mit den Schlagworten:

bap-halv-su-wildDie Kölschrockband BAP rund um Mastermind Wolfgang Niedecken begibt sich auf "Halv su wild" durch vertraute Gefilde und legt damit ein atmosphärisch dichtes, verdamp entspanntes und erzählstarkes Album vor. Erhältlich auch auf Doppel-Vinyl mit zwei Bonustracks.

 

Seit 35 Jahren ist BAP aktiv, im März 2011 feierte Wolfgang Niedecken seinen 60er, "Halv su wild" ist bereits Album Nr. 17 (macht im Schnitt also alle zwei Jahre ein Album), darüber hinaus veröffentlichte Niedecken seine Autobiografie "Für 'ne Moment". Es gibt also viel zu feiern, zu hören, zu lesen, und das ist gut so, denn BAP hat nichts von der Faszination verloren. Die Texte von Niedecken haben dabei einen Wandel vollzogen, vom politischen Drang und Wut früherer Jahre bis hin zu den persönlichen Bestandsaufnahmen heute. Das gesellschaftspolitische Engagement blieb aber beileibe nicht auf der Strecke, es wird nur anders angegangen, oder, wie er im Titellied singt: "Vertrau op dat, wat dir da neue Morje bringk, eh du enn Selvszweifel versinks". Das Leben ist schließlich eine Autobahn, mal Sackgasse, mal Einbahnstraße, mit jeder Menge Kreuzungen und dämlichen Umwegen. Der Märchenwald, der gleich neben dem Schlachtfeld liegt - auch Karneval genannt - wird folgerichtig ebenfalls in zwei Liedern thematisiert: "Keine droppe mien" und "Un donoh ess dä Karneval vorbei" rocken, was das Zeugs hält, wobei zweitgenanntes mit einem an Keith Richards erinnernden Riff beginnt und ersteres mit grotesken Sprachbildern bestens zu unterhalten weiß, super Gitarrensolo von Helmut Krumminga inklusive. Und auch der Reggae findet wieder einmal Eingang auf einem BAP-Album. "Chlodwigplatz" ist sicherlich eines der Höhepunkte von "Halv su wild", hier erinnert sich Niedecken an seinen früheren Nabel der Welt. Musik-Gourmets sei das Album allerdings in der Vinyl-Ausgabe empfohlen, nicht nur, dass zwei weitere Songs zu hören sind, ist der Klangzauber ein ungleich höherer. Die Lieder entfalten auf Vinyl eine Wärme und Klarheit, bei der die CD-Version an keiner Stelle auch nur annähernd mithalten kann, ganz zu schweigen vom ästhetischen Gefühlswert, Stichwort Klappcover, großes Bild, großzügige Gestaltung. Bilder übrigens, die am Anfang zur Produktion des vorliegenden Albums standen und zur Grundstimmung beitrugen, und hier sind wir wieder beim Engagement von Niedecken. Das Tableau "Reception Center" (das Cover des Albums) verweist auf eine Hilfseinrichtung im nordugandischen Gulu, "in der freigelassene oder vor ihren Peinigern geflohene Kindersoldaten für ein neues Leben in Freiheit und Selbstbestimmung vorbereitet werden", wie man im Innencover nachlesen kann. Sich nicht unterkriegen lassen als Zentralthema und da kann auch schon mal die Parodie als Stilmittel eingesetzt werden - ist ja nicht das erste Mal bei BAP und auch anno 2011 gelingt die Parodie hervorragend, nachzuhören auf "Verjess Babylon", einem weiteren Höhepunkt des feinen Liedreigens. Und während die CD mit dem Schlaflied "Waat ens jraad" ausklingt, dreht sich das Vinyl noch munter weiter. In der wunderbaren Ballade "Blonde Mohikaner" hören wir die Erkenntnis "Tonnenschwere Vergangenheit / schleppt jeder mit sich herum", während der zweite Bonustrack eine gelungene Nachdichtung von Lou Reeds "A Perfect Day" ist, auf gut kölsch "Dä perfekte Daach". Ein imposantes Album, das alle Stückerln spielt. (Manfred Horak)

Doppel-Vinyl / CD-Tipp:
BAP: Halv su wild
Musik: @@@@@
Klang (CD): @@@@
Klang (Vinyl): @@@@@@
Label/Vertrieb: EMI (2011)

Link-Tipp:
Interview mit Wolfgang Niedecken