"Was wir machen ist nicht Satire. Das ist einfach künstlerische Arbeit", erklärt Sandra Kreisler im virtuellen Gespräch mit Manfred Horak und beantwortete nicht nur Fragen über Wortfront, ihrer mit Roger Stein gegründeten Band, sondern auch über Politik, Österreich und Schwarzer Humor. Mit dem aktuellen Album "Freilandherz" im Gepäck tourt Wortfront im April 2011 durch Österreich.
Kulturwoche.at: Sie sind in München geboren, haben lange in Wien gelebt und gearbeitet, seit einigen Jahren wohnen Sie in Berlin. Der kürzlich verstorbene Kurt Hauenstein (Supermax) sagte einmal, "Österreich sei ja an sich ein schönes Land. Die Menschen sind halt ein bisserl gewöhnungsbedürftig". Was denken Sie, wenn Sie an Österreich denken? Und andererseits: Wie sehr reflektiert Berlin bzw. Deutschland an sich auf Ihre Musik und umgekehrt? Sandra Kreisler: Ich würde es vermutlich nicht ganz so nobel ausdrücken. Gerade in letzter Zeit geht mir, wie man so schön sagt, "das Geimpfte auf", wenn ich die Nachrichten aus Österreich lese. Ich liebe das Österreichische Essen, die Höflichkeit, den Schmäh, den Charme und so vieles mehr - aber sobald man über den Tellerrand blickt, und Politik und Seilschaften und der Alltagsrassismus, dis systemimmanente Ausländerfeindlichkeit, die Seilschaften in Kultur und Politik kommen ins Blickfeld, dann kann ich nicht mehr so viel essen... In Deutschland gibt es andere Nachteile, keine Frage - eine Mischung aus beiden Ländern wäre für mich ideal. Österreichischer Humor, deutsche Anständigkeit zum Beispiel. Ich kann allerdings nicht sagen, was sich wie in unserer Arbeit niederschlägt - denn die kommt aus uns heraus, ist also wohl eine Mischung aus allem Erlebten. Roger Stein, Autor und Komponist von Wortfront, ist ja Schweizer, der in Wien studiert hat - da kommt also noch eine Prägung hinzu, bei mir ist es sicherlich auch das typische alt-wiener jüdische Grossbürgertum, das mich auch geprägt hat - es ist wohl eine sehr bunte und schräge Mischung, schätze ich. Deswegen sind wir auch überall und nirgends so richtig zu Hause... Wie entsteht generell ein neues Album von Wortfront? Ist es eine lange Herumtüftelei oder eher eine spontane Angelegenheit? Das dauert schon seine Zeit. Lieder müssen reifen wie guter Wein. Manche Lieder sind über 10 Jahre alt - in Fragmenten, und dann plötzlich wachsen sie und werden ein fertiges Lied. Aber wir feilen viel - trotzdem kommt auch immer wieder ein Lied, das einfach "flutscht". Man kann es nie voraussagen. Und wenn wir genügend neue Lieder haben, ist es wieder Zeit, ein neues Album zu machen. Das aktuelle Album heißt "Freilandherz". Sind diese Lieder quasi endgültige Versionen oder hält ihr es da wie z.B. ein Bob Dylan, der seine Songs live ständig rundum erneuert und zeitweise auch die Texte verändert? Eher Letzteres. Die Songs verändern sich ja auch durch die jeweilige Besetzung der Musiker, und was die dann für Prägungen mitbringen. Lieder sind wie Kinder: Man bringt sie auf die Welt, und dann verändern sie sich mit der Zeit, je nach ihren individuellen Erlebnissen, gehen einen eigenen Weg. Das ist ja gerade das Spannende - und ich meine: Daran erweist sich auch die Qualität eines Liedes - auf wie viele verschiedene Arten es trotzdem noch "in sich stimmt". Welche Qualitätskriterien muss ein Text letztendlich erfüllen, damit ihr diesen veröffentlicht und was macht für Sie generell ein gutes Lied aus? Ich meine, es muss eine Aussage zeigen, eine Haltung, und auch literarische Ansprüche erfüllen. Ich mag es zum Beispiel nicht, wenn sich mal was reimt und dann ein paar Zeilen weiter kommt ein unsauberer Reim, weil einem einfach nix eingefallen ist. Dann heisst es eben: noch mal nachdenken. Außerdem muss es aus unserer Seele kommen - es muss nicht unbedingt etwas KONKRETES aussagen - es kann auch ein Gefühl transportieren, das ist für uns auch legitim. Aber wie oben gesagt: "Schnellschnell" - das geht nicht. Es muss einfach in sich stimmen. Und dann die Musik: Für uns ist die Musik genauso wichtig wie der Text - gut ist ein Lied dann, wenn sowohl Text als auch Musik auch ohne das jeweils andere bestehen können - und zusammen dann eben noch eine Qualität mehr haben. Was ist ihr Hauptantrieb Musik zu machen? Was (außer einer CD) wollt ihr, dass das Publikum nach einem Konzert von ihnen mitnimmt? Bzw., adäquat zum Lied "Für wen ich