Seine Lieder setzen Gefühle frei, die einem wärmen und zu Tränen rühren, die einem lachen lassen und melancholisch machen. Am 31. 10. 2016 feierte Roland Josef Leopold Neuwirth seinen 66. Geburtstag, ein paar Tage später gab er sein Abschlusskonzert im Wiener Konzerthaus.
Das Wienerlied ohne Roland Neuwirth ist unvorstellbar. Ich trau mich zu behaupten, dass das nicht nur für mich so ist. Sein Album "Alles is hin" (EMI Columbia; 1980) war jedenfalls für mich der Antrieb, dem Wienerlied aufgeschlossen zu begegnen, und alleine dafür kann ich Roland Neuwirth nicht dankbar genug sein. "Alles is hin" war ein echtes Schlüsselerlebnis, eine Aha-Begegnung höchsten Ausmaßes. Ein Album zum Reinkippen, das einem einfach nicht mehr los ließ und all das an Liedern und Liedtexten (komponiert und geschrieben von Roland Neuwirth) beinhaltete, das Wien in den frühen 1980er Jahren war. Diese unendliche Trostlosigkeit, das Grantscherbige, die tiefe Melancholie und unsterbliche Verliebtheit, das hoffnungslos beamtete, der ewige Herbst und der Gemeindebau. Lieder wie "Mir san die Türstöck z'nieder", "Ein echtes Wienerlied", "Der Gerhard", "Niemand daham", "In dem Herbst" sind schlicht und einfach Klassikaner. Auf dem Album enthalten ist auch "Aber du bist mei Kittlfaltn", eins der schönsten und stimmungsvollsten Liebeslieder zwischen Wien, Floridsdorf und Paris, Texas, was freilich auch heute, 2010, noch gilt. "Da bleibt dir", schrieb Christian Seiler einmal, "obwohl du die Lieder schon so gut kennst [...] die Luft weg. Du atmest, wenn du zuhörst, mit aller Vorsicht, die du kennst, um nicht zu stören."
Plötzlich brach mein ganzes Weltbild zusammen
Drei Jahre später legte Neuwirth mit dem Album "Extrem" (Alpha Music; 1983) ein elektrisch verstärktes Schrammelrockalbum vor, das wiederum mit Zeitlosigkeiten wie "I und mei Wampm", "Jeder Ratz liebt seine Kanäu" und "Ein Prosit der Wiener Gemütlichkeit" aufwarten konnte. Auf "Extrem" verarbeitete Neuwirth verstärkt Blues-Rock-Einflüsse aus der internationalen Musiklandschaft. Gehen wir daher nochmals 20 Jahre zurück, um dieses Album besser verständlich machen zu können. Roland Neuwirth begann seine musikalische Laufbahn in den 1960er Jahren mit dem Nachspielen von Liedern der Spencer Davis Group, die ihn zum Jazz und Blues brachten, danach spielte er abends in der Swing- und Dixieband Blue Note Seven, und arbeitete tagsüber in einer Partendruckerei. "Es war im Jazzland, als der Knacks kam", so Neuwirth. "Ich merkte, dass meine zusammengestoppelten Bluestexte irgendwie leer wurden. Plötzlich brach mein ganzes Weltbild zusammen und mir wurde bewusst, kein Farbiger zu sein, sondern 'born in Floridsdorf' und nicht in Chicago." H.C. Artmanns 'med ana schwoazzn dintn' und seine Villon-Übersetzungen waren für Neuwirth längst zur Bibel geworden, und so schloss sich denn auch der Kreis. Neuwirth wechselte von der Partendruckerei zur Musikhochschule, begann zu komponieren und gründete ein Schrammelquartett [die "Schrammeln" bildeten am Ausgang des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt der volkstümlichen Wiener Musik. Mit dem Tod der Brüder Johann und Josef Schrammel geriet die besondere Klangfarbe des Quartetts in Vergessenheit, die erst 1964 wiedererweckt wurde. Anm.]. In den frühen 1970er Jahren spielte der Bassist und Gitarrist bei Franz Bilik & seine Brogressiv-Schrammeln, ehe er 1978 schließlich sein erstes Album "10 Wienerlieder und 1 Fußpilz-Blues" (Preiser; 1974) veröffentlichte. Seine eigene Handschrift fand er schließlich mit seinem bereits erwähnten zweiten Album "Alles is hin". Mittlerweile ist er bei seinem 11. Extremschrammeln-Album angekommen, bei "Wien g'spürn" (Warner; 2006), sein bis dato zuletzt veröffentlichtes Album ist allerdings das mit Karl Hodina aufgenommene "Briada" (Wienmusik; 2007). Wenn er gerade nicht mit Hodina live konzertiert, ist der Meister an der Kontragitarre entweder im Trio oder in der klassischen Schrammelbesetzung zu hören. Flankiert von seinen kongenialen Partnern Doris Windhager, "the golden voice from Hernois", die mit ihrer unnachahmlichen Stimme seit etlichen Jahren zu den besten Sängerinnen des Landes zählt, und - so Neuwirth - "dem besten Knöpferlharmonika-Spieler Wiens", Marko Zivadinovic, sowie mit den zwei Edelgeigern Manfred Kammerhofer und Bernie Mallinger bzw. Michael Radanovics.
