Mit Hector Zazou ist am 8. September 2008 einer der großen Entdecker bisher unbekannter Soundlandschaften gestorben. Eine seiner Kernfragen lautete: "If music cannot change the world, what use does it have?"
"In England", meinte einmal Jean-Francois Bizot, “they have Peter Gabriel, in America they have David Byrne, in France we have Hector Zazou.” Hector Zazou, Franzose algerischer Abstammung, war als Global Player immer auf der Suche nach den passenden Tönen - sei es während seiner Zusammenarbeit mit Bony Bikaye, sei es bei seinen genialen Rimbaud-Vertonungen auf "Sahara Blue" mit u.a. Gerard Depardieu und David Sylvian, Bill Laswell und Khaled, sei es bei seiner Eismeer-Klang-Reise auf "Chansons Des Mers Froides" mit u.a. Björk, Suzanne Vega, John Cale, Jane Siberry oder Siouxsie, sei es bei seinen frühen Konzeptalben, oder bei seiner Arbeit mit Laurie Anderson auf "Strong Currents" oder gemeinsam mit der weiblichen Variante von Cptn. Beefheart, Sandy Dillon, auf "12 (Las Vegas is cursed)". Das hatte schon eine eigene Qualität Sandy Dillon über die Zusammenarbeit mit Hector Zazou: "Oh, das war fantastisch. Wir zwei sind Cptn. Beefheart-Fans, haben uns aber nie getroffen, auch nicht während der Aufnahmen zum Album. Er hat mir seine Ideen gesendet, ich hab ihm meine geschickt, und so ging das hin und her, bis alle Songs fertig waren. Das Aufregende daran war, dass wir uns nie persönlich begegnet sind, erst bei der CD-Präsentation, und bei dieser Begegnung waren wir uns schon so vertraut, also ob wir uns bereits seit 20 Jahren kennen. Die Aufnahmeprozedur war für mich eine ganz neue Erfahrung - und witzig! Manchmal schien es mir, als ob wir Telefonsex hatten, wenn er mich zum Beispiel nachts anrief und in seinem französischen Akzent sagte 'Oh, Sandy, on Track Number Two is this or that and this and that'... das hatte schon eine eigene Qualität."
Musik spielen, die außerhalb des Studios nicht existieren
könnte
Als Sohn eines französischen Vaters und einer spanischen
Mutter in Algerien geboren, in Marseille aufgewachsen, erlebt er in den 1960er
Jahren, neben der klassischen Klavierausbildung, die ersten Schritte der damals
noch so genannten elektroakustischen Musik. Die Stücke entstehen mit der
Schere: zentimeter- oder auch meterweise auf Tonbändern. In den 1970er Jahren
spielte er "komplett unverkäufliche" Musik mit diversen Destruktionskapellen. Sein
Grundprinzip: "Musik zu spielen, die außerhalb des Studios nicht existieren
könnte." Großkunstwerke fabrizierte er, mit zumeist langen, prominenten
Besetzungslisten. Unerreichbar wohl sein Album "Sahara Blue", einer Hommage an "Ich
ist ein Anderer", Arthur Rimbaud. Unübertroffen
darauf wiederum David Sylvians japanische Rimbaud-Exkurse und Khaled, der
Rimbaud auf Arabisch singt. "Sahara Blue" zählt - ohne lange nachdenken zu
müssen - zu den wertvollsten Alben in der Musikgeschichte. Hohe Soundwände
prallen auf Verinnerlichung, elektronische Musik zwischen Aufruhr und
Meditation, Anarchie und Elegie. "Was heute elektronische Musik genannt wird", erzählte
Zazou Ralph Geisenhanslüke in DIE ZEIT am 9.10.2003, "ist häufig harmonisch
verarmt, aber rhythmisch sehr reich. Warum? Der klassische Unterricht legt das Schwergewicht auf die Harmonielehre. Aber die meisten Elektroniker sind
Autodidakten. Sie kompensieren ihre harmonischen Schwächen durch eine Betonung
der Rhythmik. Wir sind eingetreten in eine Welt der angewandten Kreativität, wo
Komponisten mit und für ihre Maschinen schreiben. Das erinnert wiederum an
traditionelle Musik." Hector Zazou, Produzent und Mastermind, ist tot. Sein
musikalisches Konzept der "Reinheit" war das Bekenntnis eines Weltenbürgers, der keine
Grenzen scheute und alle Grenzen hinter sich ließ. |
|
CD-Tipps (Auswahl): |
Zazou/ Bikaye
Noir & Blanc (Crammed; 1982)
Reivax au Bongo (Crammed; 1984)
Mr Manager (Crammed; 1985)
Guilty (Crammed; 1987)
Zazou
Geologies (Crammed; 1988)
1977- 1990 (Tonk; 1990)
Corses (Polygram; 1991)
Sahara Blue (with Gerard Depardieu, David Sylvian, Khaled...) (Crammed; 1992)
{sus_amazon id=B000OONP5Y&pid=kulturwoche-21}
Chansons Des Mers Froides (with Suzanne Vega, Bjork, John Cale...) (Sony BMG; 1995)
{sus_amazon id=B000025VW9&pid=kulturwoche-21}
Glyph (with Harold Budd) (Crammed; 1995)
{sus_amazon id=B000006X6Z&pid=kulturwoche-21}
Made On Earth (with Barbra Gogan) (Crammed; 1997)
Lights In The Dark (with Katie MacMahon, Breda Mayock,
Lasairfhiona Ni Chonaola) (Erato/Warner; 1998)
12 (Las Vegas Is Cursed) (with Sandy Dillon) (Crammed Discs; 2001)
{sus_amazon id=B000055ZN9&pid=kulturwoche-21}
Strong Currents (with Laurie Anderson) (Taktic Music; 2003)
{sus_amazon id=B0000TW3YC&pid=kulturwoche-21}
Link-Tipps:
Interview mit Sandy Dillon
Anderson, Laurie / Sonny Rollins
Vega, Suzanne – Beauty & Crime
Khaled Seif in der Szene Wien - die Kritik