Der Songbarde aus der Provinz und Frontmann von Nowhere Train über Wanderlust zwischen Wien und Williamsburgh. Aus New York berichtet Denise Riedlinger.
Die ersten 20 Jahre seines Lebens verbrachte Ian Fisher nach eigener Aussage hauptsächlich damit, jeden Tag aus den USA weg zu wollen und traurige Songs über Kapitalismus, nukleare Bedrohung und amerikanische Wertigkeiten zu schreiben, die er mit seinem kräftigen, manchmal samtig, dann leicht raunzend klingendem Tenor in Pubs und Bars einer nicht sehr aufmerksamen Zuhörerschaft vortrug. Von der Leichtigkeit der Jugend will sich der an vielen Orten beheimatete, zurzeit in New York ansässige Sohn einer amerikanischen Mittelklassefamilie nichts anmerken lassen. In den Momenten in denen Fisher die Figur des traurigen Songbarden zurück lässt kommt ein leidenschaftlicher Musiker voll ungestümer Energie zum Vorschein. Der Songwriter, Gitarrist und Sänger (Nowhere Train) stammt aus einem Dorf in der Nähe von St. Louis, Missouri. Seine Musik, die in Americana, Blues und Folk verwurzelt ist und sowohl verträumt und romantisch, als auch jugendlichem Eskapismus überladen klingen kann, lässt Bilder von endlosen Straßen, Feldern, und langen einsamen Nächten in einer WG entstehen. Dann wieder überrascht er, etwa bei dem Song "9 to 5", mit Vocals irgendwo zwischen Bruce Springsteen und Billy Idol. Ich treffe Ian Fisher vor einer Show tief im verfallenen Stadtteil Bushwick im New Yorker Bezirk Brooklyn, wo er mit seiner derzeitigen Berliner Freundin ungeduldig auf das erste Bier wartet. Kulturwoche.at: Du reist sehr viel nach Deutschland und Österreich, was verbindet Dich mit diesem Teil Europas? Ian Fisher: Jemand hat mal gesagt, zu Hause ist nicht dort wo du verstehst, sondern wo Du verstanden wirst. Als ich 2009 nach Wien zog, war ich so beeindruckt davon, dass ich nicht jeden Tag wieder weg wollte, wie das in den USA der Fall war. Ich wuchs in einer Kleinstadt in Missouri auf und fuhr nach dem College in St. Louis mit einer Gruppe Anarchisten durchs Land, spielte viel. Seitdem war ich pausenlos unterwegs, das ist mental recht anstrengend. In Wien wachte ich auf und fühlte, es war in Ordnung hier zu sein. Die Leute nahmen meine Musik ernst, ich lernte verschiedenste Künstler kennen, ging mit Nowhere Train auf Tour. War Nowhere Train Dein Baby? Nowhere Train war, was ich einen "Clusterfuck" nenne (lacht), wir waren einfach Künstler aus verschiedensten Richtungen, die machten worauf sie Lust hatten. Die Songs schrieben wir gemeinsam, wenn eine Menge Alkohol im Spiel war sahen wir uns gern als Zigeunermusiker. Was hat Dich nach dieser fruchtbaren Phase in Österreich nach New York verschlagen? Ich habe in meinem Leben so viel Chaos, das ich nach Stabilität in Flugtickets und Abreisedaten suche. Es gibt mir Sicherheit ein paar kleine Worte in meinen Kalender zu kritzeln und zu wissen, ich muss zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Bestimmtes tun. Das Flugticket nach New York war ein weiterer Versuch meiner Zukunft etwas mehr Stabilität zu geben. Was ich toll finde, ist das Publikum in Europa! Die Leute sind so aufmerksam, hören wirklich zu. Die Folk Szene in New York ist groß, aber du wirst selten gehört. Ich bin generell sehr skeptisch, ob Menschen im 21. Jahrhundert überhaupt noch fähig sind zuzuhören, das rührt daher dass es mir selbst extrem schwer fällt mich lange auf etwas zu konzentrieren. Du hast vor kurzem Deine gleichnamige EP mit älteren und neuen Songs aufgenommen, ist das eine Art Summe all Deiner Erfahrungen? Ich glaube, ich wollte mir mit dieser Platte beweisen, dass ich etwas aufnehmen kann das professionell und radiotauglich klingt. Die Aufnahmen sind mir jetzt oft zu clean, aber zu dem Zeitpunkt wollte ich das so. Ich nehme in Berlin gerade ein anderes Album auf und wüsche mir, dass da mehr der Spirit meiner Live Shows rüberkommt. "Vienna, You White Moon", das Album das in Wien entstand, höre ich immer noch gerne. Dein Song-Oeuvre ist beeindruckend, bist Du in besonderen Phasen inspiriert? Ich habe da keinen besonderen Prozess, Melodie, Rhythmus und Harmonien können einfach kommen, meistens schreibe ich aber alles zugleich. Die meisten meiner älteren Songs waren über Politik und die Gesellschaft in der ich aufwuchs. Seit ich nach Europa ging, handeln die Songs mehr über meine persönlichen Befindlichkeiten. "Common Sense" etwa ist für mich einer meiner besten Songs, den schrieb ich nachdem ich einmal fast verhaftet worden wäre. "Candles for Elvis" entstand, nachdem ich die erste Seite einer Zeitung sah. Da waren zwei Fotos, unter einem Stand "Tausende Menschen trauern um Elvis", unter dem anderen stand: "Tausende Menschen trauern um ihre Männer, Frauen, Kinder, die bei jüngsten Überflutungen in Peru ums Leben kamen." Ich schrieb den Song aus der Perspektive von jemandem in meiner Familie, der vermutlich mehr um Elvis Presley trauern würde als um die Tausende Toten in Peru. In letzter Zeit schreibe ich viel darüber, was Wirklichkeit für mich bedeutet, wie sehr ich mich nach einem Sinn und Stabilität sehe. Ich frage mich oft wie wir in dieser globalisierten Welt leben können, in der uns so vieles trennt obwohl wir scheinbar so viel gemeinsam haben. Man kann auch sagen ich labere darüber, wie Dinge Sinn ergeben könnten, die mir völlig rätselhaft sind. Das Leben ändert sich, die Welt ändert sich, meine Songs ändern sich. Was wünschst Du Dir jetzt gerade in Deinem Leben am meisten? Ich möchte gerne dazu im Stande sein auf Tour zu gehen ohne mich ums Booking kümmern zu müssen, und nicht als Parasit auf andere Leute Sofas schlafen zu müssen. Ich möchte nicht ständig an Geld denken, nicht alle drei Monate wegen Visa Schwierigkeiten den Ort wechseln... Ich wünsche mir jemand der all meinen Shit managt, denn die meisten meiner Gedanken drehen sich genau um all dieses Zeug. Ich werde im Winter nach Berlin zu meiner Freundin ziehen, und dann sehen wir mal weiter... (Das Interview führte Denise Riedlinger) Ian Fisher auf Facebook |
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