In kleinen Clubs lernte sie ihr Handwerk, mit "Begin to Hope"
landete sie einen Millionenseller und mehrfache Gold- und Platin-Auszeichnungen:
Regina Spektor. Die in New York lebende russisch-stämmige Sängerin, Pianistin und Liedschreiberin veröffentlicht 2009 mit "Far" das schwierige zweite Album und steht zum Interview bereit.
Kulturwoche.at: Auf Ihrem neuen Album gibt es den Song 'Dance Anthem Of The 80's'. Sie wurden 1980 in Moskau geboren, waren also zu klein, um die Musik der 80er Jahre wirklich mitzubekommen. Wann haben Sie diese Musik für sich entdeckt? Regina Spektor: Die Musik der 80er entdeckte ich hauptsächlich, als ich ein halbes Jahr in London studierte. Ich verließ New York und studierte ein Semester in London. Das war im Frühjahr 2000. - Keiner der Studenten hatte Geld, aber es gab eine Bar an der Universität mit einem kleinen Club. Und dort fanden ständig ’80er-Jahre-Nächte’ statt. Da habe ich viel Musik aus den 80ern zum ersten Mal gehört. Die hat mir sehr gefallen und ist mir im Gedächtnis geblieben. Ich mag das Gefühl der Musik aus den 80ern. Sie sind mit acht Jahren nach New York gekommen. Wie haben Sie das damals erlebt? Wenn man aus einem Land kommt, das so isoliert war durch das sowjetische Regime, und man kommt als Kind nach Amerika und nach New York, dann sieht man sich all diesen Stereotypen und Vorstellungen ausgesetzt, die durch die Propaganda in Amerika verbreitet wurden. Propaganda ist immer eine zweiseitige Sache. Dieselben verrückten Sachen, die von einem Land über das andere verbreitet werden, werden umgekehrt auch von dem anderen Land verbreitet. Für die Russen waren die Amerikaner fette Aristokraten, die sich nur fürs Geld interessierten aber nicht für Menschen, die außerdem sehr faul waren und nicht arbeiten wollten. Für die Amerikaner waren die Russen allesamt Wodka saufende Kommunisten, die gegen ihre Lebensweise eingestellt waren, die gegen die Freiheit waren und die die Atombombe werfen wollten. Als ich nach New York kam, stand ich erstmal völlig im Dunkeln. Aber als Kind braucht man nur kurze Zeit um zu begreifen, dass Amerika nicht so ist, wie es in Russland dargestellt wird. Und damit hatte sich diese Angelegenheit erledigt. Wie sehen Sie New York heute? New York ist nicht mehr das New York, das ich kennengelernt habe, als ich hierher kam. Eigentlich hasse ich es, einer dieser Menschen zu sein, die andauernd sagen: Damals, in den alten Zeiten, da war es noch toll. Denn als ich nach New York kam und aufwuchs, habe ich New York über alles geliebt. Und ich hasste es als Teenager oder als 20jährige, wenn andere Leute sagten, dass New York vor zwanzig Jahren wirklich New York gewesen wäre. Andere meinten dann: Nein, New York war viel früher das echte New York. Das ging dann zurück bis in die 20er Jahre und den Beginn des 20. Jhdts. Aber gegenwärtig scheint es so, als würden die Künstler aus New York verdrängt. Viele kleine Clubs, in denen ich am Anfang spielte und die junge Musiker sehr unterstützten, wurden geschlossen und zu kleinen Hotels und Bars umgebaut - für die reichen Leuten in ihren teuren Klamotten. Welchen Einfluss hat die gegenwärtige Krise? Ich hasse es zu sagen, aber ich finde diese ökonomische Krise in einem bestimmten Aspekt bemerkenswert. ich meine nicht die Leute, die wirklich unter der Krise zu leiden haben. Für die ist die Krise der blanke Horror. Ich würde nie sagen, dass es spannend ist, wenn jemand seinen Job verliert, vielleicht keine Krankenversicherung hat und nicht weiß, wie er seine Kinder ernähren soll. Für diese Menschen ist die Krise fürchterlich. Aber es gibt einen kleinen Aspekt, den ich sehr interessant finde. Erstens kommen sich die Menschen wieder näher. Außerdem überlegen sie, was wirklich wichtig im Leben ist. Was macht das Leben aus? Was sind die wirklichen Werte? Was mache ich, wenn ich meinem Kind kein Nintendo kaufen kann? - Emotionale, kreative und künstlerische Dinge werden wieder wichtig. Hoffentlich werden die Kosten für die Miete und die Lebenshaltungskosten sinken. In einer ökonomischen Krise werden Filme und die Künste im Allgemeinen wieder dringend gebraucht. Alles (im normalen Leben) verliert an Wert, aber die Künste werden gebraucht, denn die Menschen sehnen sich nach Unterhaltung und Gefühlen. Warum ist 'Blue' die 'menschlichste aller Farben', wie Sie in dem Song 'Blue Lips' singen? Es fällt mir sehr