigkeit einem auch schnell wieder auf den Boden der Realität zurückstößt, was sich vor allem in den zwei längsten Stücken des Albums, dem Titeltrack und bei „The Gathering“ äußert. So betrachtet veröffentlichte Pharoah Sanders damit ein widersprüchliches Album, allerdings eines, mit hoher Nachhaltigkeit und Mehrwert. Als Höhepunkte seien an dieser Stelle das bis zur Kuriosität abdriftende, improvisationsstrotzende „The Gathering“ genannt und als Pedant dazu das stoische „Greeting To Saud (Brother McCoy Tyner)“. Nichts für Jazz-(Quer)einsteiger, aber ein Fest für Jazzfans.
Noch eine Spur widersprüchlicher ist das Album „New Grass“ von Albert Ayler aus dem Jahr 1969, eingespielt an zwei Tagen im September des Jahres 1968. Hier hören sie zunächst die Freiheit wachsen, die Freiheit sprechen. Assoziationen aus dem Nichts, emporsteigend in die Wirklichkeit der neuen Generation der späten 1960er Jahren. Das Album beginnt mit einem freien Gedankengang von Albert Ayler namens „New Grass/Message from Albert“, um im darauf folgenden „New Generation“ die Freiheit des Musikers ad absurdum zu führen. Schubidu. Ihr wollt Rock’n’Roll, Rhythm’n’Blues und Soul? Bitte schön! Shuffeln wir uns halt durch. Tanzt, solange bis die Erlösung kommt! Und Albert Ayler tönt durch ein rhythmisches „Sun Watcher“ und groovt unerbittlich wider dem Zeitgeist in „New Ghosts“. Im von Soul erfüllten „Heart Love“ setzt der Tenorsaxofonist zeitlose Akzente, vermengt gnadenlos Improvisationsteile mit durchkomponierten Melodielinien.
Van Morrison setzte dieses Mittel z.B. auf einem seiner besten Alben ebenfalls ein, nämlich auf „Common One“. Überhaupt scheint hier Aylers Tonfärbung jenem Saxofon-Spiel von Van Morrison sehr beeinflusst zu haben, mehr noch, „New Grass“ ginge auch als die ältere und – mit Abstrichen – radikalere, und zugleich, so viel Widerspruch muss sein, gesoftete Version von „Common One“ (wenn auch alles in allem bei weitem nicht als die zufriedenstellendere „Version“) durch. Am Schluss des Albums steht mit „Free at Last!“ jedenfalls ein weiterer Soulfetzer, der alle Ingredienzien in sich birgt nicht nur Tanzflächen zu füllen, sondern auch zumindest in die Soulcharts vorzudringen. Albert Ayler kehrte mit „New Grass“ also dem Freejazz den Rücken und zauberte aus einem seiner Hemdsärmel ein solides Soul-Jazz-Album mit Liedern in zum Teil Popformatlänge, denen man das Entstehungsdatum allerdings doch recht deutlich anhört. (Manfred Horak)