Das bisher am meist überraschende Album im Jahr 2008 legt Jazz-Bassist Charlie Haden in Begleitung von seiner Family und vielen Friends von Elvis Costello, Rosanne Cash und Vince Gill bis hin zu Bruce Hornsby und Pat Metheny mit dem 19 Songs starken Country-Folk-Album "Rambling Boy" vor.
Geschichtsunterricht ist angesagt! Oder doch einfach nur
alte Lieblingslieder neu einspielen? Lieder, mit denen man aufwuchs und Lieder,
die einem bereits mit den ersten Karriere-Schritten begleitete? Charlie Haden
ist auf der Cover-Rückseite als kleiner Knirps mit Gitarre, sowie im sehr
ausführlichen Booklet im Verbund mit der Haden Familie zu sehen, und – Hört! Hört!
– ebenfalls als kleiner Junge von gerade mal 2 Jahren (!) gibt es einen
Ausschnitt einer Radio-Sendung aus dem Jahr 1939, in der Klein-Charlie einen "American
Yodel" zum Besten gibt. Das Haden Family Album "Rambling Boy" begeistert mit
der Spurensuche eines Musik-Giganten, der mit dem Ornette-Coleman-Quartett, dem
(ersten) Keith-Jarrett-Trio (1968) und vor allem mit dem Liberation Music
Orchestra (Free)-Jazz-Geschichte schrieb. Seine Alben "Free Jazz" mit Ornette
Coleman (1961), "Liberation Music Orchestra" (1969), "Escalator over the Hill"
mit Carla Bley (1971), "Folk Songs" mit Jan Garbarek und Egberto Gismonti
(1979), "Rejoicing" und "Beyond The Missouri Sky" mit Pat Metheny (1984 bzw. 1997), "American Dreams" mit Michael Brecker (2002) und "Not in our Name" (2005) sollten
neben einigen anderen Haden-Alben soundso zur Grundausstattung einer gepflegten
Jazz-Sammlung stehen. Aber er war stets nie ausschließlich einer dem Jazz
verpflichteter Bassist, sondern einer, der Musik generell wertschätzt und so
immer auch Genre übergreifend dachte und wirkte – so sollte es auch niemanden
wundern, wenn ein Riff von seinem Stück "Change of the Century" in der
Post-Punk-Szene im Lied "Sex & Drugs & Rock'n'Roll" von Ian Dury &
The Blockheads auftauchte. Und jetzt also ein beinahe schon puristisches Country-Folk-Album mit Liedern die so alt wie das Radio sind aber auch mit Liedern jüngeren Ursprungs. Der Einstieg ins Album ist gleich mal ein Hammer und gleichermaßen eine Referenz an die Bedeutung, die das Radio irgendwann einmal innehatte. "Single Girl, Married Girl" featuring The Haden Triplets, namentlich Rachel, Petra und Tanya Haden an Gesang, Papa Charlie am Bass, Jerry Douglas am Dobro, Sam Bush an der Mandoline, Stuart Duncan an der Fiddle, Bryan Sutton an der Gitarre und Buddy Greene and der Harmonica singen und spielen sich durch diese fröhlich-beschwingte Tanzmusik von A.P.Carter. Hier ist bereits alles drin, was herausragende Musik ausmacht – und in dieser Tonart, was höchste Qualität betrifft, geht es unbeirrt weiter, sämtlichen zu Tode gelangweilten Format-Radios die lange Nase zeigend. Egal, ob im Titelstück – gesungen von Vince Gill – oder im Carter-Song "Wildwood Flower" von June Carter Cash-Tochter Rosanne gesungen, oder im von Charlie Hadens Sohn komponierten und gesungenen "Spiritual" (das aufmerksame Musikkenner von Johnny Cash kennen), oder der Gastauftritt von Elvis Costello, der mit "You Win Again" einen Song von Hank Williams, Sr. zu neuen Ehren verschafft – da kommt die pure Freude auf. Essenzielle Herzstücke, intensiv und jenseits jeder Wertungskategorie. Ein 19 Lieder langer Genuss ohne Ausfälle, ohne Füllmaterial – und dennoch "nur" ein "einfaches", vor scheinbarer Simplizität strotzendes Country-Folk-Album ohne technischen Schnick-Schnack, ohne Netz und ohne Tam-Tam. Am Ende aller Genialitäten steht das bereits erwähnte Jodel-Kunststück vom 2-jährigen Charlie Haden und im Kontrast dazu die Gegenwartsstimme vom Bassisten, der als Ausklang gemeinsam mit u. a. Pat Metheny das Traditional "Oh Shenandoah" einfühlsam intoniert. Ein Kunstwerk? Nein. Ein Herzwerk. (Manfred Horak)
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