schwer, einen bestimmten Teil eines Textes aus seinem Kontext heraus zu betrachten oder überhaupt über die Texte zu sprechen. Ich glaube, dass viele Songs auch für mich selbst etwas mysteriös sind. Sie entstehen einfach. Es ist nicht so, dass ich nur dasitze und die Songs durch mich wie ein Medium hindurch fließen und ich nur das aufschreiben muss, was irgendwelche Geister mir eingegeben haben. Aber es ist ein wirklich mysteriöser Prozess. - Ich kann auch nicht genau sagen, worum es in den Songs geht. Ich habe einfach ein gutes Gefühl in dem Moment, in dem ich etwas schreibe. Oft passiert es, dass ich später auf den Text und die Musik schaue und nicht weiß, warum ich es so geschrieben habe. Aber ich habe doch das Gefühl, dass es ehrlich ist. Können Sie erklären, wie Ihre Songs entstehen? Ich hoffe, es klingt nicht aufgeblasen oder verrückt. Es ist auch nicht so, dass es Stimmen in meinem Ohr gibt, die mir sagen, was ich schreiben soll. Ich habe das Gefühl, dass ich so etwas wie Inspiration brauche. Deshalb kann ich mich auch nicht einfach hinsetzen und aus dem Nichts einen Song schreiben. Ich muss das Gefühl haben, dass irgendetwas passiert, auch wenn ich nicht weiß, was das genau ist. Das gilt besonders für den Song 'Blue Lips'. Viele der Songs auf dem Album habe ich schon vor längerer Zeit geschrieben. 'Blue Lips' habe ich schon vor sieben Jahren geschrieben. In Ihren Songs gibt es oft widersprüchliche Empfindungen, da wirkt ein Song wie 'Blue Lips' einerseits verspielt und andrerseits melancholisch. Wie geht das zusammen? Ich denke, dass jedes Gefühl zwei Komponenten hat. Es gibt immer Zwischentöne. Wenn etwas total glücklich erscheint, ist immer eine kleine Prise Tragödie darin enthalten. Und wenn etwas wirklich tragisch ist, gibt es doch immer ein Fünkchen Glück, etwas Lustiges und Komisches dabei. Ich werde immer misstrauisch, wenn etwas eindimensional ist. - Wenn etwas nicht ganz perfekt ist, wirkt es echt. Aber wenn etwas zu perfekt ist, macht es dich fertig. Dann geht jegliche Illusion verloren und man denkt sich: Das ist nicht echt. Das wirkt wie gemacht. Was verbinden Sie mit der Farbe Blau? Für mich steht die Farbe Blau als Symbol für das Staunen und das Infragestellen. Seit Menschengedenken ist Blau die Farbe der Geheimnisse. Der Himmel ist blau und unergründlich, das Meer ist blau und ebenso unergründlich. - Wenn wir an wirklich riesige Dinge denken und wir nicht wissen, was sich hinter ihnen verbirgt, dann sind sie blau. Gilt das nicht auch für die Farbe Grün? Ja! Es ist interessant, denn ich glaube, dass Grün im Moment sehr angesagt ist, denn viele Menschen bemühen sich sehr, unsere Umwelt zu retten. Es ist interessant, dass wir ein Zeitalter des 'Blues' hatten. - Die ganze Musik des 20. Jhdts. war geprägt vom Blues, die gesamte moderne Musik, der Rock’n’Roll war vom Blues geprägt und alle großen Bands werden sicher zugeben, dass sie das Wort 'Blue' andauernd benutzt haben. Und jetzt ist es so, dass alle modernen Künstler, Musiker und Politiker ständig das Wort Grün benutzen. Grün ist hoffentlich die Farbe unserer Zukunft. Denn wir leben in einer entscheidenden Zeit, um jetzt 'Grün' und nicht 'Blue' zu erforschen. Der Maler Wassili Kandinsky war der Überzeugung, dass man jedem Klang eine bestimmte Farbe zuordnen könnte. Sehen Sie Farben, wenn Sie Musik machen? Es ist wirklich interessant und es wird als eine sehr seltene psychologische Gabe angesehen, über die manche Menschen verfügen, wenn sie in der Lage sind, Klänge als Farben zu empfinden. Ich habe nur wenige Menschen kennen gelernt, die diese Fähigkeit besitzen, Klänge als Farben zu sehen. Mir ist es nie so gegangen, dass ich Klänge als Farben erlebt habe. Für mich sind es immer Klänge. Manchmal lösen Klänge bei mir bestimmte Gefühle und Vibrationen aus. Aber ich hatte bei Musik noch nie visuellen Vorstellungen, selbst wenn ich es versucht habe. Viele Ihrer Songs drehen sich um das Thema Hoffnung. Was ist Hoffnung für Sie? Ich glaube, sie ist der Puls, der die gesamte Menschheit und unsere Seelen vorwärts treibt und am Leben hält. Wenn unser spirituelles Leben durch etwas Ähnliches in Gang gehalten wird, wie das Blut unsere Körper in Gang hält, dann wäre die Hoffnung das Blut unseres spirituellen Lebens. Wie das Chlorophyll, das ein Blatt am Leben hält, oder das Blut, das einen Körper am Leben hält, ist die Hoffnung der Motor, der