Bevor James Carter sein musikalisches Feuerwerk ablieferte,
rekapitulierte die Band Straight Six, was vor einigen Jahrzehnten im Jazz hip
war. Die Herren Heinz von Hermann (Tenorsaxofon), Dušan "Duško" Gojković (Trompete),
Adrian Mears (Posaune), Joerg Reiter (Piano), Mads Vinding (Bass) und Bruno
Castellucci (Schlagwerk) lieferten ein gemächliches Set, das kaum Glanz
ausstrahlte. Die Band erinnerte an gute Jazz-Zeiten, und ansonsten streckenweise an
das österreichische Fußball-National-Team. "Wir spielen Lieder und Stücke", so
Heinz von Hermann, "mit denen wir aufgewachsen sind. Daher auch der Bandname
Straight Six - wir spielen kein Cross-Over, keine Folklore, sondern just
straight Jazz." Dargebracht wurden Klassiker wie "Salt Peanuts" und "Con Alma"
von Dizzy Gillespie und "Sugar" von Stanley Turrentine, jeweils in sehr
ausführlichen Interpretationen, gespickt mit allerlei Solierungen, die aber
weder aufregten, noch sonderlich anregten. Mit "Brooklyn Blues" und "5 o'clock
in the morning" zeigte die Band zumindest ansatzweise doch noch
ordentlich auf, letzt genanntes Stück ist eine Hommage an Miles Davis, mit dem Duško Gojković irgendwann so um 1958 herum an der Bar im Birdland versumperte.
Versumpert ist Straight Six letztendlich auch an ihrer Verweigerung Neues
auszuprobieren.
Das wahre Leben samt positiven Vibrationen
Im Gegensatz zum Wiener Staatsopern-Konzert mit Helen
Schneider und Sinéad O'Connor, bei dem einige im Publikum glaubten, dass
Schneider O'Connor sei, war am Abend des 9. Juli 2008 in der Kammeroper Wien
klar, dass da noch was kommt. Vorbei war es mit der Gemächlichkeit, sie wurde
schlichtweg fort getragen, mehr noch, auf Weltmeister-Niveau weg geblasen. Die daraus
resultierende Folge: das Publikum hob ab. Dabei begannen James Carter und seine
Band ebenfalls mit einem Stück aus der Frühzeit des Jazz, nämlich mit Sidney
Bechet's "Chant in the Night". Aber nicht was gespielt wird ist
letztendlich wichtig, sondern wie, daher: Wie sie dieses gute Stück
inhalierten, zu Eigen machten und ausspieen, war extrem extraordinär. Was waren
das für erste Momente, ein ganzes
Stück Bechet lang hoch gehalten bis zur Ekstase, dass es nur so krachte und
knallte und den ganzen Saal euphorisierte. Neue Wege wurden gesucht und auch
gefunden, um sich in die richtige Stimmung zu bringen, überschwänglich feierte
sich die Band ab und genoss das wahre Leben eines Musikers - jenes auf der
Bühne - mit all seinen positiven Vibrationen. Ein Lehrstück und ein Geschenk
von Meistern, von Jazz-Giganten. Man dachte im Verlauf des Konzerts immer
weniger daran jemand bei der Arbeit zuzusehen und zuzuhören, vielmehr
offenbarte sich eine lustvolle Erregung zwischen der Band auf der Bühne und dem
Publikum im Opernsitz. Egal, ob uns die Exzellenzen mit "Dodo's Bounce" von
Dodo Marmarosa oder mit "Shadowy Sands" von Jimmy Jones zur Entzückung brachten;
hier wurde ausschließlich höchste Qualität geboten mit unglaublichen wie
traumhaften Interaktionen und Tempi-Wechsel mit all seinen ent- bzw.
beschleunigten Rhythmen, Verschnaufpausen inklusive, Stichwort Ballade. Das war
die Zeit zum Zurücklehnen, und um ein wenig runter zu kommen, bevor es zu den
ersten Standing Ovations kam, bevor die Band zum finalen Götterfunken in "Rapid
Shave" von Dave Burns abhob, der Pianist vor Freude juchzte was alles aus einem
Bösendorfer herauszuholen ist, sei es mit den Händen, sei es mit dem Gesäß, und
bevor sich James Carter mit einem "Keep care! God bless you! Tschüss!"
verabschiedete. Wird definitiv als eines der Konzert-Höhepunkte von 2008 in
Erinnerung bleiben. (Text: Manfred Horak; Fotos: Herbert Höpfl)
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