singe" von Hanns Dieter Hüsch: Für wen singen Sie? Es ist einfach in mir. Das ist keine Entscheidung in dem Sinn - es ist nur eine Gnade, dass ich so leben kann, wie ich brenne. Natürlich möchte ich Menschen im Herzen, in der Seele berühren, natürlich wünsche ich mir, dass die Menschen nach Hause gehen, und vielleicht ein klitzekleines bisschen offener, weicher, liebevoller, weiser in die Welt gucken - aber das ist nur Träumerei. Im Grunde ist uns völlig klar: Wir machen Unterhaltung und wir wollen auch Unterhalten. Punkt. Wenn natürlich dann noch ein bissel Haltung da auch dabei rauskommt, dann ist das ein Bonus. "Satire ist die Kunst, einem anderen so auf den Fuß zu treten, dass er es merkt, aber nicht aufschreit", meinte einmal Helmut Qualtinger. Ist diese Aussage Ihrer Meinung nach noch zeitgemäß, oder müssen satirische Texte, um die richtige Wirkung zu erzielen, heute anders angelegt sein? Qualtinger hat, wie ich meine, in der Definition recht - aber damals waren andere Zeiten. Damals was es okay, wenn die Leute nicht aufgeschrieen haben - aber heute schreien sie auch nicht mehr auf, wenn man ihnen den Fuß amputieren würde. Vor allem in Österreich habe ich den Eindruck, dass die Leute auf Facebook aufschreien - aber nicht bei Wahlen oder Demos oder sonst wie. Satire ist heute nur noch, was die Parteien sowieso aufführen. Was wir machen ist nicht Satire. Das ist einfach künstlerische Arbeit. Geht sich jedes Thema in einer Satire bzw. mit schwarzhumorigen Liedtexten aus, also auch z.B. aktuell über den Supergau in Japan? Zum Teil hängt das wohl auch damit zusammen, wie lange ein jeweiliges Ereignis her ist. Denn Satire, auch Schwarzer Humor darf nicht einfach nur verletzend sein, persönlich verletzend. Das ist kein Humor, sondern einfach gemein, pietätlos, herzlos. Und vor allem: Wozu? Satire oder Schwarzer Humor sollten doch etwas verändern wollen. Was würde es denn verändern, wenn man sich über die Toten und Verlorenen in Japan lustig machte? ABER: sich über Kernkraftwerksbetreiber lustig machen - DAS geht, finde ich. Im Lied "Stirb, bevor's zu spät ist" gibt es die Textzeile "Leb nicht egoistisch - denk an das Gesamtsystem / Als Versager bist auch Du ein Teil von dem Gesamtproblem". Muss der Kapitalismus überwunden werden, damit die Menschheit nicht am Klimakollaps zugrunde geht? Wie könnte das funktionieren, denn andererseits, um Allen Ginsberg zu zitieren, [Stalin] "has killed our old red revolution forever". Ich bin sehr positiv den Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen gegenüber. Natürlich muss da noch viel geklärt werden - aber ich denke: Der Kapitalismus hat sich insofern überholt, als dass es in der technologisierten Welt immer weniger Arbeit für alle gibt - und daher müssen die Menschen ihr Wertesystem, dass sich ausschließlich über Erwerbsarbeit definiert, überdenken. Tätigkeit ist wichtig - aber Erwerbsarbeit? Das muss ein Diskussionsprozess werden, ein langsamer Umdenkungsprozess - dass es eben andere Werte gibt, die erstrebenswert sind, nicht einfach: Viel Kohle und renommierter Job. Es ist weniger eine Diskussion über Kapitalismus oder Kommunismus, als eine über Werte, die geführt werden sollte. Was wünschen Sie sich für Wortfront? Dass das musikalische Schubladendenken der meisten Medien aufweicht. Denn ich bin sicher, wenn wir über die Medien mehr Menschen über uns informieren könnten, dann gäbe es auch mehr Menschen, die sich für das erwärmen können, was wir machen. Im Moment ist es aber so, dass wir praktisch nie außerhalb irgendwelcher Außenseiter-Nachtschienen gespielt werden - weil wir sind nicht Singer-Songwriter, wir sind nicht Liedermacher, wir sind nicht Chanson oder Pop oder HipHop oder Kammermusik - wir vereinen all das. Und nur darüber lesen, das zündet die wenigsten Menschen an, weil sie sich nichts darunter vorstellen können. Aber wenn sie es hören - dann sind eigentlich praktisch alle begeistert. Und eben: wir brauchen Menschen im Publikum, die sich freuen, unsere Songs zu hören - nur dann können wir weiter machen, weiter an unserer Musik arbeiten, weiter mit spannenden Musikern neue Richtungen erdenken - und DAS ist es, was ich mir für Wortfront wünsche. (Die Fragen stellte Manfred Horak im virtuellen Café irgendwo zwischen Wien und Aigen/Mühlkreis; Fotos: Wortfront)
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