unseren Geist am Leben hält. Sie haben auf Ihrem neuen Album mit vier verschiedenen Produzenten zusammen gearbeitet, u.a. und sicherlich etwas überraschend auch mit Jeff Lynne. Wie kam es dazu? Peinlicherweise wusste ich anfangs gar nichts über ihn (Jeff Lynne). Erst später habe ich etwas über das E.L.O. oder die Travelling Wilburys erfahren. - Der Name Jeff Lynne ist mir aufgefallen, als ich das Album 'Highway Companion' von Tom Petty hörte. Das hat mir sehr gefallen. Vor allem den Sound dieses Albums fand ich toll. Bei meinem letzten Album hatte mich die Plattenfirma gefragt, ob es jemanden gäbe, den ich gern als Produzenten dabei hätte. Aber ich hatte meine Hausaufgaben nicht gemacht und kannte keinen einzigen Namen von irgendwelchen Produzenten. Ich bin sowieso sehr schlecht darin, mir bestimmte Namen zu merken. Diesmal hatte ich mich vorbereitet und erinnerte mich an diesen Namen: Jeff Lynne! - Bei einer Telefonkonferenz fragte mich Tom Whalley, der Chef meiner Plattenfirma, ob es jemanden gäbe, den er kontaktieren sollte. Ich sagte: 'Ja, es gibt da einen Typen. Der heißt Jeff Lynne!' - Plötzlich gab es eine lange Pause. Ich fragte: 'Was ist los? Habe ich was Falsches gesagt?' - Ich dachte, dass Jeff Lynne ein junger Typ in meinen Alter sei, der halt diesen tollen Job bei der Platte von Tom Petty gemacht hatte. Wie reagierte der Chef Ihrer Firma? Tom hat sehr freundlich reagiert. Anstatt zu sagen, dass das unmöglich sei, oder mich zu fragen: 'Weißt du überhaupt, wer das ist?', meinte er nur: 'Nun, Jeff Lynne arbeitet nicht mit sehr vielen Leuten, aber wir werden ihm ein paar Songs vor dir schicken und sehen, ob er will.' - Glücklicherweise mochte Jeff Lynne meine Musik. Also kamen wir zusammen und es hat großen Spaß gemacht. Wie war die Zusammenarbeit mit Jeff Lynne? Er ist ein sehr charmanter, lustiger Typ mit trockenem englischem Humor. Und er ist sehr talentiert, überall in seinem Haus ist Musik. - Sein ganzes Haus ist ein Studio. Überall konnte man ein Mikrofon anbringen und singen, überall gab es Möglichkeiten aufzunehmen. In seinem Haus gibt es unzählige Instrumente. Es war wirklich eine magische Erfahrung. Außerdem war er sehr großzügig und entgegenkommend. Ich war ganz allein nach Los Angeles gekommen. Und er hat mich zum Dinner eingeladen. Selbst zu Thanksgiving hat er mich zu seiner Familie und seinen Freunden eingeladen. Er war sehr nett zu mir. Es war wirklich eine tolle Erfahrung. Sie wussten aber im Vorherein kaum etwas über den typischen Jeff Lynne-Sound? Nein, ich wusste wirklich nicht, was das ist. Aber unsere Zusammenarbeit hat mir sehr gefallen. Für mich ging es in erster Linie darum, damit glücklich zu sein, wie die Songs klingen. Außerdem wollte ich etwas lernen. Das war der Hauptgrund, warum ich mit verschiedenen Produzenten zusammen arbeiten wollte. Denn ich wollte von ihnen lernen. Mit Jeff Lynne zusammen zu arbeiten, war eine besondere Erfahrung. Ihm zuzusehen, wie er über Klänge denkt, wann und warum er welche Entscheidung fällt, war einfach toll. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Arbeit mit den verschiedenen Produzenten gewonnen? Ich arbeite immer als Co-Produzentin. Und bei allem, was auf der Platte ist, habe ich mitgeschrieben und mitgespielt. Ich glaube, dass ich mich in Zukunft selbst produzieren möchte. Noch mehr wünsche ich mir, in Zukunft auch andere Künstler produzieren zu können. Oft höre ich Songs und wünsche mir, ich hätte bei diesen Aufnahmen Hand anlegen können und sie auf bestimmte Art und Weise klingen lassen können. Ich finde, es hat etwas Magisches, wenn man mit anderen Leuten zusammen arbeitet. Es geht nicht darum, diesen Leuten ihre Geheimnisse zu entlocken und sie für mich zukünftig nutzen zu können. Es geht viel mehr darum, dass ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit anderen Produzenten, die Art und Weise beeinflusst, wie ich Songs schreibe. Es verändert die Art und Weise, wie ich Musik höre und spiele. Das hilft mir mich weiter zu entwickeln. Ich denke, dass ich bei meinem nächsten Projekt wieder mit jemand anderem zusammen arbeiten werde. Vielleicht ändert sich meine Meinung, und ich entscheide, es allein zu tun. Aber eigentlich ist es die Zusammenarbeit, die ich wirklich mag. (Interview und Fotos mit freundlicher Genehmigung © Syndication 2009 Warner Music)
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