Wenn man falsch reimt wär' das ja ein Hörfehler
Mit "Guat drauf" (Warner; 1988) gelang Neuwirth der Sprung zu einem Major-Label, der darauf enthaltene Schrammelpop war wie schon bei "Extrem" eine Gratwanderung, und wenn Neuwirth bei dem einen oder anderen Stück scheiterte, dann war es ein Scheitern auf hohem Niveau. Dieser Fakt wurde besonders im nachfolgenden Live-Album "Waß da Teufel" (Warner; 1989) hörbar, das, in der klassischen Schrammelbesetzung eingespielt, zu einem ungeahnten Lustgewinn wurde. In einem Interview fragte ich Roland Neuwirth einmal, warum er denn live nicht mehr elektrisch verstärkt spiele: "Weil das nicht gut klingt. Du kannst kein schönes Piano erzeugen, bei dem man das Gras wachsen hört. Die Geiger sind durchgedreht dabei." Und so wie die 1980er Jahre für Roland Neuwirth endeten, begannen die 1990er Jahre: Mit einer Vielzahl an Live-Konzerten und mit einem herausragenden Studio-Album. "Essig & Öl" (Warner; 1994) beherbergt mit "I bin im Gart'n" aus Neuwirths Feder eines der besten Lieder aus diesem Genre. Neuwirth, der solcherart Aussagen im Interview gerne abschwächt: "Sagen wir es mal so: Ich glaube, ich schreibe recht gut. Bei mir sitzt jeder Reim, jede Geschichte - das ist klar, aber i tät mich genieren, wenn das nicht so wäre. Wenn man falsch reimt wär' das ja ein Hörfehler, wie mein Lieblingsdichter Peter Rühmkorf einmal sagte."
Schrammelbazillus
Im Jahr drauf ließ Neuwirth den Christbaum abbrennen. "Moment, der Christbaum brennt" (Warner; 1995) ist ein Glücksfall und unverzichtbar wie Weihnachten selbst. Der große Mann mit dem langen Bart schaffte es spöttische Liedtexte ("Alle Jahre wieder / kommt das Christuskind / und die Tante Frieda / wenn ich den Baum anzünd'") und feierlich stimmungsvolles ("Wart'n am Erlöser"; "Engerln"; "Ei'gschneibt") zum Thema auf das Album draufzupacken. Konsumwahn, Familienzwist, billiger Lametta und fette Karpfen, betrunkene Weihnachtsmänner und Umtauschrausch wechseln sich da ab mit Großstadtstille, Schneeidylle und Weihnachtsvisionen. Einer der absoluten musikalischen Höhepunkte dabei das Neuwirthsche Liebeslied "Ei'gschneibt". Und überhaupt: Bis heute atmen seine Lieder wunderbare Wortwitze und Stimmungsbilder zu den Themen Liebe, Tod und Politik aus. Das galt und gilt auch für seine Alben "I hab an Karl mit mir" (Warner; 1996) und noch mehr für "Nr. 9 Die Pathologische" (Warner; 1998). Letzteres ein echtes Konzeptalbum, für das man sich viel Zeit nehmen sollte, und das sich, wenn es sich einem einmal erschließt, als ein wunderbares Allheilmittel erweist. Danach legte Neuwirth eine "Nachtschicht" (Warner; 2002) ein. Das Album ist ein musikbezogenes Konzeptalbum mit unterschiedlichen Textthemen, entstanden aufgrund des nicht mehr loswerdenden Schrammelbazillus rund um Politik, Essen, Körper. Die Befindlichkeit eines Österreichers also, mit dem Grundwissen, dass der Blues noch immer ein Wiener sein muss. Harte Studioarbeit mit eingestreuten Momentaufnahmen, also eine Mischung aus Live-Material und Studioaufnahmen.
Schee woa's!
Warum keine reine Live- oder reine Studio-CD wollte ich einmal von Neuwirth wissen. "Das lockert das ganze irgendwie auf, denk ich mir", antwortete er mir, und: "Ich habe schon auch Couplets im Studio aufgenommen, aber das ist lähmend, wenn es keine Reaktionen gibt, verstehst? Ich mache eigentlich überhaupt nicht gerne CDs. Ich schreib doch keine Lieder für ein Album, ich bin doch nicht wahnsinnig." Hier schließt sich also der Kreis ins Heute. Die Tonträger sind nämlich tatsächlich bei weitem nicht das Gesamtwerk von Roland Neuwirth (und werden es auch nie sein). Roland Neuwirth ist ein Live-Künstler, und zudem einer, der auch Musik fürs Theater schreibt (z.B. für das Ende Februar 2010 uraufgeführte Theaterstück "Moser oder Die Passion des Wochenend-Wohnzimmergottes" von Franzobel), und der Werke schreibt, die nur selten aufgeführt werden, wie z.B. die gemeinsam mit Peter Ahorner erarbeitete Schrammeloperette "Und das bei uns!", die im Sommer 2009 in Litschau im "Theater am Herrensee" ihre Uraufführung erlebte. Abkürzung. Zeitensprung. Am 31. Oktober 2016 feierte Roland Josef Leopold Neuwirth seinen 66. Geburtstag und am 5. November 2016, nach über 40 Jahren als aktiver Musiker, beendete RLJ Neuwirth seine Konzerttätigkeit und lud mit seinen Extremschrammeln und Gästen zum Abschlusskonzert ins Wiener Konzerthaus. //
"Schee woa's!"
Roland Neuwirth & Extremschrammeln bedanken sich beim Publikum
Samstag, 5 November 2016
Konzerthaus Wien (19:30 Uhr, Großer Saal)
Text: Manfred Horak
Fotos: Lukas Beck, KK, Dietmar Lipkovich