Nach gut anderthalb Jahrzehnten hat er es nun also doch übers Herz gebracht: mit "Chinese Democracy" veröffentlicht Axl Rose unter dem etwas irreführenden Bandnamen Guns N' Roses das seit Mitte der 1990er Jahre angekündigte, beinahe schon zu einem Running Gag verkommenen Album. Von Markus Brandstetter.
Eine kurzer Rückblick in die 1990er: Guns N' Roses haben gerade die beiden platinüberhäuften "Use Your Illusions" Alben auf den Markt und befinden sich an der Spitze der Nahrungskette der US-Rockbands. Man beginnt an den Arbeiten für ein neues Album, veröffentlicht in der Zwischenzeit ein Album mit Coversongs von Punk-Bands und Charles Manson und zerstreitet sich völlig, wohl nicht zuletzt wegen dem Kontrollwahns eines angeblich nicht unneurotischen Leadsängers W. Axl Rose. Dieser will den Sound unbedingt modernisieren, gar ein Industrialalbum aufnehmen, Blues-Rock Purist Slash will alles beim guten, alten Rock belassen: nach und nach verlassen die Gründungsmitglieder die Band, und Axl macht alleine unter dem Namen Guns N' Roses weiter, den er sich recht bald sicherte. Das nächste Jahrzehnt gehen bei Rose Studiomusiker aus und ein, das Album verschlingt mittlerweile unglaubliche Summen an Kosten (man spricht von 15 Millionen Dollar), und immer wieder heißt es, das Album erscheine bald, und immer wurde es verschoben. Die Getränkefirma Dr. Pepper versprach Anfang dieses Jahres, jedem Bürger der USA ein Gratis-Coke zukommen zu lassen, sollte Rose das Album noch 2008 veröffentlichen. Vielleicht ist Axl gar ein Menschenfreund: Coke for the people, denn… In medias res …hier ist es nun, "Chinese Democracy": das erste Mal in seinem Leben kommt es dem Autor dieser Kritik beinahe obskur vor, die Play Taste zu drücken, tut es aber doch und ist schon beim Opener angelangt, der ersten Single-Auskopplung, die ohnehin schon seit einiger Zeit bekannt war. Als erstes fällt auf, dass die Zeit auch vor der Stimme eines Axl Rose nicht halt gemacht hat: zwar kreischt er sich gelegentlich in gewohnter Manier über Passagen, dies aber, im Vergleich zu früher, nur als sporadisch eingesetztes Stilmittel, die meiste Zeit ist er stimmlich in deutlich tieferen Gefilden unterwegs. Rose wollte Guns N' Roses modernisieren, zwangsmodernisieren quasi, und das hört man, denn etwas gar zwanghaft modern, über weite Strecken zu sehr designt klingt das Ganze: ein paar Drum-Loops hier, ein paar Soundeffekte da - nur kommt es meist nicht so homogen rüber, wie Rose das gerne gehabt hätte. "Chinese Democracy" ist viel eher ein Designer-Bastlerwerk eines zweifellos außergewöhnlichen Songschreibers als ein homogenes Rock-Album, denn für ein solches hätte Rose Slash gebraucht, im besten Falle auch Gründungsmitglied Izzy Stradlin. Was Rose am besten kann, zeigt sich erst beim vierten Track, "Street Of Dreams": nämlich sich ans Piano setzen und Balladen schreiben (allerdings reicht "Street Of Dreams" bei weitem nicht an die Klasse des Rose-Epos "November Rain" heran).
Klotzen, nicht kleckern Es hat schon seine guten Momente, "Chinese Democracy": mal ist es ein hingerotzter Chorus ("Shackler's Revenge"), mal ein wirklich tadelloser, eingängiger Rock-Song ("Better", für mich das Highlight) und wenn er loskreischt, ist man direkt ein wenig froh, dass er wieder da ist. Nur ist Rose eben nicht Trent Reznor, und wenn er versucht so zu klingen, wirkt das aufgesetzt und, ja, eben designt. Und so exzellent die mitwirkenden Gitarristen (Buckethead, Bumblefoot und unzählige andere) auch sein mögen, so vermisst man die Rock'n'Roll Puristengitarren einer früheren Besetzung schmerzlich, denn der Gitarrensound von Guns N' Roses 2008 agiert, vor allem bei Kompressoren und Distortion, unter dem Motto "Klotzen, nicht kleckern". Ein größenwahnsinniges Album Beinahe ein Musical ist "Chinese Democracy" geworden: alles wollte Rose reinpacken, Rock, Industrial, Balladen, Soundeffekte, anscheinend sogar New Metal. Ein größenwahnsinniges Album: ob es aber der große Wurf geworden ist, ob sich die Millionen, die Jahre des Wartens und die Auflösung der eigentlichen Guns N' Roses gelohnt haben – das sei hiermit ausdrücklich dahingestellt. (Markus Brandstetter)
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