regina-spektor-by-beny-shleNeun Jahre alt war sie, als sie zum ersten Mal aus Russland raus, in eine andere Stadt kam. Zwanzig Jahre später besuchte die mittlerweile renommierte Musikerin diese Stadt wieder und verzauberte sie mit ihrer einzigartigen Stimme und verrückten Klavier-Kompositionen: Regina Spektor gastierte am 16. Dezember 2009 live im Wiener Gasometer.

Die gebürtige Russin Regina Spektor verließ mit ihren Eltern Ende der 1980er Jahre ihre Heimat, um nach Amerika auszuwandern. Über Österreich und Italien landete sie schlussendlich in der amerikanischen Bronx, wo sie im Keller einer kleinen Synagoge ein altes Klavier fand, auf dem sie auch ihr erstes Konzert geben sollte. Über Auftritte in kleinen, verruchten Bars in späteren Jahren und selbstproduzierten Platten ("11:11"; 2001) landete sie 2004 bei Sire Records und startete 2006 mit ihrem Album "Begin to hope" durch.

Gefühle vermitteln, das kann diese Frau

2009 ist die russisch-amerikanische Musikerin endlich wieder in Wien und präsentiert ihr Können vor mehreren hundert Fans. Ihr eigenwilliger, gefühlvoller Stil, Geschichten, die das Leben schreibt, in Form von Musik zu erzählen, zieht eine Menge Menschen an. Kein Wunder. Als Gesamtkunstwerk betrachtet, gibt sich Regina Spektor - so scheint es - nicht mit dem Einfachen zufrieden, lässt 08/15 nicht zu (siehe auch Interview). Allein das Auftreten der jungen Künstlerin verzaubert den Zuseher sofort. Eine starke, charismatische, aber doch so zerbrechliche, schüchterne Person betritt die riesige Bühne. Durch ihr langes, braunes Haar blickt sie, in geduckter Haltung, von unten hinauf, auf das Publikum, das zumindest physisch jedoch unter ihr verweilt. Sie scheint sich für nichts Besonderes zu halten, und gerade deshalb ist sie so besonders charmant. Dann ertönen die ersten Klavierklänge, sanft, vorsichtig. Cello, Violine und Schlagzeug steigen ein. Eine eigenartige, lebendige, echte Gesamtkomposition hallt hinweg, über die Köpfe des Publikums. Und dann endlich die Stimme der eindrucksvollen Russin: mal sanft, klar und zerbrechlich, dann wieder stark, voll Vertrauen und überwältigend, und im nächsten Moment unsicher, gebrochen in gesprochener, geflüsterter Form - je nachdem, was sie dem Zuhörer sagen möchte. Reginas Texte handeln von Alltäglichem, Einmaligem, Verquerem, Metaphorischem aber vor allem von Hintergründigem. Gefühle vermitteln, das kann diese Frau. Ihre Musik, die Texte und ihre Stimme sind dermaßen aufeinander abgestimmt, dass es fast unmöglich wird, nicht der Emotion, dem Inhalt ihrer Songs zu verfallen. Zumal sie zeitweise einfach ins Mikrofon, schluchzt, grunzt, brummt, summt, heult, stöhnt, ja, sogar weint. Dann steht sie wieder ganz allein auf der Bühne, überzeugt allein mit ihrer Stimme - die sie absolut unter Kontrolle hat, klopft den Rhythmus mit einem Drum-Stick auf einen Stuhl während sie auf dem Klavier spielt und singt oder gibt ihr Können auf der Gitarre zum Besten. Rhythmische Hoppalas? Passieren. Aber das ist menschlich und macht die Russin noch sympathischer. Nichts ist Unmöglich, solange es wirkt, das zeigt Regina Spektor dem Publikum, das gefesselt von ihrer Musik mucksmäuschenstill zuhört und –sieht.

Regina Spektors Musik ist einfach mitreißend, echt

Sie zieht den Hörer in ihren Bann. Und selbst wenn Regina von Augenfarben-Eigentümlichkeiten ("Silly Eye Color Generalizations"), von Orka-Wal-Träumen ("Hotel Song") oder gar vom Lesen der Rückseite von Cornflakes-Packungen ("That Time") singt, man glaubt ihr jedes Wort. Banalitäten werden plötzlich wichtig, erwähnenswert, Tabus einfach ausgesprochen. So erzählt sie auch von "someone next door's fucking to one of my songs" ("Bobbing for Apples") und zelebriert dabei das Stöhnen beim Höhepunkt. Und das Publikum ist hingerissen, jubelt und klatscht - 15 % länger als in anderen Ländern, wie Spektor zwischendurch bemerkt. Außerdem erklärt sie sich als Fan von Klimt und Schiele, Maroni und Kartoffelpuffer ("[ka:toflpΛfə]"). Nach fast zwei Stunden ist sie dann auch wieder weg. Und das Publikum ebenfalls - weggetragen in weite Sphären von emotionalen Gedankenversuchen und betört von einem zauberhaften Abend im Wiener Gasometer. (Text: Nathalie Wessely; Foto: Beny Shlevich under Creative Commons Attribution ShareAlike)

Kurz-Infos:
Regina Spektor live am 16. Dezember 2009 im Planet Music/Wiener Gasometer
Bewertung: @@@@@@
Aktuelles Album: "Far" (Sire Records/Warner; 2009)